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Kölner Acht-Brücken-FestivalVon Ohrwürmern und gesprengten Opernhäusern

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Dirigent Tung-Chieh Chuang tritt beim Kölner Acht-Brücken-Festival auf

Köln – „Musik Amnesie Gedächtnis“ ist die Überschrift über das diesjährige, das zwölfte Kölner Acht-Brücken-Festival, das vom 29. April bis zum 8. Mai stattfindet und sich in rund 50 Konzerten wie stets mit der Musik „von heute“ an ausgesuchten urbanen Orten befasst.

Der Veranstaltungstitel klingt auf Anhieb „sophisticated“; indes ist Musik als Erinnerungsspeicher auf der Basis neurologischer Signalverarbeitung ein Thema, dessen Relevanz alltagspraktische Erfahrungen – und eben auch Erfahrungen mit der Musik als solcher – sogleich sichtbar machen.

Das Leben der meisten Menschen dürfte mit musikalischen Erinnerungen und Erfahrungen gespickt sein. Oder auch anders herum: Viele einschneidende nicht-musikalische Ereignisse – das erste Date, ein schmerzhafter Verlust, eine wie immer auch nachdrücklich-unvergessliche ekstatische oder desaströse Erfahrung – verbinden sich in der Rückschau untrennbar mit Musik.

Indes kolonisiert eben auch Musik als solche unsere Erinnerungswelt. Wer je schon mal nachts aus dem Schlaf aufgefahren ist, weil er eine soeben oder auch vor langer Zeit gehörte Melodie nicht „los wird“ (üblicherweise spricht man in diesem Fall von einem „Ohrwurm“), weiß sehr genau darum – gerade weil es ihn in dieser Situation regelrecht quälen mag.

Das Wiederholungs-Phänomen

Und die Musik selbst „weiß“ es auch. In die abendländische Kunstmusik – um nur einmal sie zu nehmen – ist die Erkenntnis des Erinnerungsfaktors strukturell eingebaut, sie setzt sich auch in analytische Begriffe wie Erinnerungsmotiv und Erinnerungsreprise um. Diese für die Erscheinungsform von Musik wesentlichen Momente griffen rezeptionsästhetisch ins Leere, wenn sie nicht mit einem ihnen entgegenkommenden Hörerverhalten rechnen könnten: Generell appelliert das Phänomen der Wiederholung an ein Gedächtnis, das das „Noch einmal“ als eben solches wahrnimmt.

Musik, so könnte man fast sagen, lebt von ihrer Wiederholung – das permanent Neue führte zu unstrukturiertem Einerlei und zu Langeweile und Überdruss beim Hörer. Und bekanntermaßen erinnert Musik werk- und epochenübergreifend an sich selbst: Wenn die „Meistersinger“ Bachs Kontrapunkt adaptieren, wenn das 20. Jahrhundert auf die isorhythmische Motette des Mittelalters zurückgreift, dann zeigt dies an, dass und wie sich über die komplette Musikgeschichte ein „Erinnerungsfilm“ legt. Dabei wird die komponierte Erinnerung an das, was war, zum essenziellen und als solcher zur Wahrnehmung auffordernden Bestandteil des Neuen.

Wie klingt vergessene Musik?

Nun beinhaltet das Festivalmotto aber nicht nur die Konstellation „Musik und Gedächtnis“, sondern auch die von „Musik und Amnesie“: das Vergessen genauso von wie in Musik. Das ist zweifellos ein schwieriger Punkt, denn über die „Anwesenheit einer Abwesenheit“ lässt sich schwerlich sinnvoll und ausführlich sprechen. Dass Musik einem individuellen wie kollektiven Vergessen anheimfallen kann, darf uns vergleichsweise selbstverständlich scheinen.

„Mir fällt diese Melodie einfach nicht ein“, mag ein Musikfreund in einer einschlägigen Unterhaltung sagen, und wir finden das in der Regel ziemlich „normal“. Das menschliche Gehirn erinnert sich an Vieles, an Anderes aber halt auch nicht – wobei die Gründe der Selektion ein hochinteressanter Diskussionsgegenstand sind.

Das verordnete Vergessen

Anders verhält es sich mit der „verordneten Amnesie“, die eigentlich ein Widerspruch in sich ist, weil man ein Vergessen nicht verordnen kann – es ereignet sich unwillkürlich. So oder so kennt die Musikgeschichte zahlreiche Beispiele einer „verweigerten“ Erinnerung. Zu den bedrückendsten gehört die Verbannung jüdischer Komponisten aus den Konzertprogrammen der Nazizeit. Ein anderes Kaliber hat indes der radikal-revolutionäre Neuanfang, der in feindseliger Auflehnung die Brücken zur Tradition abbricht.

Solche Aufbrüche hat es in der Geschichte der Künste immer wieder gegeben: im italienischen Futurismus zum Beispiel und in den Avantgardebewegungen der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Pierre Boulez’ Aufruf von 1967, die Opernhäuser in die Luft zu sprengen, ist nur ein besonders militantes Beispiel. Indes begeben sich derartige Statements leicht in einen Selbstwiderspruch: Sie zehren substanziell vom Abgelehnten – und bleiben damit in der Verweigerung diesem nah.

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Allemal legen solche Gesichtspunkte es dem Festivalbesucher nahe, zum eigenen Musikhören einen reflexiven Standpunkt einzunehmen: Was passiert eigentlich in und mit meinem Gehirn, wenn ich Musik höre? Um einige Beispiele zu nennen: Ein aufschlussreiches Experiment in diesem Sinne ist Alexander Schuberts vom 5. Mai an besuchbares „Sleep Laboratory“. Eine performative Installation ermöglicht es dem Teilnehmer, sich zum Objekt der eigenen Wahrnehmung zu machen.

Morton Feldmans Zyklus „The Viola in my Life“, den Antoine Tamestit in Konzerten mit dem Gürzenich-Orchester spielt (8. bis 10. Mai), thematisiert die Erinnerung bereits im Titel. Dasselbe ist der Fall in dem partizipativen Projekt „Erinneränderungen“ während des kostenlos begehbaren Acht-Brücken-„Freihafens“ am 1. Mai, bei dem sich die Niederländer Marcel Sijm und Niels Vermeulen mit der Funktonsweise des Gehirns und dem Phänomen der Erinnerungsverfälschung befassen.

www.achtbruecken.de