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Bestsellerautorin Kerstin Gier„Was Verfilmungen angeht, bin ich ein gebranntes Kind“

Lesezeit 9 Minuten
Kerstin Gier

Kerstin Gier

Kerstin Gier Jugendbücher sind alle Bestseller geworden. Nun ist der letzte Band ihrer „Vergissmeinnicht“-Reihe erschienen. Ein Interview über Inspirationen, Erinnerung und schlechte Verfilmungen.

Frau Gier, gerade ist der dritte und letzte Teil Ihrer „Vergissmeinnicht“-Reihe erschienen. Es ist nicht Ihre erste Trilogie. Warum machen Sie so gern nach drei Bänden Schluss? Man könnte die Reihe ja auch weiter ausbauen.

Mir persönlich reichen drei Bände immer. Es ist schön, die Geschichte ein bisschen mehr auswalzen zu können als in nur einem Buch, zumal ich immer sehr viel Personal habe und es mag, wenn ich jeder Figur eine eigene Geschichte geben kann und nicht so hastig erzählen muss. An eine längere Reihe habe ich mich noch nicht gewagt, da steige ich auch als Leserin eher ungern ein, es sei denn, jeder Band ist in sich abgeschlossen wie bei Krimireihen. „Das Wolkenschloss“ war ein Einzelband, das mochten aber viele Leser nicht so sehr, denen gefällt es besser, wenn man länger in eine Geschichte eintauchen kann.


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Sie erzählen in der Reihe vom Saum, einer Welt, die nur in der Vorstellung existiert, unsere umgibt und in der viele fantastische Wesen leben. Menschen können dorthin höchstens im Traum gelangen oder wenn sie tot sind. Wie entstehen solche Ideen?

Manchmal ist es schwer zu sagen, was der Ausgangsgedanke ist. Vordergründig ist „Vergissmeinnicht“ eine Abenteuergeschichte mit einer romantischen Liebesgeschichte, eher Komödie als Drama. Als mein Sohn 2017 krank wurde und 2019 starb, habe ich mich zwangsläufig intensiv mit dem Thema Sterben, Tod und Leben nach dem Tod auseinandergesetzt. Und mit Erinnerungen. Das war der Auslöser für diese Geschichte. Aber „Vergissmeinnicht“ lässt sich auch gut lesen, wenn man den philosophischen Unterbau außer Acht lässt.

An eine längere Reihe habe ich mich noch nicht gewagt, da steige ich auch als Leserin eher ungern ein
Kerstin Gier

Erinnerung ist ein großes Thema der Reihe. Die Wesen im Saum sind eigentlich unsterblich, aber sie können getötet werden. Und wenn sie sterben, ist die Erinnerung an sie verloren. Niemand weiß mehr, dass es sie gab. Ist es besser, sterblich zu sein und den Schmerz zu durchleiden, aber auch die Erinnerung zu bewahren?

Manche Saumwesen stören sich daran, dass sie vergessen werden, wenn sie sterben. Aber das ist ja überhaupt nicht das Schlimme, sondern dass sie auch die vergessen müssen, die sie lieben. Wenn beispielsweise ein Saum-Kind stirbt, dann ist die Wiege noch da, Fotos, Videos, das alles bleibt, und dennoch ist die Erinnerung daran, was dieses Kind für einen bedeutet hat, was man mit ihm erlebt und für es gefühlt hat, komplett weg – wie herausoperiert aus den Gedächtnissen aller. Wie grausam ist das? Lieber hält man doch an der Erinnerung fest, auch wenn sie mit Schmerzen und Trauer und verbunden ist. Niemals würde man sie freiwillig aufgeben.

Eine andere wichtige Rolle spielen Träume in Ihren Büchern. Das war schon bei der „Silber“-Trilogie so und nun wieder. Was fasziniert Sie so an Träumen?

Genau, luzide Träume sind das Hauptthema der „Silber“-Trilogie, die Protagonisten besuchen sich gegenseitig in ihren Träumen. Die Traumkorridore aus „Silber“ finden wir bei „Vergissmeinnicht“ im Untergrund des Saums wieder. In Träumen machen wir ja nichts anderes als Imaginieren, wir erschaffen Bilderwelten, die es eigentlich nicht gibt. Träume würden so viel über einen Menschen verraten, wenn wir sie denn sehen könnten, sie ermöglichen tiefe Einblicke in die Seele. Mir macht es deshalb als erzählerisches Element großen Spaß, weil ich mit einer Traumszene eine Figur charakterisieren kann. Ich liebe das sehr.

Man könnte viel über mich erfahren, wenn ich meine Träume öffentlich machen würde, sehr verräterisch
Kerstin Gier

Können Sie sich an Ihre Träume erinnern?

Ich habe leider einen sehr unruhigen und leichten Schlaf mit zu vielen REM-Phasen, deshalb kann ich mich immer gut an meine Träume erinnern. Man könnte viel über mich erfahren, wenn ich sie öffentlich machen würde, sehr verräterisch. Vielleicht nichts, was ich geheimhalten müsste, aber es wäre mir dennoch sehr unangenehm.

Die jungen Frauen in Ihren Reihen sind mutig und selbstbewusst. Schreiben Sie über solche Charaktere besonders gern?

Wir wollen uns nichts vormachen: Matilda, Liv aus der „Silber“-Trilogie, Gwendolyn aus der „Edelstein“-Trilogie, Fanny aus „Das Wolkenschloss“ sind sich schon alle sehr ähnlich. Ich glaube, ich kann nur einen Typ Mädchen gut beschreiben, und der hat wahrscheinlich viel mit meinem jungen Selbst zu tun. Aber ich habe versucht, Matilda noch ein bisschen mutiger zu machen als die anderen. Gerade wir Frauen und Mädchen können diese Ermutigung gut gebrauchen.

Bei ihr schlägt es auch schon mal fast schon in Übermut um.

Genau das hat mir großen Spaß gemacht. Ich wollte Matilda selbstbewusst, sie aber auch Fehler machen lassen und sie spüren lassen, dass auch sie Grenzen hat. Ich liebe Szenen, in denen der Junge das Mädchen rettet, aber heute achte ich darauf, dass ich diese Geschlechterklischees nicht mehr so auswalze und das Mädchen auch mal den Jungen rettet.

Sie haben diese Geschlechterrollen so verinnerlicht, dass es Ihnen gut gefällt, wenn der Held kommt und die Prinzessin rettet?

Genau. Wenn der Mann im Film oder Buch der Frau in Not zur Hilfe eilt – herrlich. Aber im wahren Leben reicht es, wenn jemand solidarisch ist. Man braucht keinen Prinzen, der mit gezogenem Schwert angeritten kommt, sondern nur das Gefühl, dass jemand hinter einem steht. Es braucht Solidaritätsbekundung, um sich gerettet zu fühlen, und das hat nichts mit Geschlechterklischees zu tun.

Entwickeln Sie die Handlung vorher schon vollständig oder lassen Sie sich von den Charakteren treiben?

Eine Mischung aus beidem. Ich habe bei einer Trilogie immer schon das Ende im Kopf – und natürlich auch den Bösewicht. Also den Überraschungsbösewicht, nicht den offensichtlichen. Ich habe aber immer einen Ersatzbösewicht in petto, damit ich mich noch mal umentscheiden kann, wenn die Handlung sich in eine andere Richtung entwickelt als geplant.

Eine süße Liebeserklärung ist schön, aber dann muss es auch weitergehen. Ich kann die nicht ewig säuseln und schmachten lassen
Kerstin Gier

Ich habe den Eindruck, die bösen Charaktere machen Ihnen besonders viel Spaß beim Schreiben, stimmt das?

Ja, absolut. Romantische Szenen hingegen fallen mir immer noch schwer, darin bin ich nicht so gut. Deshalb fallen die bei mir immer recht kurz aus, ich denke dann, jetzt muss aber schnell irgendwas Schlimmes passieren, damit es nicht zu kitschig wird. Es ist viel einfacher, wenn man böse Charaktere schreibt, die Szenen sind spannender und auch lustiger.

Was fällt Ihnen denn an der Romantik so schwer? Haben Sie Angst, dass es kitschig ist?

Ja, eine süße Liebeserklärung ist schön, aber dann muss es auch weitergehen. Ich kann die nicht ewig säuseln und schmachten lassen.

Fällt es Ihnen leicht, sich in Ihre jugendlichen Charaktere hineinzuversetzen? Ihre eigene Teenagerzeit liegt ja schon etwas zurück.

Ich habe manchmal tatsächlich Angst, dass Leute denken: Mein Gott, die alte Schachtel sollte jetzt mal aufhören, Jugendbücher zur schreiben. Aber genau die Zeit, wenn die Pubertät einsetzt, bis man 20 ist, ist doch die intensivste Zeit im Leben, weil man so vieles das erste Mal erlebt und fühlt, was deshalb so gut in Erinnerung bleibt. Die erste große Liebe, der erste Liebeskummer – ich glaube nicht, dass sich das bei den Kindern heute anders anfühlt als damals bei uns.

Sie haben die Reihe nun abgeschlossen. Wie schwer fällt es Ihnen, diese Welten dann wieder zu verlassen?

Es fällt mir schwerer, als ich zugebe. Vordergründig bin ich erstmal erleichtert, und feiere, dass ich das letzte Buch fertig geschrieben habe, ich war mal wieder viel zu spät dran. Aber vielleicht ist der Grund, warum ich so langsam bin und nicht pünktlich abgebe, dass ich unterbewusst nicht loslassen kann?

Abgeben müssen Sie die Stoffe auch, wenn Ihre Bücher verfilmt werden. Mit einigen Verfilmungen waren Sie dann aber nicht besonders glücklich, zumal die Filme zum Teil erheblich von Ihren Büchern abweichen.

Ich finde das sehr schade. Wenn man die Filmrechte abgibt, denkt man, das gebe ich jetzt in gute Hände. Die versprechen einem ja auch das Blaue vom Himmel runter. Ich glaube denen jedes Mal und bin dann enttäuscht. „Silber“ ist die jüngste Verfilmung. Da gab es ein fantastisches Drehbuch von Christian Ditter, der auch Regie führen sollte. Er hat verstanden, dass es eine Komödie ist und wie die Geschichte und die Figuren funktionieren. Das Drehbuch war besser als mein Buch, ich hatte mich schon sehr auf diesen Film gefreut.

Und was geschah dann?

Beim Film reden so viele Parteien und Personen mit, es wechseln oft Produzenten oder Drehbuchautoren. Irgendwann war ich auch aus privaten Gründen ganz raus aus diesem Prozess. „Silber“ ist kein schlechter Film, er hat nur nicht mehr viel mit dem Buch zu tun. Klar war ich enttäuscht, und die Filmleute sind dann enttäuscht, dass ich enttäuscht bin. Der Film hatte einen tollen Look, war gut gemacht und gut gespielt, aber es hatte nichts von der Leichtigkeit und dem Charme des Buches. Es war plötzlich ein Drama – mit ein paar Logikfehlern. Natürlich konnte ich das nicht bedingungslos feiern, und ich habe es zum ersten Mal auch offen gesagt.

Sie waren auch nicht glücklich mit dem dritten Teil der „Edelstein“-Trilogie, oder?

Nein. Aber damals habe ich das nicht öffentlich kommuniziert. Es war der dritte Teil einer Reihe, was hätte ich da machen sollen, außer nach der Lektüre des Drehbuches auf Logikfehler aufmerksam zu machen und darum zu bitten, sich doch lieber mehr ans Buch zu halten? Da sie das nicht wollten, hätte ich damit vor Gericht gehen müssen, aber das wäre mühsam und kostspielig gewesen. Ich glaube, die haben bis zum Schluss gedacht, wenn sie erst mal sieht, was wir aus ihrem Buch gemacht haben, findet sie das doch gut. Ich hatte auch bei den ersten beiden Filmen Kritikpunkte und kleine Fremdschäm-Momente, aber ich fand es süß gemacht, und ich mochte die Schauspieler sehr.

Welche Lehren haben Sie aus der Erfahrung gezogen? Wird es künftig keine Verfilmungen Ihrer Bücher mehr geben?

Bei „Smaragdgrün“ hat es nicht schön geendet, Produzent und Drehbuchautoren waren sauer auf mich, und ich war sauer auf sie. Damals habe ich mich nicht getraut, öffentlich darüber zu sprechen, das würde ich heute anders machen. Was Verfilmungen angeht, bin ich also ein gebranntes Kind. Trotzdem gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass es auch mal eine gute, buchnahe Verfilmung geben wird.


Zur Person

Kerstin Gier, Jahrgang 1966, hat 1995 ihr erstes Buch veröffentlicht und schreibt seither sehr erfolgreich für Jugendliche und Erwachsene. Ihre „Edelstein“-Trilogie, die „Silber“-Reihe und ihre „Vergissmeinnicht“-Trilogie wurden zu internationalen Bestsellern. Gerade ist der Abschlussband „Was die Welt zusammenhält“ bei Fischer (528 Seiten, 24 Euro) erschienen. Mehrere Romane von ihr sind verfilmt worden. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Köln.