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Kölner AusstellungShin-hanga, die vergessene Kunst aus Japan

Lesezeit 4 Minuten

Köln – Vermutlich ist man nirgendwo einsamer, als in den Landschaften dieser japanischen Holzschnittkünstler. Auf ihren Bildern liegt eine geradezu heilige Schläfrigkeit, die allenfalls ein einzelner, sich in der Ferne verlierender Wanderer zu stören wagt. Berge, Flüsse und Täler scheinen hier ganz für sich zu sein, wie am ersten Ruhetag der Schöpfung, und zugleich wie für den Blick eines die Stille suchenden Betrachters ausgerollt.

Japanische Farbholzschnitte eroberten die westliche Welt

Solche seriellen Sehnsuchtsbilder wurden in Japan allerdings erst produziert, als es mit der Ruhe im Land schon längst vorbei war. 1853 hatten amerikanische Kanonenboote die japanische Gesellschaft dazu bewegt, dem freien Austausch von Waren beizutreten, was nach Jahrzehnten der Abschottung paradoxerweise dazu führte, dass japanische Farbholzschnitte die Welt eroberten, während sie im heimischen Markt rapide an Bedeutung verloren. Wer braucht schon Farbholzschnitte, wenn es Fotoapparate gibt – von den französischen Impressionisten einmal abgesehen? Erst um 1920 erlebte diese Kunstform eine erneute, in Europa allerdings weitgehend unbeachtet gebliebene Blüte – unter dem Namen Shin-hanga („Neue Drucke“).

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Gebirgsausläufer bei Ashitakayama (Sommer), Takahashi Hiroaki (Shōtei) (1871–1945)

Dem Shin-hanga widmet jetzt das Kölner Museum für Ostasiatische Kunst eine große Überblicksschau, und zwar die umfassendste, die es in Europa bislang überhaupt gab, wie jedenfalls der niederländische Gastkurator Chris Uhlenbeck versichert. Sie speist sich zur Gänze aus den Leihgaben vier privater Sammlungen, eine davon geht auf den eigentlichen Urheber der „Neuen Drucke“, den japanischen Verleger Watanabe Shozaburo (1885-1962) zurück. Aus Sorge, die Tradition des Farbholzschnitts könnte verloren gehen, suchte Watanabe nach Wegen, diese wieder zu beleben. Er fand Künstler, die ihm lieferten, was er brauchte, und Abnehmer, die vor allem aus dem Ausland kamen. So formte sich aus gesundem Geschäftsinteresse, europäischem Geschmack und japanischer Traditionspflege etwas, das erstaunlicherweise keinem kulturellen Ausverkauf gleichkam.

Auch die berühmten „Bilder der fließenden Welt“ (Ukiyo-e) waren arbeitsteilig und in Serie produzierte Auftragsarbeiten, deren Entstehung von kommerziellen Verlegern angeleitet wurde. Zwar haben wir uns daran gewöhnt, in Ukiyo-e-Schöpfern wie Hokusai oder Hiroshige wahre Künstler zu sehen, doch während die Qualität ihrer Werke diese Bezeichnung unbedingt rechtfertigt, waren sie in ihrer Arbeit keinesfalls so frei, wie es die moderne Bedeutung des Künstlerbegriffs nahelegt. Ähnliches gilt für die Frauenporträts eines Torii Kotondo oder die Tierbilder von Ohara Koson, die jetzt im Museum für Ostasiatische Kunst zu sehen sind. Wobei es auch wieder gute Gründe hat, dass uns ihre Namen nicht allzu geläufig sind.

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Am auffälligsten an den „Neuen Drucken“, so Chris Uhlenbeck, war die exzellente technische Qualität der nach traditioneller Manier gefertigten Farbholzschnitte. Damit sicherte sich Watanabe Shozaburo den erfolgreichen Eintritt in den Markt, wobei er damit beinahe schon wieder zu erfolgreich war. Seine Kunden waren derlei Perfektion von den Ukiyo-e nicht gewohnt, und so wies er die Handwerker später mitunter an, etwas unsauberer, also im falschen Sinn „authentischer“ zu arbeiten. Inhaltlich beschränkte sich der moderne japanische Holzschnitt vor allem auf die Darstellung schöner Frauen und schöner Landschaften, während historische Motive und Pornografie fast gänzlich aus dem Angebot verschwanden.

Gerade in den Landschaftsbildern der Ausstellung fällt eine ästhetische Zuspitzung der traditionellen Bildmotive auf. Die Menschen, die bei Hokusai noch selbstverständlicher Teil der Naturdarstellung waren, verschwinden weitgehend von der Bildfläche oder schrumpfen auf ein Format, das dem sehnsüchtigen Blick nicht mehr in die Quere kommt. Die Dörfer liegen tief verschneit, unter einem vollen Mond oder schmiegen sich der weiten, menschenleeren Landschaft an. Man könnte an die Abwanderung der Landbevölkerung in die Städte denken, doch zumindest in der Kölner Ausstellung gibt es kaum urbanes Leben, in das ein verarmter Bauer fliehen könnte.

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Mit den Shin-hanga („Neue Drucke“) wollte der Verleger Watanabe Shozaburo (1885-1962) an die Tradition des Farbholzschnitts in Japan anschließen. Die Werke bestachen durch ihre handwerkliche Qualität und waren vor allem unter US-amerikanischen Sammlern begehrt; in Europa wurde sind bis in die 1990er Jahre hingegen kaum beachtet. Die Blüte des Shin-hanga wurde 1923 durch das verheerende Erdbeben auf der japanischen Hauptinsel jäh gestört und durch den Zweiten Weltkrieg mehr oder weniger beendet. Als Mittel der Propaganda verlor der „Neue Druck“ seine künstlerische Qualität, gegen 1960 war seine Zeit endgültig vorbei.

Offenbar spiegelt sich in den Shin-hanga eine Sehnsucht nach einem verloren geglaubten Japan, nach einem Japan vor der modernen „Verwestlichung“. Sie wird vom westlichen Sammlern befeuert und von japanischen Traditionalisten gerne bedient, wobei es Watanabe Shozaburo durchaus darum ging, die Ukiyo-e nicht einfach zu konservieren, sondern zu modernisieren. Dass diese Modernisierung der Tradition allerdings gerade darin bestand, der Nostalgie nach einem unberührten Japan nachzugeben, gehört zu den interessanten Widersprüchen dieser Kunst.

„Shin-hanga. Der moderne Farbholzschnitt Japans 1900-1960“, Museum für Ostasiatische Kunst, Universitätsstr. 100, Köln, Di.-So. 11-17 Uhr, 11. März bis 6. Juni. Der Katalog zur Ausstellung kostet 35 Euro.