Ballet am RheinToller Rausschmeißer für die Corona-Saison
Düsseldorf – Kaum angetreten, musste das neue Ballett am Rhein mit Direktor Demis Volpi auch schon wieder abtreten. Weggesperrt im Lockdown. Jetzt, zum Abschluss ihrer ersten Saison durfte die Kompanie plötzlich doch wieder auf die Bühne und hat auf die Schnelle unter dem Titel „Lost and Found“ ein Programm zusammengestellt, so grandios als gelte es zu sagen: 'nimm das, Corona'!
Ballettdirektor Demis Volpi eröffnet den Abend mit: „A Simple Piece“, und der Titel hat schon recht: Nichts ist hier verschnörkelt, vertrackt, auf Virtuosität getrimmt wie sonst bei Volpi. Zur sehr ballett-untypischen Komposition von Caroline Shaw, mit gehauchten, gesummten, gesprochenen A-Cappella-Sounds, treten die Tänzer in weiten, blauen Hosen wie ein Arbeitertrupp auf.
Staub rieselt aus ihrer Kleidung als kämen sie gerade vom Bau. Sie setzen langsam und konzentriert Bewegung an Bewegung, scheinbar einfach, tatsächlich aber entsteht eine filigrane komplizierte Architektur, bei der es auf jede Nuance ankommt. Dazu bannen die acht Tänzer die Zuschauer mit ihrer Konzentration wie Hypnotiseure.
Verzagter Anfang
Meistens jedenfalls. Denn so charismatisch wie beim Auftakt im letzten Jahr war die Kompanie erst mal nicht. Vielleicht müssen sie sich erst wieder daran gewöhnen, auf der Bühne zu stehen? Es hatte jedenfalls etwas Anrührendes, wie in mehreren Stücken dieses Abends die Gruppen fast verzagt anfingen, um dann von Minute zu Minute besser zu werden.
Fürs „Freitanzen“ taugen aber auch Stücke wie „Solo“ von Düsseldorfs Ballett-Darling Hans van Manen, einem Bestseller im Repertoire des 89jährigen Altmeisters, mit drei männlichen Tänzern, die über die Bühne wirbeln als wollten sie sich selbst überholen.
Das könnte Sie auch interessieren:
Kein Schritt zu viel. Keiner, der sich falsch anfühlt. Also: typisch van Manen. Das kann man von der Uraufführung des Abends zwar noch nicht sagen, eine Entdeckung ist sie aber trotzdem: Neshama Nashman ist Tänzerin beim Ballett am Rhein und hat offenbar aus kreativem Überdruck ungefragt ein Solo erarbeitet zu gewagt sakrosankter Komposition: „Erbarme dich“ von Johann Sebastian Bach.
Solist Julio Morel ist Nashmans obsessiver Leidensmann, der diverse Stadien der Qual durchläuft. Man hätte sich zwar gewünscht, Nashman würde dem lateinamerikanischen Ballerino ein bisschen das Pathos aus dem Leib trimmen und würde der Musik nicht gar so illustrativ folgen – trotzdem: Nicht schlecht, wie viele choreografische Schmerz-Varianten Nashman eingefallen sind. So gefühlvoll das Debüt. So brachial dann das Ende des Abends.
Techno-Queen der Choreografinnen
Sharon Eyal ist die derzeitige Techno-Queen unter den Choreografinnen. In Duisburg heißt die Raver-Hölle schön ätzend „Salt Womb“, also Salz-Schoß. Tänzer wie Gladiatoren, Bizepse und Oberschenkelmuskel sind maximal geschwollen, die Aggressivität wird nur mühsam unter Kontrolle gehalten bei diesem Kraftprotz-Ritual.
Es hat etwas Faschistoides, wie dieses Kollektiv sich hier gleichschaltet. Da wird posiert, bis die Haut vor Schweiß trieft. Und zugleich unterwandert Sharon Eyal die Überwältigungs-Ästhetik mit lasziv-weichen Hüftschwüngen, Schrittchen auf halber Spitze, bizarr überdehnten Gelenken. So bitter-komisch kann vielleicht nur eine israelische Choreografin das Hysterische und Narzisstische im Corpsgeist entlarven. Ein Super-Rausschmeisser für eine Saison-Bilanz, die sich - Seuche hin oder her - sehen lassen kann.
Weitere Vorstellungen am 25., 26. und 27. Juni 2021 in der Oper Düsseldorf