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Vergessene Kunst in KölnKönnen auf Delfinen reitende Putten Nazis sein?

Lesezeit 5 Minuten

Arno Brekers Delfinbrunnen bei der Teileröffnung des Gerling Quartiers

  1. In der Serie um Vergessene Kunst in Köln geht es dieses Mal um Kunst, die man sogar gerne vergessen würde.
  2. In den 1950er Jahren schuf Hitlers Günstling Arno Breker mitten in Köln den Gereonshof - ein Mythenmix zwischen kurios und scheußlich.
  3. Heute ist das luxussanierte Bauensemble des Gerling Konzerns vor allem ein Mahnmal für die Kontinuität zwischen Nazizeit und Nachkriegsdeutschland.

Köln – Selbst leidenschaftliche Verfechter der Moderne laufen beim Thema Kunst im öffentlichen Raum zur Gegenseite über. So nannte Werner Schmalenbach, langjähriger Direktor der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, den Kunstdekor deutscher Innenstädte ein „Trauerspiel“ und empfahl, wenn man es schon nicht ganz lassen könne, Skulpturen auf Plätze, Straßen und in Parks zu stellen, sich wenigsten an den Grundsatz „Weniger ist mehr“ zu halten. „Nur wenn man dies als Regel gelten lässt“, so Schmalenbach, „kann man sich Ausnahmen erlauben.“ Aber: „Seltenste Ausnahmen!“

Braucht der Stadtraum überhaupt Kunst?

Seine Abrechnung mit der „städtebaulichen Misere“ begründete der 2010 verstorbene Schmalenbach mit dem für ihn Offensichtlichen. Die allermeisten Kunstwerke im öffentlichen Raum wirkten auf ihn deplatziert, gekünstelt, wie Fremdkörper, was er einerseits damit erklärte, dass „blauäugige Kulturpolitiker“ meinten, Kunst müsse halt sein, und sich um die Details nicht weiter scherten. In der Folge würden die Bürger mit modernen Skulpturen beglückt, für die es keine städtebauliche Notwendigkeit gebe und die vornehmlich dem Ego von Künstlern und Bauherren dienten.

Ins Herz der Sache führt Schmalenbachs zweites Argument: Im zersplitterten modernen Stadtbild sei es unmöglich geworden, homogene Plätze, Straßen oder Räume zu gestalten. „Wir träumen und träumen von Integration“, schreibt er, „aber wie soll man Kunst in Städte integrieren, wenn die Städte desintegriert sind.“

Köln ist Flickenteppich und Idealstadt

Was Schmalenbach vor Jahrzehnten beschrieb, lässt sich heute in Köln beobachten. Die Stadt ist ein Flickenteppich wechselnder Architekturstile, Bau- und Verkehrskonzepte, an dem amtliche Stadtplaner und private Investoren unablässig weiter wirken und der durch keine Maßnahme zu bändigen ist. In dieser Hinsicht gehört Köln zu den Idealstädten einer demokratischen Gesellschaft, in der große städtebauliche Ideen im pluralistischen Kleinklein auf ein verträgliches Maß zerrieben werden – und in dem Kunstwerke entweder untergehen oder als bloße Fortsetzungen gesichtsloser Fassaden und anderer moderner „Bausünden“ erscheinen. Ein Dilemma, aus dem auch Schmalenbach keinen Ausweg wusste. Obwohl er die Handwerker früherer Epochen rühmte, die sich als Brunnenbauer oder Bildhauer ganz in den Dienst eines Ortes stellten, wünschte er sich doch keinesfalls diese Zeiten zurück. Seine Schlussfolgerung kam daher dem Eingeständnis eines universalen Scheiterns gleich: „Kunst sollte im öffentlichen Raum nur stattfinden, wenn eine konkrete Situation es verlangt, ja geradezu danach schreit.“

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Allerdings ist es ein Scheitern, mit dem sich gerade in Köln gut leben lässt. Einige Skulpturen im Stadtraum fügen sich auf geradezu gerissene Weise in ihr Schicksal, unsichtbar zu sein, um dann, hat man sie erst einmal entdeckt, umso besser dazustehen: Wolf Vostells „Ruhender Verkehr“ ist das prominenteste Beispiel, die drei Linden von Joseph Beuys und Braco Dimitrijevics Steintafel vor dem Dom zwei beinahe vergessene.

Hitlers Günstling baut in Köln

Anders liegt der Fall beim Gerling Quartier. Es ist einer der wenigen Kölner Stadträume, die im klassischen Sinne gestaltet sind und wie aus einem Guss wirken. Gerade deswegen ist das in den 1950er Jahren entstandene Konzernareal stets ein Fremdkörper gewesen, eine Insel, die sich auf subtile Weise zur Stadt hin abschottet; daran hat auch die Umwidmung zum Wohngebiet nichts geändert. Dieses unerschlossene Terrain mitten im Stadtkern hatte immer auch sein Gutes: Man konnte übersehen, dass wenige moderne Künstler auf Kölner Stadtgebiet mehr Spuren hinterlassen haben als Arno Breker.

Als glühender Anhänger Auguste Rodins suchte der gebürtige Elberfelder zunächst Anschluss an die Pariser Moderne, kehrte aber 1934 nach Deutschland zurück. Hier stieg Breker mit kraftstrotzenden, an antiken Idealen geschulten Skulpturen zum Günstling Adolf Hitlers auf, wurde eine Schlüsselfigur im NS-Kulturbetrieb und in Goebbels’ „Gottbegnadeten“-Liste als „unersetzlich“ geführt. Weil er verfemten Künstlern geholfen hatte, konnte er, als Mitläufer „entnazifiziert“, seine Karriere nach 1945 nahezu ungebrochen fortsetzen. Im Nachkriegsdeutschland waren seine den Revolutionen des 19. Jahrhunderts nachtrauernden Büsten bei Altnazis, Antimodernisten der Hans-Sedlmayr-Schule und Alles-Gut-Findern wie Peter Ludwig gleichermaßen beliebt.

Zur Serie

Im Kölner Stadtraum gibt es weit mehr als 450 Denkmäler und Skulpturen. Manche werden geliebt und gehegt, andere verspottet, die meisten aber schlicht übersehen. Wir wollen an Kunstwerke erinnern, die in Vergessenheit geraten sind, und fragen nach dem Sinn von Kunst im öffentlichen Raum. In dieser Folge geht es ausnahmsweise um Arbeiten, die man eigentlich gerne ignorieren würde.

Anfang der 1950er Jahre war Breker maßgeblich an der Gestaltung des Kölner Gerling Quartiers beteiligt, einem repräsentativen Ensemble des gleichnamigen Versicherungskonzerns. Baustil und die am Bau beteiligten Architekten trugen dem Viertel angeblich den Spottnamen „Kleine Reichskanzlei“ ein, für den steinernen Garten des Gereonshofs war Breker allein verantwortlich. Heute wirken seine Skulpturen und Reliefs vor allem kurios und in ihrer inhaltlichen Mixtur aus griechischer, germanischer und christlicher Mythologie geradezu postmodern. Im Brunnen reiten Putten auf Delfinen, ein bärtiger „Vater Rhein“ bemüht sich, einen würdigen Eindruck zu hinterlassen, und auch die beiden Fassadenheiligen Martin und Georg haben etwas Homerisches an sich – aber soll man ihr antikisierendes Heidentum deshalb für subversiv halten? Brekers altägyptisch anmutende Anbetung der Heiligen Drei Könige frommt den Betrachter ebenfalls kaum; wer in dieser Gruppe den Glauben sucht, findet ein kunsthistorisches Zitat.

Vergleicht man Brekers Gereonshof mit anderen gestalteten Kölner Raumen, etwa dem ästhetisch unterschätzen Ebertplatz, macht ihm gerade seine Homogenität den Garaus; beinahe möchte man der Stadt empfehlen, sich auch das Wegerecht durchs Quartier abkaufen zu lassen. Andererseits ist es eine lehrreiche Zeitkapsel und steht völlig zu Recht unter Denkmalschutz – als Mahnmal für die Kontinuität zwischen Nationalsozialismus und Nachkriegszeit.