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Ausstellung im Kölner SkulpturenparkSchlägt jetzt die Natur zurück?

Lesezeit 4 Minuten

Mahnmal für das Artensterben: „Lonesome George“ von Ayse Erkmen

  1. Der Kölner Skulpturenpark zeigt erstklassige moderne Kunst umsonst und draußen - ideal für den coronafreien Ausstellungsbesuch.
  2. In der aktuellen Schau geht es um ausgestorbene Arten, natürliche Anpassungsstrategien, die Herrschaft der Natur und darum, was zeitgenössische Künstler daraus machen.
  3. Ein Rundgang mit Schnecken, Libellen, Rübezahl und sprechenden Bäumen.

Köln – Anfang letzten Jahres ging eine Todesanzeige um die Welt. Eine einsame, auf den Namen George hörende (oder auch nicht) hawaiianische Baumschnecke war nach langer Gefangenschaft gestorben. „Lonely George“, so der Rufname, galt als der letzte seiner Art, 14 Jahre hatten Wissenschaftler versucht, ein passendes Weibchen aufzutreiben.

Eine Schnecke als Mahnmal für das Artensterben

Jetzt ist George wieder auferstanden, allerdings nur in Gestalt einer lebensgroßen Bronze. So klebt er nun auf halber Höhe am Stamm eines Baums, kommt nicht vom Fleck und trägt außer dem eigenen Gehäuse auch eine symbolische Last.

Für die Künstlerin Ayse Erkmen ist ihr kleines Werk ein Mahnmal des Artensterbens, und so hat sie George auch einen anderen Beinamen verpasst. Aus „Lonely“ wurde „Lonesome“ in Erinnerung einer ähnlich einsamen, aber deutlich prominenteren Galapagos-Schildkröte.

Als Baum maskierter Funkmast von Dane Mitchell

Man tritt George (und Ayse Erkmen) wohl nicht zu nahe, wenn man ihn den Posterboy der zehnten Ausstellung im Kölner Skulpturenpark nennt. Seit 1997 sind hier, im Verkehrsgetümmel zwischen Rheinufer und Zoo, moderne Skulpturen auf einem grünen Quadrat zu sehen, seit 2008 wird die Initiative des verstorbenen Sammlerpaars Michael und Eleonore Stoffels von einer Stiftung mit wechselnden Ausstellungen fortgeführt. Dabei wird das feste Skulpturenensemble jeweils um thematisch mehr oder weniger eng verbundene Leihgaben ergänzt – in diesem Jahr folgen die acht Neuzugänge dem Titel „Über Natur – Natural Takeover“.

Allerdings übernimmt die Natur auch in der von Tobias Berger aus der Hongkonger Quarantäne kuratierten Ausstellung nicht das Kommando über den Skulpturenpark. Berger ging es eher um die Frage, wie sich die Natur gegenüber der kulturellen Übermacht des Menschen verhält, wie die Kunst die vielfältigen Überlebensstrategien von Flora und Fauna in ihren Werken aufgreift und auf welches Format sich eine Außenskulptur eigentlich schrumpfen lässt – das aber eher nebenbei.

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George ist nämlich nicht das kleinste Objekt im Kölner Skulpturenpark. Diesen Rang läuft ihm eine echte Libellenlarve ab, die John Bock allerdings in eine große Vitrine gesetzt hat und die Vitrine wiederum in das große, begehbare und nunmehr durch eine Klanginstallation beschallte Betonloch im Park. Bock zitiert das Märchen vom Scheinriesen – je näher man seiner Arbeit kommt, desto kleiner wird sie – und zeigt am Beispiel der Libelle eine bewährte natürliche Überlebensstrategie: die Verwandlung. Die längste Zeit ihres Lebens verbringen Libellen im Larvenstadium als Jäger unter Wasser; erst danach häuten sie sich und fliegen davon.

Anders als die Georges dieser Tierwelt passen sich Libellen ihrer Umwelt bestens an – eine Gabe, die sich offenbar auch Produzenten von Funkmasten von der Natur abgeschaut haben. Sie verkleiden ihre kommunikativen Stahlkörper als Bäume, was Dane Mitchell wiederum dazu inspirierte, solchen industriellen Baumattrappen mittels technischer Aufrüstung das Sprechen beizubringen: Mit künstlicher Stimme arbeiten sie Listen verschwundener Dinge ab.

Stuhlkreis von Mary Bauermeister

Deutlich naturnäher ist Mary Bauermeisters Rübezahl-Installation. Sie besteht aus 130 bearbeiten Baumstämmen, die Stühlen mit Sitzfläche und Lehne ähneln, manchmal Geweihe tragen und als Ensemble einen pädagogischen Sitzkreis unter freiem Himmel zu bilden scheinen. Die Natur als Lehrerin, das ist ein altes, sehr schönes Motiv – schade, dass wir Menschen so wenig aufmerksame Schüler sind.

Mit seinen 44 Kunstwerken wirkt der Skulpturenpark schon beinahe etwas üppig, wobei sich zwischen Leihgaben und Alteingesessenen auch dieses Mal mitunter schöne Allianzen bilden; der einsame George etwa kriecht eine Platane empor, die Mandla Reuter vor Jahren mitten in einen Steinweg gepflanzt hat.

Auch solche Symbiosen haben ihr Vorbild in einer Natur, die nicht nur blutige Klauen und Zähne hat, sondern offenbar auch ein großes Anlehnungsbedürfnis. Am schönsten sieht man das an Trevor Yeungs Ginkgobaum, der zur Fortpflanzung eigentlich eine gleichartige Baumpartnerin braucht, sich nun aber an eine Straßenlaterne schmiegt, die nachts wachstumsförderndes rosa Licht verstrahlt. Selbstredend ist das nicht das Wahre. Aber immer noch besser als das Schicksal von Lonely George.

„Über Natur – Natural Takeover“, Skulpturenpark Köln, Elsa-Brandström-Str. 9, Mo.-So., 10.30-19 Uhr, bis Juli 2022. Der Eintritt ist frei.