„Antikoloniale Eingriffe“ im Museum LudwigWer hat Angst vor Cancel Culture?
Köln – Bei einem Ausstellungstitel wie „Antikoloniale Eingriffe“ bekommen es mittlerweile wohl gar nicht so wenige Menschen mit der Angst zu tun. Vielleicht wies Yilmaz Dziewior, Direktor des Kölner Museums Ludwig, auch deswegen umgehend darauf hin, dass es in der achten Folge der „Hier und Jetzt“-Ausstellungsreihe keinesfalls darum gehe, „Dinge auszulöschen“ (das neudeutsche Reizwort canceln sorgsam vermeidend), sondern „Fragen zu stellen“. Selbstredend dürfte sich Dziewior der Banalität dieser Feststellung bewusst gewesen sein, schließlich besteht seine Kernaufgabe als Museumsdirektor darin, Kulturgüter zu bewahren und im Licht der Gegenwart neu zu „befragen“.
Auch in der Schokoladenwerbung lebten bitterböse Kolonialklischees fort
Andererseits können auch scheinbar banale Feststellungen und Fragen heutzutage Sprengstoff für Debatten bilden. Also etwa, ob man „Indianergeschichten“ noch erzählen kann wie zu Zeiten des edlen Möchtegernwilden Karl May? Oder ob in der Schokoladenwerbung nicht allzu lange bitterböse Klischees über koloniale Herren und „schwarze“ Diener fortlebten?
Um letztere geht es etwa in einer Videoperformance von Paula Baeza Pailamilla, die vor Ladenlokalen schweizerischer Chocolatiers die servile Haltung von „Mohren“ und anderen Schokoladenmaskottchen nachahmt. Von Lindt & Sprüngli ist es dann nur ein kleiner Schritt zu jenem Aachener Schokoladenunternehmen, mit dem Peter Ludwig seinen Reichtum und die Sammlung des Kölner Museums Ludwig begründete.
Die Idee ist nicht ganz neu. Bereits Hans Haacke nahm sich die teils prekären Arbeitsbedingungen in den Fabriken Ludwigs vor und rechnete sie gegen den kulturellen Profit auf, den ein bürgerliches Publikum aus seiner weltberühmten Sammlung zog. Bei Pailamilla ist die Verknüpfung zu Ludwig, dem Schoko- und Kulturkapitalisten, allerdings deutlich loser. Im Grunde belässt es die chilenische Künstlerin bei allgemeinen Hinweisen auf die koloniale Vergangenheit von Kakao- und Zuckerimporten von Afrika nach Deutschland.
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Pailamilla ist eine von vier lateinamerikanischen Künstlern und Künstlerinnen, die Gastkuratorin Joanne Rodriguez nach Köln einlud, um sowohl die Sammlung wie auch die Sammlungsgeschichte des Museums Ludwig kritisch und im antikolonialen Geist zu befragen. Ihre für Köln entstandenen Arbeiten sind in einer kleinen Sonderschau im ersten Stock zu sehen, einzelne „Eingriffe“ wurden als Texttafeln und QR-Codes in der ständigen Sammlung verteilt.
Hinter letzteren verbergen sich Videostatements, die man sich aufs Smartphone laden kann, die Texttafeln (eigentlich sind es blaue Zettel) informieren unter anderem darüber, dass der „Primitivismus“ der Klassischen Moderne eine Flut klischeehafter und mitunter rassistischer Darstellungen des „Südens“ in die europäischen Museen spülte. Auch dies ist eine mittlerweile allgemein akzeptierte, um nicht zu sagen banale Erkenntnis - zumal in Fachkreisen.
Leider findet Pável Aguilar für seine durch Musikinstrumente annoncierten „Eingriffe“ nicht immer anschauliche Fälle in der Ludwig-Sammlung. Selbstredend ließ sich Pablo Picasso von afrikanischen Masken inspirieren, ohne sich groß um deren historische Wahrheit zu kümmern; aber seine späten Töpferarbeiten sind eher nicht dazu geeignet, als Exempel für diese kulturelle Ausbeutung zu dienen. Schlagender ist das Beispiel des Expressionisten Hermann Scherer, dessen „exotische“ Figuren freilich erst kürzlich Gegenstand einer kritischen „Intervention“ im Ludwig waren.
Daniela Ortiz beutet einen surrealistischen Klassiker aus
Mitunter gewinnt man den Eindruck, die geladenen Künstler liefen Türen ein, die ihnen das Museum Ludwig bereitwillig offen hält – nun müsste ihnen nur noch ein lernwilliges Publikum folgen. Paloma Ayala scheint dabei der Losung „Wie sag ich’s meinem Kinde?“ anzuhängen, wenn sie das Publikum zum fröhlichen Töpfern mit Tonklumpen einlädt. Der Clou ihrer Knetkunst besteht darin, dass die 650 verzierten Klumpen Details aus Sammlungsstücken zitieren (was sich freilich kaum nachvollziehen lässt) und der von Besucherhand geformte Ton für die Dauer der Ausstellung in die Sammlung eingeht. Auch so kann man den „weißen“ Kanon der Kunstgeschichte aufbrechen, wenn auch nur symbolisch und für begrenzte Zeit.
Deutlich erkennbar greift hingegen Daniela Ortiz in die Sammlung ein. Sie hängt eine Bilderreihe neben Max Ernsts „Die Jungfrau züchtigt das Jesuskind vor drei Zeugen“, allerdings nur um diesen Klassiker des Surrealismus ihrerseits auszubeuten, indem sie ihn mit der realen Geschichte des neunjährigen kolumbianischen Jungen Jesus Ander verknüpft, der, nachdem er von seinen Eltern getrennt wurde, in einem spanischen Flüchtlingslager zu Tode kam.
Gezüchtigt werden bei Ortiz nun drei weiße Betreuerinnen, in deren Obhut der kleine Jesus starb. Man mag das etwa gewollt finden. Aber immerhin kehrt Ortiz die Machtverhältnisse hier einmal um.
„Hier und Jetzt im Museum Ludwig: Antikoloniale Eingriffe“, Museum Ludwig am Dom, Köln, Di.-So. 10-18 Uhr, bis 5. Februar.