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Ausstellung zu Isamu NoguchiDas Ende der Menschheit, jetzt endlich auch in Köln

Lesezeit 3 Minuten

Köln – Am Ende der Ausstellung ist auch das Ende der Menschheit in Sicht. Es sieht uns recht freundlich an, ein Antlitz aus Sand und Stein, wie von einem Riesen mit Plastikförmchen in den Wüstengrund getupft: eine schiefe Pyramide als Nase, ein ovaler Mund, zwei spitze Kegel als Augen und eine wulstige Stirn. Isamu Noguchi (1904-1988) wollte damit herüberblickende Marsmenschen daran erinnern, dass wir einst die Erde bewohnt hatten – vor unserem Untergang.

Isamu Noguchi war schockiert von Hiroshima

Noguchis „Sculpture to be Seen from Mars“ entstand 1947 als Antwort auf die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki und kam über das Entwurfsstadium niemals hinaus. Vermutlich wäre auch keine Wüste groß genug gewesen, um die mahnende Erinnerung an den ausgestorbenen Menschen aufzunehmen. Stattdessen können interessierte Marsianer jetzt eine Karte für das Kölner Museum Ludwig lösen. Auch in der großen Noguchi-Werkschau bekommen sie einen guten Eindruck davon, was die Menschheit des 20. Jahrhunderts gewesen ist.

In Europa ist der japanisch-amerikanische Bildhauer, Designer, Landschaftsarchitekt und Bühnenbildner eher ein Geheimtipp – und gilt hier vor allem als Schöpfer von Spielplätzen, Gartenanlagen, Möbeln und Kostümen. Gerade die Vielfalt seines Werks macht ihn wohl so schwer fassbar und selbstredend seine Nähe zur angewandten Kunst. Beides lässt ihn heute allerdings auch einigermaßen alterslos und zugleich ungewöhnlich aktuell erscheinen.

Anders als klassische Künstler hinterließ Noguchi nicht nur Spuren in Museen, sondern auch auf öffentlichen Plätzen und an Hausfassaden, auf Bühnen und in Wohnzimmern. Er arbeitete mit legendären Modernisten wie Martha Graham und Buckminster Fuller zusammen, war in vielen Stilen und Kulturen zu Hause, ein entwurzelter Weltbürger und Grenzgänger, der kein politisches Programm verfolgte, sich aber vom Weltgeschehen bewegen ließ.

Rita Kersting, Kuratorin der Kölner Ausstellung, nennt Noguchi einen „unbekannten Star“, der eigentlich an die Seite der im Museum Ludwig gezeigten etablierten Stars gehört. Entsprechend viel lässt sich das Haus die üppige Werkschau kosten: 800.000 Euro sind selbst für eine überfällige Kanonisierung kein kleines Geld. Ein guter Teil davon ist durch Sponsoren abgedeckt, der größere freilich muss durch Einnahmen verdient werden.

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An den Anfang der rund 150 Arbeiten umfassenden Noguchi-Werkschau hat Kersting eine Galerien aus Köpfen gestellt: Porträts von Freunden und Weggefährten, in so unterschiedlichen Materialien und Stilen gearbeitet, dass bei Vertretern der reinen Lehre die Augenbraue nervös zuckt. Man sieht einen quecksilbrig verchromten Buckminster Fuller (ein früher „Terminator“ aus dem Jahr 1929), einen stilisierten Frauenkopf in Holz, zerfurchte Terrakotta-Mienen und ein Selbstbildnis in keramischer Maskenform. Sämtliche Arbeiten vereint das Prinzip der Materialgerechtigkeit: Der Brâncuși-Schüler Noguchi suchte für jeden Stoff eine ihm entsprechende Gestalt so wie für jeden Ort die ihm entsprechende Landschaftsform.

Hingucker gibt es im Museum Ludwig einige

Hingucker gibt es nicht wenige in der Ausstellung. Etwa das aus Draht geformte Spinnenkleid für die Tänzerin Martha Graham, die surrealen Skulpturen aus ineinandergreifenden amorphen Figuren (darunter auch Noguchis ikonischer Kaffeetisch aus dem Jahr 1944) oder eine knallrote Spielskulptur, die an ein schmelzendes Geländer erinnert und von Besuchern jeden Alters bespielt werden darf. Es fehlen naturgemäß die großen urbanen Arrangements, mit denen Noguchi zum Vorläufer der Land Art avancierte, und auch seine mit sozialistischem Realitätssinn gefertigten Hausreliefs. Sie sind immerhin als Bilder oder im Film präsent und vervollständigen eine Ausstellung, die das angekündigte Ende der Menschheit Lügen straft. Bei Isamu Noguchi überlebt das Jahrhundert der Katastrophen in seinen besten Utopien.

„Isamu Noguchi“, Museum Ludwig am Dom, Köln, Di.-So. 10-18 Uhr, 26. März bis 31. Juli. Der Katalog kostet 35 Euro im Museum und 45 Euro im Buchhandel.