Ausblick auf die erste Opern-PremiereWarum „Les Troyens“ ein wahres Meisterwerk ist
Köln – Erst die Einführung in Werk und Produktion im moderierten Talk mit Regisseur und Dirigent; dann, als Appetithappen, der Besuch einer Probe mit Sängern, Chor und Orchester – im Angesicht der Bühne im Saal 1 des Staatenhauses, auf der am kommenden Samstag auch die erste Saisonpremiere steigt. Noch bevor es richtig losgeht, setzt Hein Mulders, Kölns neuer Opernintendant, beziehungsweise sein Chefdramaturg Stephan Steinmetz mit einem neuen Format – eben dem „begleiteten“ Probenbesuch des Publikums – neue Akzente.
Überhaupt startet die Ära Mulders mit Aplomb – was freilich nicht nur sein Verdienst ist. „Les Troyens“, Hector Berlioz’ spätes Hauptwerk, stand schon lange auf der Wunschliste von GMD François-Xavier Roth, der damit jetzt, nach „Benvenuto Cellini“ und „Béatrice et Bénédict“ – seinen Zyklus mit den Opern des Landsmannes zum Abschluss bringt.
Im Gespräch mit Steinmetz zeichnet er noch einmal die komplexe und widerständige Rezeptions- und Aufführungsgeschichte des Werkes nach, das ihm selbst, wie er sagt, seit seinen Assistenzzeiten bei den britischen Berlioz-Experten Colin Davis und John Eliot Gardiner sehr vertraut sei: „Es wird nicht so oft gespielt, wurde in Frankreich noch im 20. Jahrhundert ignoriert, aber es ist ein Meisterwerk.“
Die Anforderungen sind hoch
Die Gründe für die einschlägige Enthaltsamkeit der Opernhäuser liegen auf der Hand: Die Anforderungen an die Sänger und auch an den Chor sind sehr hoch, zumal, wie Roth betont, Französisch auf der Opernbühne „schwierig ist“. Und die Länge – die Nettoaufführungsdauer liegt bei (mehr als) vier Stunden – schreckt ebenfalls ab. Bei Wagner akzeptiert man diese Ausmaße, aber bei Berlioz?
Stichwort Wagner. Obwohl „Les Troyens“ mit dem von Berlioz selbst auf der Grundlage von Vergils „Aeneis“ verfassten Libretto motivisch mit der „Ring“-Tetralogie einiges gemeinsam hat – den Zusammenstoß einer unvollkommenen Götter- mit einer ebenso unvollkommenen Menschenwelt –, erscheint dieses fünfaktige Werk in der Tradition der Grand Opéra, das zeitgleich mit „Tristan und Isolde“ entstand, auf Anhieb nahezu wie ein Gegenentwurf zu jener: Nummerngliederung statt Durchkomposition mithilfe von Leitmotiven, absoluter Vorrang der Musik vor der Sprache, schönes „klassisches“ Arienmelos und eine gegenüber Wagners Chromatik „simple“ Harmonik. Die Formensprache mit ihren Wiederholungsstrukturen stammt Scala zufolge aus dem 18. Jahrhundert. „Berlioz’ Modernität“, ergänzt Roth, „liegt woanders: in der Idiomatik des Orchesters und seiner Klangfarben.“
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Immerhin sieht Aeneas-Singer Enea Scala im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ das Liebesduett „Nuit d'Ivresse“ als einen „absoluten Gipfel des Belcanto“. „Er wusste sehr gut, wie man für die Stimmen schreibt“ begeistert sich Dido-Interpretin Veronica Simeonie: „Und was ich am meisten an seiner Musik mag, ist, dass er einen starken Sinn für Theater hat, sehr süße und sentimentale Teile mit blutigen, gewalttätigen Dramen abwechselt – mit einer unglaublichen Energie, extrem direkt und roh.“
Die Götter treten nicht persönlich auf
Erath weist auf einen weiteren, einen Unterschied in der Dramaturgie zwischen Berlioz und Wagner hin: „Die Götter werden bei Berlioz angesprochen, treten aber nicht persönlich auf.“ Sie sind – Ludwig Feuerbachs Religionsphilosophie lässt grüßen – menschliche Projektionen. Nun war Feuerbach bekanntermaßen auch für Wagner ein wichtiger Anreger. So wird das Verhältnis der beiden Musikgiganten bei näherem Hinsehen dann doch komplexer, lässt sich nicht mehr ausschließlich in Gegensätzen beschreiben.
Auch in den „Troyens“ geschieht Erath zufolge eine Dekonstruktion der Götterwelt, eine „Götterdämmerung“ eigener Art. Und „wichtige Dinge werden nicht gezeigt, sondern nur, als Mauerschau, berichtet“. Tatsächlich wird auch im „Ring“ sehr viel erzählt – womit sich die lähmende Übermacht des Gewesenen und Geschehenen über die Gegenwart erweist.
Informationen zur Oper
„Les Troyens“ haben Premiere am Samstag, 24. September, 17 Uhr, im Saal 1 des Deutzer Staatenhauses. Regie führt Johannes Erath, es spielt das Gürzenich-Orchester unter François-Xavier Roth. In den Hauptpartien singen Isabelle Druet (Kassandra), Enea Scala (Aeneas) und Veronica Simeoni (Dido).
Grundsätzlich steht jede Inszenierung der „Troyens“ vor der Herausforderung, den zweigeteilten und lediglich durch Aeneas verbundenen Plot zusammenzuhalten – die Geschichte um den Untergang Trojas und Aeneas’ Flucht nach Karthago, dann seine Liebe zu Dido, der er entsagen muss ob seines „numinosen“ Auftrags, Rom zu gründen. Eine Möglichkeit der Integration sieht Erath darin, die zentralen und jeweils im Selbstmord endenden Frauengestalten – Kassandra in Troja und Dido in Karthago – „als die zwei Seiten einer Medaille“ aufzufassen: „Kassandra hat Angst vor Penetration – sie will ja auch das hölzerne Pferd nicht hereinlassen –, und Dido hat Angst, loszulassen. Beide verhalten sich antagonistisch.“
Minimalistische Inszenierung
In der minimalistischen und auf konkrete Antikenassoziationen weitgehend verzichtenden Inszenierung schlägt eine Einheitsbühne den großen Bogen über die Akte 1 und 2 (Troja) sowie 3 bis 5 (Karthago). Dazu sei nur so viel verraten: In der Bühnenmitte befindet sich das Orchester – tatsächlich, so Erath, „das Zentrum, aus dem alles kommt“. Und damit auch die extremen Kontraste von „klanglicher Gigantomanie und Kammermusik“ (Roth).
„Les Troyens“ sind, daran lässt die Produktion keinen Zweifel, im Kern eine tragische Oper. Die Tragik hat dabei auch ihre „Oasen“, etwa im Liebesidyll von Dido und Aeneas. „Das ist fast zu schön“, findet Erath – und sieht hier das Einfallstor für ein Interpretationselement, das dem Werk auf Anhieb so gar nicht eigen zu sein scheint: für Ironie.