Andy Warhol verstand unser Weihnachten besser als jeder andere Künstler.
Andy Warhols WeihnachtenEin Fest der Verschwendung
Andy Warhol liebte Weihnachten, er liebte Stars und er liebte den guten demokratischen Geist, der über der Konsumgesellschaft schwebt. Trotzdem taucht die Figur, die all dies in sich vereint, erst vergleichsweise spät an prominenter Stelle seines Werkes auf. Im Jahr 1981 multiplizierte er den Weihnachtsmann für seine „Mythen“-Serie mit dem Faktor 36: Auf dem schönen Großformat sieht man einen eher griesgrämigen, leicht gehetzt wirkenden Typen in Rot und Weiß, der sich ängstlich nach seinen vielen Doppelgängern umzusehen scheint.
Vielleicht war Andy Warhol in seiner Glanzzeit, den 60er Jahren, einfach zu cool, um sich zum Santa Claus seiner Kindheit zu bekennen. Er setzte triviale Stars wie Elvis und Marilyn Monroe an Stelle der christlichen Ikonen, die seine tief katholische Mutter zeitlebens verehrte, und er machte aus Konsumprodukten Kunst, indem er sie wie eine Maschine in Bildserien reproduzierte. Dahinter steckte die damals unerhörte Erkenntnis, dass in der Konsumgesellschaft alles zur Ware wird, man diese Ware aber innig lieben kann – zumal wenn einem sonst gar nichts mehr bliebe. Besser lässt sich auch unser paradoxes Verhältnis zum kommerzialisierten Weihnachten kaum umschreiben.
Andy Warhol hatte ein gemischtes Verhältnis zum christlichen Fest
Zu dem, was Weihnachten eigentlich ausmacht (obwohl es im Grunde ein Fest der Uneigentlichkeit ist), hatte Warhol (wie zu beinahe allem) ein heiß-kaltes Verhältnis. Er wuchs in einem griechisch-orthodoxen Haushalt auf, war also von Geburt an katholischer als der Papst, und griff in seinem Werk gerne auf religiöse Themen (Tod und Strafe), Motive (das Kreuz) und Materialien (Blattgold) zurück. Allerdings war dies eher eine feindliche Übernahme im Namen der Pop Art als eine Verneigung vor der Tradition. Privat besuchte Warhol regelmäßig die katholische Messe, drückte sich aber stets im Hintergrund herum – angeblich war es ihm peinlich, dass er sich als Orthodoxer in „verkehrter“ Reihenfolge bekreuzigte.
Man darf bezweifeln, dass er bei diesen Besuchen auf religiöse Unterweisung hoffte. „Die Kirche ist ein Ort, der Spaß macht“, sagte er, und vermutlich kommt man seiner Religiosität am nächsten, wenn man darin eine Mischung aus Nostalgie und Freizeitvergnügen sieht. Selbst Warhol, ein Meister der Selbstinszenierung, konnte von der Kirche in dieser Hinsicht noch etwas lernen. Auf einem berühmten Porträt, das Richard Avedon nach einem Mordanschlag vom frisch operierten Warhol machte, zeigt dieser seine Wunde wie Jesus Christus. Ansonsten hielt er sich dessen Ikonographie vom Leib und posierte lieber mit Truman Capote auf dem Titel der Zeitschrift „High Times“ als Parodie des Weihnachtsmanns.
Der Künstler umarmte das moderne Weihnachten
Geradezu innig umarmte Warhol dagegen den modernen Geist des Weihnachtsfests, als er noch kein gefeierter Künstler, aber schon ein erfolgreicher Werbegrafiker und Illustrator war. In den 1950er Jahren begann er Weihnachtskarten für das New Yorker Luxuskaufhaus Tiffany zu gestalten, fröhliche, leicht hingestrichelte oder getuschte Grüße, mit denen er eine unbeschwerte Welt des Überflusses beschwor. Auf einem Golddruck aus dem Jahr 1957 schüttet Warhol ein ganzes Füllhorn besinnlicher Motive in die Form eines Tannenbaums: Wir sehen Früchte und Musikinstrumente, Sterne und Engel, ein Herz und eine Krone, eine Weihnachtsgans, Tauben, Schmuck, eine Meerjungfrau und (schließlich sind wir in einem Kaufhaus) das Bein einer Schaufensterpuppe. Schon damals richtete Warhol seine Kunst an unserer Kauflust aus, ohne sie zu verurteilen. In seiner Weihnachtswelt ist genug Geld und Glück für alle da.
Andy Warhol hatte viele Talente. Sein größtes aber war, die alltägliche Banalität der Konsumwelt großartig, ja ergreifend aussehen zu lassen. So lässt sich wohl auch sein früher Dienst fürs Weihnachtsfest erklären: Wenn immer weniger Menschen an dessen traditionellen Geist glauben, muss man eben das, was an seine Stelle getreten ist, mit Bedeutung aufladen. Lieber ein leeres Ritual als gar keine Geschenke; lieber Familienstreit als gar keine Besuche; lieber eine kollektive Fantasie als überhaupt nichts Verbindendes in der auseinanderstrebenden Gesellschaft.
Was man für Zynismus halten könnte, ist bei Warhol so etwas wie die letzte Zuflucht des Menschen vor der Hoffnungslosigkeit. „Geld hinauswerfen, das bringt dich wirklich in Feststimmung“, heißt es in seinem „Party Book“. Man kann das durchaus christlich deuten, wenn man in der Verschwendung eine Form der Selbstlosigkeit erkennt. In einer Gesellschaft, in der die Teilhabe am Konsum das große, verbindende Glücksversprechen ist, wirkt in der Verführung zum Kauf ein guter Geist.