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Astronautentrainerin Laura Winterling„Was uns noch fehlt, ist ein Kind im All“

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Laura Winterling

  1. Laura Winterling hat zehn Jahre lang für die ESA Astronauten wie Alexander Gerst und Chris Hadfield trainiert.
  2. Bald schon, glaubt die Wahl-Kölnerin, wird die kommerzielle Raumfahrt so normal sei wie heute das Fliegen.
  3. Anlässlich des Films „Astronaut“ mit Richard Dreyfuss trafen wir sie im Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum.
  4. Das Gespräch führte Christian Bos.

KölnLaura Winterling, wie viele Astronauten haben Sie trainiert?Laura Winterling: In den fast zehn Jahren, in denen ich bei der ESA angestellt war, habe ich ungefähr 80 Astronauten kennen gelernt.

Gibt es eine Eigenschaft, die alle Astronauten gemeinsam haben?

Da gibt es sogar drei. Die erste Eigenschaft: Sie sind alle sehr sozial. Die können sehr gut in einer Gruppe klarkommen und sich dort einfügen. Zweitens: Sie sind sehr verlässlich. Das ist auf einer Raumstation ganz brauchbar. Die dritte Eigenschaft ist für mich die schönste: Das sind alles kleine Kinder voller Neugierde. Das innere Kind, dass die meisten von uns irgendwann zwischen 13 und 25 Jahren verlieren, ist denen geblieben. Da kann man sich eine Scheibe von abschneiden.

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Und die Unterschiede? Es kann doch nicht jeder Astronaut jeden Aspekt der Ausbildung gleich gut meistern?

Das sind ja auch nur Menschen. Natürlich stehen die vor denselben Herausforderungen wie wir. Manchen fällt es schwer morgens aus dem Bett zu kommen, anderen, komplizierte Mathe-Aufgaben zu lösen. Das liegt auch an den unterschiedlichen Laufbahn. Manche kommen aus der Wissenschaft, andere aus dem Militär, waren früher vielleicht Testpiloten.

Gemeistert werden müssen trotzdem alle Aufgaben?

Das sollten Sie. In der Raumfahrt muss eine große Disziplin an den Tag gelegt werden. Aber natürlich kann man gar nicht alles zu 100 Prozent erledigen. was die Astronauten also vor allem lernen müssen ist: Wie finde ich schnell eine Lösung, wenn die Dinge schief gehen? Der Leitsatz lautet: Don‘t panic.

Man muss als Astronaut vom Typ her also eher unerschütterlich sein?

Da kommt diese kindliche Neugierde ins Spiel. Sich bei einem Fehler eben zu sagen: Okay, dann ist das die Hürde, die ich nehmen muss. Wir haben einen Ausspruch: Use as is. Nimm es, wie es ist.

Was genau waren Ihre Aufgaben als Astronautentrainerin?

In meinem allerersten Jahr habe ich ein Handbuch für unseren Konsolenplatz im Kontrollzentrum in München für den Eurocom, demjenigen, der sich mit den Astronauten auf der ISS als Einziger unterhalten darf, geschrieben. Durch diese Arbeit habe ich viele der Astronautentrainer kennen lernen können und mich schließlich beworben. Ich habe sechs Jahre lang, dieses Baby, das hier hinter uns steht, unterrichtet. Das ist das Modell des Versorgungsraumschiffes der europäischen Raumfahrtagentur. Ich hätte auch für unser Forschungslabor arbeiten können, aber ich wollte das Raumschiff. Zum einen, weil es sich bewegt, zum anderen, weil es ganz hinten an der Raumstation andockt und das ist der russische Teil. Ich wollte unbedingt nach Russland. Da hat für mich eine Achterbahnfahrt angefangen. Ich durfte sofort in Russland mitarbeiten, auch im Kontrollzentrum. War bei den Starts der Sojus Rakete mit dabei. Habe auch bei der Nasa mitgearbeitet.

Notfallprozeduren werden nicht auswendig gelernt

Muss man als Astronautentrainerin auch selbst erst lange trainieren?

Das ist eine mehrwöchige Ausbildung. Man muss vor allem lernen, was es heißt, zu unterrichten, und zwar mehrsprachige Crews auf Englisch. Wie man Feedback gibt. Man muss auch ein bisschen Entertainer sein: Wenn es Montagmorgen, 8:30 Uhr ist und vor mir sitzt eine Crew aus Russland, Amerika und Europa, und zwei davon haben unterschiedliche Jetlags, dann muss ich die acht Stunden bei mir behalten.

Am Ende müssen Sie und ihre Schüler wohl alle Abläufe im Schlaf kennen?

Da bin ich ein bisschen zwiegespalten. Wir trainieren unsere Astronauten über einen Zeitraum von fast drei Jahren, um eine gewisse Routine aufzubauen. Sie kennen das vom Autofahren, wenn sie zur Arbeit fahren und manchmal gar nicht mehr wissen, wie sie dahin gekommen sind. Diese Routine ist lebenswichtig, weil sie den Kopf frei räumt, uns die Kapazitäten gibt, schwierige Entscheidungen zu treffen. Trotzdem werden Notfallprozeduren – das ist in der Fliegerei genauso, wie bei der Raumfahrt – nicht auswendig gelernt.

Warum?

Weil man sonst Fehler macht. Die Prozeduren sollen abgelesen werden, nach einer Liste und am besten von zwei Leuten. Das ist wie wenn sie in den Urlaub fahren: Wenn sie keine Liste machen, vergessen Sie am Ende bestimmt irgendwas. Und wenn es bei den Abläufen hakt, muss die Liste eben ergänzt werden. Da muss dann oben auf der Raumstation wieder eine Seite ausgedruckt werden, und die kommt dann ins Ringbuch.

„Frauen haben die gleichen Chancen wie Männer“

Sie haben in Bayreuth Physik studiert. Wie war denn da die Frauenquote?

Wir waren 35 Studenten und davon vier Mädels.

Und bei der ESA?

Könnte die Frauenquote natürlich auch ein bisschen höher sein.

Ist es schwerer für Frauen, eine Stelle in der Raumfahrt zu bekommen?

Frauen haben die gleichen Chancen wie Männer, sie müssen es nur auch endlich einmal kapieren. Nicht aufgeben, nicht in der Kurve zu bremsen anfangen. Man muss es einfach durchziehen.

Trotzdem war noch keine deutsche Frau im All.

Dann ist ja noch ein Platz frei, finde ich gut.

Sie haben sich doch auch als Astronautin beworben?

Das war 2008. Da war ich noch ein Küken. Das musste einfach sein, ich hatte das hier ja direkt vor Augen, wie der Esel die Karotte. Damals ist Alexander Gerst bei der Auswahl herausgekommen. Das hat also schon gepasst. Bei dem Projekt „Die Astronautin“ bin ich dann unter die ersten 30 gekommen und habe darauf die Finalistin Nicola Baumann als PR-Managerin betreut.

Traum noch nicht begraben

Das heißt, Sie haben den Astronautinnen-Traum inzwischen für sich begraben?

Nein, der ist immer noch da. Deswegen promote ich ja jetzt auch mit ganz viel Liebe und Herzblut diesen Film „Astronaut“ . . .

. . . in dem Richard Dreyfuss einen Altenheimbewohner spielt, der sich für einen Platz im ersten privaten Raumfahrtflug bewirbt.

Ich habe fast dasselbe Problem wie Richard Dreyfuss, ich bin vielleicht auch ein bisschen über dem erwünschten Altersschnitt. Aber wenn die ESA in naher Zukunft noch mal eine Auswahl macht, bin ich wieder mit dabei.

Wie wichtig ist das Alter? Es fliegt ja zum Beispiel auch kein 20-Jähriger ins All?

Könnte er aber. Ein schönes Bild, das uns fehlt, ist ein Kind im All. Was würde das mit allen anderen Jugendlichen auf dieser Erde machen, wenn wir einen Jugendlichen ins All schicken und sie sehen: Oh, das geht?

Raumfahrt, mehr 3D geht nicht

Sie sind ja lange nach der großen Weltraumbegeisterung der 1960er Jahre geboren. Was hat sie als junges Mädchen an der Aussicht fasziniert, Astronautin zu sein?

Ich hätte nach dem Abitur überall hin gehen können, nach Yale oder Stanford. Stattdessen habe ich mich für ein popeliges College in Florida entschieden. Warum? Weil man von da aus die Space Shuttles starten sehen konnte. Als Kind auf dem Land konnte ich von unserem Garten aus die Sterne sehen, wichtig waren auch die Was ist was?-Bücher, die mir meine Großmutter geschenkt hat.

Daher kamen diese kindlichen Fragen: Was ist denn da? Und warum? Ich hatte immer das Gefühl, dass ich etwas in 3D machen will. Ich hatte während des Physikstudiums keine Ahnung, was ich mal werden will. Die Antwort kam auf einer Exkursion zum DLR und der ESA in Köln (da wo wir jetzt sitzen): Raumfahrt, mehr 3D geht nicht. Ich habe in meinem Leben eine einzige Bewerbung geschrieben und das war die hier. Gerhard Thiele war mein Chef, ich habe das Büro von Thomas Reiter geerbt. Ein Traum.

Nochmal zurück zum Film: Richard Dreyfuss‘ Charakter ist über 70 Jahre alt und herzkrank und will trotzdem ins All fliegen. Ich bin übergewichtig und unsportlich, aber ich würde schon auch gerne. Kann denn jeder Weltraumtourist werden?

Warum nicht? Darf denn jeder mit dem Flugzeug fliegen? Natürlich. Und so wird es mit der Raumfahrt auch sein. Der Film ist also höchst aktuell. Alle denken, die kommerzielle Weltraumfahrt wäre noch so weit weg. Aber Elon Musk hat es ja schon geschafft. Wir haben jetzt ein Unternehmen, das alleinständig und für einen Bruchteil des Geldes, das wir vorher bezahlt haben, Menschen ins All transportieren kann. Jahrelang konnten nur die Russen Menschen zur ISS transportieren. Die haben natürlich die Preise gemacht und sich die Hände gerieben. Das wird jetzt ganz anders sein. Schauen Sie, das iPhone gibt es auch erst seit 2006 und wir können uns ein Leben ohne Smartphone schon gar nicht mehr vorstellen.

An alle Störenfriede

Einen Nachteil hat die kommerzielle Raumfahrt aber doch. Das Apolloprogram war die gemeinsame Anstrengung einer ganzen Nation. Jetzt, wo Milliardäre wie Musk oder Jeff Bezos die Entwicklung vorantreiben, geht da nicht der demokratische Geist der Raumfahrt verloren?

Wir arbeiten ja immer noch an der großen Aufgabe. Die besteht ja noch. Wir geben durch die kommerzielle Raumfahrt das, was bisher die elitäre Aufgabe einiger Agenturen war, an alle Nationen weiter. Das ist der nächste Schritt. Ich werde oft gefragt, was überhaupt der Sinn der Raumfahrt sei, warum wir ins All fliegen. Dann sage ich: Warum denn eigentlich nicht? Es ist ja da. Jeder Bergsteiger geht auch den Berg hoch, weil er da ist und natürlich geht er bis ganz oben. Außerdem sind wir neugierig. Und während wir unsere Neugierde befriedigen, erfinden wir viele neue Dinge, die dann wieder in andere Industriezweige zurückgehen. Wenn Leute fragen, warum fliegen wir dann nicht mehr zum Mond?, antworte ich: Wir waren ja da, gehen jetzt zurück, bauen eine Mondbasis und müssen dann zum Mars.

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Aber es macht doch einen Unterschied, ob wir alle vom Mars träumen oder nur Elon Musk?

Das stimmt. Analog zur berühmten Rede von Kennedy am Anfang des amerikanischen Mondprogramms gibt es noch eine zweite berühmte Motivationsrede und die ist von Steve Jobs: „This goes out to the crazy ones, the misfits, the rebels...“ Es werden also die Verrückten angesprochen, die man abtut, weil sie sich nicht an Normen halten, die Störenfriede. Gerade in Deutschland denken wir von A nach B nach C, so sind wir erzogen. Und dann kommt jemand und denkt von A nach G und alle sagen, das ist viel zu schnell. Aber Musk versorgt die ISS seit 2010, das hätten wir ohne ihn nicht hingekriegt.

Botschafter eines größeren Ziels

Das bedeutet aber auch Risiko. Wir können doch jetzt nicht so tun, als wäre Astronaut ein risikoarmer Job? Bleiben wir bei Elon Musk: Als jetzt zum ersten Mal Astronauten mit seiner Dragon2-Rakete geflogen sind, müssen sie doch auch die Daumen besonderen fest gedrückt gehalten haben?

Das mache ich immer. Die Astronauten sind ja am Ende der Ausbildung mehr Freunde als Arbeitskollegen. Chris Hadfield, der kanadische Astronaut, hat einmal gesagt, dass sie nicht betend in ihrer Kapsel sitzen, die haben ihr Zeug gelernt, die sind sich des Risikos bewusst, es gibt keine Angst. Die fliegen ja für uns ins All. Es gibt nur eine andere Sache, die so viele Menschen beflügelt, wie die Raumfahrt.

Lassen Sie mich raten: Fußball.

Genau. Und was passiert beim Fußball? Zwei Mannschaften spielen gegeneinander. Aber Raumfahrt ist kein Gegeneinander, da schauen alle in dieselbe Richtung, nach oben. Das ist das schönste Bild, das Raumfahrt wiedergibt.

Um das wieder etwas zu entzaubern: Sie haben das Leben auf der ISS mit dem Big Brother Container verglichen.

Na ja. Es ist eine Kapsel und von außen schauen eine Menge Leute zu. Ab acht Uhr früh werden die Kameras an Bord eingeschaltet und jeder darf mitschauen.

Weshalb Astronauten heute auch PR-geschult sein müssen?

Im Laufe des Auswahlprozesses wird schon geguckt, ob sich jemand gut ausdrücken kann. Wer diesen Beruf annimmt, wird damit Botschafter eines weitaus größeren Zieles. Er wurde hinauf geschickt, er kann diese Perspektive von oben herab einnehmen. Jetzt ist es seine Aufgabe, dies mit anderen zu teilen. Ich frage bei meinen Vorträgen gerne, ob wir schon auf dem Mars waren? Dann sagen die meisten: Nein. Und ich sage doch: Die süßesten kleinen Roboter fahren da herum. Aber wir haben eben noch nie einen Menschen geschickt. Wir brauchen das Erlebnis, dass da einer von uns steht.