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Kölner DomschatzkammerJoseph Beuys, wie ihn keiner kennt

Lesezeit 3 Minuten

Köln – Jetzt gibt es also doch noch die Kölner Ausstellung zum Beuys-Jubeljahr, pandemiebedingt als Nachzüglerin zum 101. Geburtstag des Jahrhundertkünstlers, und auch nicht in einem der stolzen Kunstmuseen der Stadt, sondern in der Schatzkammer des Doms. Ort und Verspätung haben ihre eigene, etwas verquere, aber letztlich schöne Logik. Gezeigt wird in der Domschatzkammer nämlich der zu frühe Joseph Beuys der Jahre 1947 bis 1955, der noch nicht er selbst war, sondern als Schüler Ewald Matarés an dessen Domtüren des Südportals mitwirken durfte.

Ewald Mataré lobte seinen Schüler Beuys als brauchbar

Mataré lobte seinen Schüler und Zuarbeiter als „gewandt“ und „brauchbar“, fand ihn aber etwas schwer zu „reglementieren“. Beuys wiederum erzählte später, er hätte schon damals am liebsten alles anders gemacht – mit mehr echter Moderne und weniger Sich-Verbiegen in Richtung falsche Gotik. Als Beleg heimlichen Widerstands gelten heute die Scherben, die Beuys laut eigenen Angaben aus seinem Rasierspiegel schlug, um sie in ein Wappen der Bischofstür zu setzen. Später verschwanden sie dann, vielleicht im Zuge von Restaurierungsarbeiten. Beuys machte daraus eine großformatige Arbeit zum Kölner Dom mit der anklagenden Inschrift „mein Rasierspiegel fehlt!“.

Diese echt Beuys'sche Arbeit hängt jetzt in der Domschatzkammer neben Werken, die man zur Prä-Beuys'schen Beuys-Phase rechnen muss: Studien und Modelle, teilweise für Matarés private Dombauhütte entstanden, teilweise auch Schulaufgaben aus der Düsseldorfer Kunstakademie. Sie zeigen schon eine eigene Handschrift, das Nervös-Seismografische seiner späteren, nach einem totalen Zusammenbruch und einer „Wiedergeburt“ entstanden Zeichnungen; die stichige Skizze für ein Bronzekreuz scheint die braunen Kreuze der klassischen Werkphasen vorwegzunehmen.

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Bei den Tierfiguren und religiösen Szenen arbeitete Beuys wie sein Lehrer noch gegenständlich, aber wie dieser schon mit starken Stilisierungen – auch Mataré war schließlich modern, nur eben noch nicht im Beuys'schen Sinn. Zwei Torsi von 1948 nehmen sich in ihrer extremen Einfachheit wie Handschmeichler aus, zwei sitzende Schafe zeigen ihre kantigen Rundungen und ein sanft geschwungenes Handkreuz des sterbenden Christus tat es später Kardinal Joachim Meisner so sehr an, dass er während eines Kölner Weihnachtsgottesdienstes damit den Segen spendete.

Allein für diese Pointe lohnt sich der Besuch der kleinen Ausstellung: Der erzkonservative Meisner kapierte, was die modernen Großsammlern Peter und Irene Ludwig nicht akzeptieren mochten – die christliche Mitgift in der Mythomanie des reifen Beuys'schen Werks.

Beuys lädt zur Andacht ein wie die Domschätze

Ins Kölner Museum Ludwig kam Beuys nicht und auch in keine Kirche – im klassischen Sinne christlich ist sein Werk, obwohl es viel von Leid und Heilung weiß, ja auch gerade nicht. Seine Arbeiten sind allerdings, und darin den Werken der Domschatzkammer nicht unähnlich, Einladungen zur Andacht oder werden zumindest gerne als solche wahrgenommen. Etwas kurios wirkt in diesem Licht eine Porträtbüste aus dem Jahr 1947, die posthum in Bronze gegossen wurde. Sie zeigt einen androgynen Beuys mit blonden Haarfluten – im Grunde eine frühe Selbstbeweihräucherung in Frauengestalt.

Letztlich hat es auch seinen Reiz, sich Joseph Beuys als namenlosen Gesellen der Dombauhütte vorzustellen. Ein Meister unter Meistern, im stummen Dienst an der großen Sache namens Dom – oder besser Gott. Aber das waren vormoderne Zeiten, und Beuys holte sein anderes Ich mit einer souveränen Geste aus der Anonymität. „Mein Rasierspiegel fehlt!“ steht jetzt für alle Zeiten am Nebeneingang der großen Kathedrale.

„Joseph Beuys. Frühe Jahre 1947-1955“, Domschatzkammer, Roncalliplatz 2, Köln, Mo.-So. 10-18 Uhr, bis 24. Juli. Der Katalog kostet 14,90 Euro.