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„Asche“ am Schauspiel KölnSo trauert Elfriede Jelinek um ihren Ehemann

Lesezeit 5 Minuten
ASCHE
von Elfriede Jelinek
Regie: Kamila Polívková
 
Regie: Kamila Polívková
Bühne & Video: Antonín Šilar
Kostüme: Elke von Sivers
Musik: Þóranna Dögg Björnsdóttir
Licht: Jürgen Kapitein
Dramaturgie: Dominika Široká
 
Foto: Max Borchardt

Das Ensemble von „Asche“ im Depot 2 des Schauspiel Köln

Die tschechische Regisseurin Kamila Polívková inszeniert Elfriede Jelineks Trauertext „Asche“ am Schauspiel Köln. Unsere Kritik.

„Asche“, Kamila Polívkovás Inszenierung von Elfriede Jelineks schwärzestem und persönlichstem Stück, wurde vom Kölner Schauspiel mit einem Warnhinweis versehen: „Bitte beachten Sie, dass es im Saal aufgrund des Schnees auf der Bühne etwas kühler sein kann als gewohnt.“ Und in der Tat verlässt man das Depot 2 nach knapp anderthalb Stunden mindestens fröstelnd, wenn nicht durchgefroren bis aufs Mark.

Das liegt jedoch weniger an der dünnen Schneedecke, die ist schon pfützenweise aufgetaut, sondern an der endzeitlichen Verlassenheit, die der Text heraufbeschwört. Vor allem in Gestalt von Cristin König als Avatar der Autorin. Ihre Rolle wird in der Spielvorlage schlicht mit „Sie“ angegeben, die Kostümbildnerin Elke von Sivers hat sie in schlichtes, weit geschnittenes Schwarz gekleidet, verzichtet Gott sei Dank darauf, weitere Ähnlichkeiten mit der österreichischen Literaturnobelpreisträgerin auszustellen.

Im September 2022 war Jelineks Ehemann Gottfried Hüngsberg gestorben

Eigentlich markiert „Asche“ – nach „Sonne“ und „Luft“ – den Abschluss einer Trilogie, in der Elfriede Jelinek die vom Menschen zerstörte Landschaft beschreibt, die ganze Erde als locus terribilis der Klimakatastrophe beweint. Doch in diesem finalen Teil kommt noch ein zweiter, intimerer Abschied hinzu: Im September 2022 war ihr Ehemann, der Informatiker, Musiker und gelegentliche Komponist für Rainer Werner Fassbinder, Gottfried Hüngsberg, im Alter von 77 Jahren gestorben.

Die Wiener Autorin und der Münchner Musiker waren fast 50 Jahre lang miteinander verheiratet gewesen. Der leere Abgrund muss unermesslich wirken. „Ich hab ein glühend Messer in meiner Brust“, klagt Cristin König in Köln in Stellvertretung der untröstlichen Dramatikerin, „keiner zieht es mir raus, weil sonst an dieser Stelle ein Loch bliebe zum Durchschauen.“ Bitterkeit klingt durch, auch herber Humor, aber gefühlig wird es nie.

König spricht in gemessenem Tempo und größtmöglicher Klarheit, trotzdem ist es nahezu unmöglich, dem Lauf der Gedanken auf ganzer Strecke zu folgen. Der Text mäandert wie ein dunkler Bach durch nächtlichen Wald, Jelinek ruft die griechischen Götter herbei und die neuesten Nachrichten, verliert sich in scheinbar Nebensächlichem, kalauert und heideggert dafür allerdings sehr viel weniger, als man das von ihr erwartet.

Neben der kargen Schneelandschaft hat sich eine kleine Bühne geöffnet. Ein kleiner, holzvertäfelter Trauerraum. An der linken Wand steht eine Reihe aus Holzstühlen, darauf sitzen vier eher gelangweilt wirkende Trauernde – Peter Fasching, Zainab Alsawah, Mathias Max Herrmann, Kristin Steffen –, die sich bald als die vier Grundelemente entpuppen, Feuer, Wasser, Erde, Luft. „Zweifelhafte Elemente“ schimpfen sie sich selbst im Stück, denn angesichts der irreversiblen Eingriffe des Anthropozäns zweifeln und verzweifeln die allegorischen Figuren an sich selbst: Warum man das Wasser nicht gleich aus Plastik hergestellt hat, fragt Peter Fasching als „Feuer“ sarkastisch: „Wir hätten uns viel erspart, und es hätte ansprechend gut ausgesehen. So mussten wir das Plastik erst hineintun, damit das Wasser seine Zerstörer, die dafür einmal ihre eigene Plastik bekommen werden, überhaupt noch erkennt.“

Man denkt an die extremen Close-ups von glühenden Zigarettenenden in David-Lynch-Filmen

Ein Fenster durchbricht die rechte Wand des Trauerraums, davor beleuchtet eine Neonröhre eine Anrichte, Wasserkocher, Gläser, eine Vase mit weißen Lilien, dahinter dräut das Schwarz und im Schwarz versteckt sich eine Kamera (Bühne und Video: Antonín Šilar). Die fängt mal die chorische Gruppe aus den Elementen-Darstellenden und der Protagonistin ein, mal wirft sie riesige Livebilder winziger Ereignisse an die Wand des Depots. Die Erde in ihrem Fokus entpuppt sich als Schlüsselanhänger, dahinter raschelt die zerknüllte Verpackung eines „Mars“-Riegels. Verfaulendes Obst bildet ein Nature-morte-Gemälde. Ein Teebeutel zieht im sprudelnd kochenden Wasser, blutrote Schwaden lösen sich aus den Blättern und Früchten.

Man denkt an die extremen Close-ups von glühenden Zigarettenenden in David-Lynch-Filmen, dazu passt auch das unheimliche Dröhnen und Flüstern der Musik (Þóranna Dögg Björnsdóttir). Vielleicht ist das ja die Trauer: Der Alltag kippt ins Irreale, kleine Gesten vergrößern sich ins Monströse.

Bevor sie ins Regiefach wechselte, hat Kamila Polívková in Tschechien lange als Kostüm- und Bühnenbildnerin gearbeitet. Das glaubt man im Depot 2 in der Sorgfalt zu erkennen, die sie den Mikromomenten des Abends widmet: Eine exakt choreografierte Abfolge von Handlungen wird vom Ensemble mit großer Präzision wiederholt, an der weißen Wand oberhalb der Holzpaneele breitet sich langsam ein brauner Fleck aus, Zainab Alsawahs Kette aus purpurnen Eisperlen schmilzt auf ihrer Bluse.

Man kann „Asche“ als große Weltabsage auf die Bühne bringen, als barocken Bildersturm, wie es Falk Richter in den Münchener Kammerspielen getan hat, oder als postapokalyptischen Zirkus wie bei Jette Steckel am Hamburger Thalia-Theater. Polívkovás hat sich fürs unterkühlte Kammerspiel entschieden, ganz still, gedämpft vom Schnee, geht hier die Welt zugrunde und die Einsamkeit und Isolation der Zurückgelassenen kriechen dem Publikum förmlich die Hosenbeine hoch: „Ja, nicht nur dich, mein Liebster, gibt es nicht mehr, es gibt, da es dich nicht mehr gibt, keine Menschen mehr auf der Welt, es muss aber welche geben, irgendwo!“, stößt Cristin König am Ende aus. Und fügt hinzu: „Wenn auch nicht für mich.“

Trost finden Trauernde oft in der Natur, im Caspar-David-Friedrich-Blick in die Ferne. Aber der ist, sagt die Erde, ja weg: „Alles scheint total flach zu sein.“ Oder, wie das Feuer ergänzt: „Alles ist verbrannt. Alles Asche.“ Trotz seiner Kürze, ein einfacher Abend ist das nicht. Aber dafür ein substanzieller.