Lauterbach bei „Anne Will”„Ich wünschte, ich wäre der einzige Berater von Merkel“
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Berlin – Seit Montag treten die teilweisen Lockerungen in Kraft, die beim Bund-Länder-Gipfel am Mittwoch beschlossen wurden. Dabei war ursprünglich davon die Rede, dass erst ab einem Inzidenzwert von 35 gelockert werden soll. „Anne Will” fragte daher am Sonntagabend in der ARD: „Lockern auf Probe - wohin führt der Strategiewechsel in der Pandemiepolitik?“
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte von „zwei starken Helfern” gesprochen, als sie die neuen Beschlüsse vorstellte. Doch wie stark sind diese Helfer? Die Schnelltests sind noch nicht flächendeckend verfügbar, die Impfquote bleibt bislang noch im Keller. Sind da die Öffnungen nicht riskant? Unterschätzt die Politik da nicht die Gefahr einer dritten Welle?
Zu Gast bei Anne Will waren Reiner Haseloff (CDU), Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, Lisa Federle, Notärztin und Pandemie-Beauftragte des Landkreises Tübingen, Angela Inselkammer, Präsidentin des Gaststättenverbandes DEHOGA Bayern sowie Markus Feldenkirchen, politischer Autor im „Spiegel“-Hauptstadtbüro.
Es scheint, als hätten sich maßgebliche Teile der Regierung auf den Lorbeeren des Umgangs mit Corona im Frühjahr ausgeruht, meint Journalist Feldenkirchen. Nun wirft er derselben Regierung Versagen und schlechtes Regierungshandeln vor. Nein, der Beschluss sei mit „Augenmaß“ gefällt worden, kontert Ministerpräsident Haseloff. Er eröffne eine „Perspektive, wann wir etwas machen können, soweit nichts aus dem Ruder läuft“.
Reiner Haseloff ist überzeugt von den Corona-Beschlüssen
Haseloff: „Die Selbsttests haben wir erst seit Kurzem, wir versuchen sie massiv ins Schulgeschehen einzubinden.“ Der Beschluss zeige, „dass wir nicht schlagartig alles öffnen können“. Sollten die Situationen schlechter werden, lasse er es wieder zu, Bereiche schnell zu schließen. Ist das sinnvoll?
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Auch Karl Lauterbach zeigt sich alles andere als begeistert von dem Beschluss. „Ich hätte keine Öffnungen zugelassen, bevor nicht auch die Teststrategie umgesetzt ist“, erklärt er Anne Will. Wenn in Schulen, Betrieben und Testzentren ein bis zwei Mal die Woche getestet würde, ließe sich der R-Wert senken, zeigen Studien, so Lauterbach. „Dann hätten wir eine Brücke bis zu dem Zeitpunkt gehabt, an dem wir genug impfen.“
Doch die Testungen fehlen. „Stattdessen haben wir eine Kombination von zwei schwierigen Dingen: Wir haben einerseits gelockert, aber die Lockerungen werden bald keine Rolle spielen. Weil die Fallzahlen steigen.“ B.1.1.7 alleine habe einen höheren R-Wert, so Lauterbach. Die Anforderungen für Lockerungen würden wir also bald ohnehin gar nicht mehr erfüllen. „Gleichzeitig werden die Menschen unvorsichtiger.“
Lauterbach: „Wir haben einen Beschluss mit dem falschen Signal: Wir lockern. Und gleichzeitig eine Situation, die keine Lockerung zulassen. Das kann man schwer vertreten.“
Dehoga-Präsidentin klagt über fehlenden Osterurlaub
Der SPD-Gesundheitsexperte trifft eine ernüchternde Prognose: „Anfang April haben wir eine Inzidenz von 100, dann haben wir eine ganz andere Dynamik.“ Der Schlüssel seien dringend systematische Testungen in Schulen, Betrieben und Testzentren. Denn es stehe fest: „Wir können die dritte Welle nicht aufhalten.“
Auch die bayrische Dehoga-Präsidentin Inselkammer erklärt, die aktuellen Beschlüsse ließen zwar Lockerungen zu, seien aber „keine echte Perspektive” für Restaurants und Hotels. „Ostern steht vor der Tür. Und es ist schon wieder keine Zeit, in der die Deutschen Urlaub in Hotels machen dürfen.“
Sie fragt: „Wieso lässt man es zu, dass Menschen ins Ausland fahren und Urlaub machen?“ Inselkammer erklärt: „Unsere Branche könnte die Sicherheit gewährleisten. Wir haben ausgefeilte Hygienekonzepte. Davon sind wir überzeugt.“ Es gebe keinen Tag, an dem Gastronomen nicht bei ihr anrufen und weinen.
Karl Lauterbach bringt Studio mit trockener Antwort zum Lachen
Lauterbach hält dagegen: Studien zeigten, dass auch die Öffnung der Gastronomie dazu führe, dass die Fallzahlen steigen. Grund seien die Aerosole im Innenraum. „Und die Mutante ist noch ansteckender.“ Die Gefahr steige damit. Allein die Außenbereiche könnten die ersten sein, die öffnen. Mit entsprechenden Antigen-Tests. Inselkammer erkennt, dass es auf die Schnelltests ankommt: „Die brauchen wir dann eben wirklich ganz dringend!“
Mit Impfstoffen und erweiterten Testmöglichkeiten habe man „zwei starke Helfer”, zitiert Anne Will Merkel. „Sie sind doch der Berater von Angela Merkel. Warum haben Sie sie nicht davon abgeraten?”, fragt die Moderatorin in Richtung von Lauterbach.
Der antwortet knochentrocken: „Ich wünschte, ich wäre der einzige Berater von Angela Merkel.” Und bringt damit das gesamte Studie zum Lachen. „Wir sehen das aber anders”, antwortet CDU-Mann Haseloff lachend.
Viele Menschen können nicht mit Selbsttests umgehen
Dann fasst Lauterbach noch einmal zusammen: „Ich finde die Beschlüsse unglücklich.” Man müsse einmal Bestand aufnehmen. „Wieviel Schnelltests haben wir eigentlich? De facto weiß das niemand genau.”
Zudem kritisiert Lauterbach die Hoffnung in Selbsttests. „Die Leute haben keine Ahnung, wie die Tests interpretiert werden.” Denn das Ergebnis sei nur einige Stunden gültig, das wüssten viele nicht. Ein Teil der Tests gebe zudem ein falsches positives oder negatives Ergebnis.
Stattdessen müssen Schnelltests dort eingesetzt werden, wo sie am meisten Sinn machten: Schulen, Betriebe, Zentren. „Nur so bekommen wir den R-Wert gesenkt.” (red)