Acht Brücken in KölnAlexander Schubert bringt Soundflächen in den virtuellen Raum
Köln – Die digitale Revolution ist vorbei. Längst leben wir in einer postdigitalen Welt, bei der digitale Arten der Produktion, Präsentation, Wahrnehmung und Interaktion so alltäglich geworden sind, dass sie auch unsere analogen Kommunikations- und Verhaltensweisen mitbestimmen. An den Schnittstellen und fließenden Übergängen von Realität und Virtualität bewegen sich die Arbeiten des Hamburger Komponisten und studierten Informatikers Alexander Schubert. Der 1979 geborene Künstler zeigt sein jüngstes Projekt „Sleep Laboratory“ gegenwärtig beim Festival Acht Brücken in der DuMont-Kunsthalle.
Das Publikum begibt sich paarweise auf durch rosa Vorhänge abgetrennte Behandlungsräume, wo man sich wie Arzt und Patient auf Hocker und Liege verteilt. Über Kopfhörer gibt eine Computerstimme die Anweisung, sich jetzt die VR-Brille anzuziehen. Eine der Brille einmontierte Videokamera erfasst die reale Umgebung und das Display zeigt diese dann zur aseptischen Computeranimation verwandelt. Mit einem Mal erscheint man selbst als pinkfarbener Avatar mit gesichtslosem, metallisch glattem Körper, der wie man selbst auf der Pritsche liegt und sich auch genauso bewegt.
Alexander Schubert macht das Publikum zu Avataren
Mit dem ebenfalls zum Avatar geworden zweiten Besucher, kann man zu interagieren versuchen. Doch während es den virtuellen Duplikaten tatsächlich gelingt, sich zu die Hände zu reichen, spürt man selber keinen Händedruck, sondern greift ins Leere. Dagegen spürt man sofort, dass sich ein dritter blauer Avatar neben einem auf die Liege setzt und die warme Hand auf das Schienbein legt. Nachdem aus der Realität zuerst ein Video wurde, wird nun das Video sensomotorisch real. Endlich lässt man auch alle physikalischen Begrenzungen hinter sich. Der Boden kippt langsam in die Vertikale und darüber hinaus, bis man sich von der Decke aus – wie im Traum oder bei einer Nahtoderfahrung – selber unten aufgebahrt liegen sieht. Wie bei einer schizophrenen Störung schraubt sich ein Alter Ego aus dem eigenen Ich.
Später taucht man im 360°-Rundumblick wie in eine Unterwasserwelt, wo alles zu schweben scheint, während man selber wie ein Stein im fließenden Sandboden zu versinken droht. Die Koordinaten Oben und Unten, Fliegen und Fallen, Real und Fiktiv sind aufgehoben. In der Ferne treten nun Mitglieder des Ensembles United Instruments of Lucilin als Avatare auf, deren Instrumentalklänge man sowohl über Kopfhörer als auch real in der Halle hört, in der man sich doch wohl immer noch befindet. Doch ist das sicher? Die Instrumente durchdringen sich mit weichen, halligen Soundflächen der Elektronik und dem zwischen verschiedenen Deutlichkeitsgraden changierenden Audioguide.
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Zur Mitte der einstündigen „performativen Installation“ wechseln die Besucher ihre Positionen auf Hocker und Liege. Nun sieht man ohne VR-Brille eine im pinkfarbenen Ganzkörperanzug wie ein Avatar auftretende Geigerin, die zugleich wie bei einer Ultraschalluntersuchung auf einem Monitor erscheint und dort mit rituellen Handbewegungen kleine leuchtende Miniatursonnen im Raum hinterlässt. Was die VR-Brille zuvor als real abgefilmte Animation zeigte, ist nun ohne Brille als verkleidete Realität zu sehen, die ihrerseits gefilmt im Video erscheint, bevor man mit erneut aufgesetzter VR-Brille wieder selber Bestandteil des Videos wird. Die Medialitäts- und Realitätseben verschachteln sich.
Faustischer Pakt mit der digitalen Hyperwelt
Am Ende nimmt man Kopfhörer und VR-Brille wieder ab und fühlt sich wie erlöst vom faustischen Pakt mit den mephistophelischen Mächten der digitalen Hyperwelt. Zurück im vertrauten Raum-Zeit-Gefüge sieht man im warmen Scheinwerferlicht auch die anderen Besucher auf den Liegen sitzen. Alle haben wir medial vereinzelt die Reise durch das Traum- und Totenreich bestritten und genießen nun die Schönheit gemeinsamer Gegenwart echter Menschen und Blickkontakte. Das virtuelle Abenteuer war faszinierend, doch am stärksten berührt jetzt das Glück der leibhaftigen Wiederauferstehung aus dem Metaversum.