Das wiedervereinte kalifornische Pop-Punk-Trio Blink-182 spielte in der ausverkauften Kölner Arena. Unsere Kritik.
Blink-182 in der Lanxess-Arena„Das Beste an Köln? Es überdeckt den eigenen Körpergeruch“
Teenager-Regeln sind langweilig und beschissen. Näselt Tom DeLonge. Die Beine hat er zu maximaler Breite gespreizt, während er aus seiner mit Stickern beklebten Stratocaster-Gitarre Power-Akkorde haut. Die Baseball-Kappe trägt er rückwärts. DeLonge ist 47 Jahre alt und damit sogar noch der Jüngste im Bunde des Pop-Punk-Trios Blink-182. Das beherrschte schon immer die Kunst des spätpubertären Entwicklungsstillstands. Als DeLonge zum ersten Mal in „Anthem Part Two“ davon sang, jung und feindselig, aber nicht dumm zu sein, war er auch schon Mitte 20.
Damals, um die Jahrtausendwende herum, funktionierten die aggressiv albernen, jedoch ungemein eingängigen Singles von Blink-182 als Initiationsritus. Die Südkalifornier sangen Loblieder des Herumlungerns und Scheißebauens. Skateboardfahren, Alkohol im Supermarkt klauen. Von Mädchen träumen, während man mit seinen Kumpels Selbstbefriedigungswitze riss.
Eigentlich müsste einem diese Band peinlich sein. Aber das war sie eben nie. Im Gegenteil: Blink-182 erhoben den Schülerwitz zur Selbstermächtigungshymne, fingen das Vorstadt-Gefühl, so behütet wie unbehaust zu sein, in perfekten Vier-Akkorde-Songs ein. Da musste, da wollte man durch.
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Im Sommer 2023 sind Blink-182 das heißeste Ticket im Konzertgeschäft
Wer hätte auch schon damit gerechnet, dass Blink-182 im Jahr 2023 das heißeste Ticket des Sommers sein würde? Die Popmusik bewegt sich bekanntlich in 20-jährigen Nostalgie-Zyklen. Weshalb seit geraumer Zeit Schulkinder wieder Britney-Spears-Lieder singen und Jungstars wie Olivia Rodrigo den bratzigen Pop-Punk-Sound zitieren, dessen platonisches Ideal Blink-182 verkörpern. Das Trio hat also just zur richtigen Zeit wieder zu seiner Bestbesetzung zusammengefunden.
Dazwischen lag das sogenannte richtige Leben. Ehen, Kinder, Scheidungen. Wie langweilig. Tom DeLonge unternahm zahlreiche musikalische Ausbruchsversuche, Mark Hoppus, der Bassist und zweite Sänger, überlebte vor zwei Jahren eine Krebserkrankung. Und Travis Barker, der komplett durchtätowierte Virtuose am Schlagzeug, tingelte an der Seite von Kourtney Kardashian durch die Schlagzeilen. Derzeit erwartet das Promi-Paar sein erstes gemeinsames Kind. Weil es Komplikationen mit der Schwangerschaft gab, mussten drei Shows abgesagt werden. Das Kölner Konzert stand auf der Kippe. Familie geht vor.
In Köln betreten die drei Helden der Jugend die kleine Bühne – sie steht wie ein Baseball-Diamond im Innenraum der ausverkauften Lanxess-Arena – zu Richard Strauss' Zarathustra-Donnern. Als wären sie mit der Zeitmaschine gekommen. Nicht, um sich zu beschweren. Sondern, um 100 Minuten lang ein Alter heraufzubeschwören, als man noch glaubte, die Beschwerde könnte Erfolg haben.
Die dreckigen Wörter, die man im Fernsehen nicht sagen darf
„Family Reunion“, das dritte Stück auf der Setliste, setzt ganz auf die Kraft des Wortes, es besteht ausschließlich aus den berüchtigten „seven dirty words“, die man dem Stand-up-Comedian George Carlin zufolge nicht im Fernsehen sagen dürfe. Und auch nicht in der Zeitung abdrucken möchte. Aber auf vielen Familientreffen gerne herausgespien hätte.
DeLonge und Hoppus wechseln sich bei den Ansagen ab, die in etwa so ausfallen, als hielt man einem volltrunkenen 14-jährigen Klassenclown ein Mikrofon hin. „Was mir am besten an Köln gefällt?“, scherzt DeLonge: „Es überdeckt den eigenen Körpergeruch.“ Nur Barker spricht allein durch seine Drumsticks – und wirkt dabei viel beredter als seine albernden Kollegen.
Tom DeLonge und Mark Hoppus sind die Lennon/McCartney des Peniswitzes
Es gibt Laser, Nebel, Feuer und Konfetti, wie sich das so gehört. Einmal steigt ein großer aufblasbarer Krankenwagen auf und man stellt sich vor, darin säße die scharfe Krankenschwester vom Cover des „Enema of the State“-Albums. Ein andern Mal lugt ein panischer Hase hinter der LED-Wand hervor, das Wappentier der Band. Mark Hoppus hat es sich auf den Unterarm tätowieren lassen, das hält fürs Leben.
Die 26 Songs rauschen im Turbogang vorbei, eintönig wird es nie. DeLonge und Hoppus sind die Lennon/McCartney des Peniswitzes. Wie sicher ihr Händchen für eingängige Melodien und schlagkräftige Akkorde ist, das merkt man erst in dieser Häufung. „Happy Holidays, You Bastard“ spielen sie gleich zweimal hintereinander. Einmal schnell, einmal verdammt schnell.
Ausnahmen bilden nur das neue Stück „Edging“, in dem Tom DeLonge seine Hassliebe zur Band und deren Geschichte referiert, und „Adam's Song“, ein vertonter Abschiedsbrief, das dunkelste Stück im Œuvre der Skaterboys. Er habe es geschrieben, als er nicht mehr weiterwusste, erzählt Mark Hoppus, jetzt erinnere es ihn an seine Krebserkrankung. Aber selbst dieses Stück enthält noch Masturbationskalauer.
Mit „What's My Age Again“ leiten Blink-182 den Zugabenteil ein. Barker schwebt jetzt auf einer Plattform über seinen Bandkollegen. Nicht ganz zu Unrecht, seinem Schlagzeugspiel könnte man ewig zuhören. Wie er Militärmusik, John-Bonham-Geboller und Hip-Hop-Rhythmen zum ultimativen Punk-Kraftakt verbindet, das ist große Kunst.
„Meine Freunde sagen, ich soll mich meinem Alter entsprechend verhalten“, singt Mark Hoppus. „Wie alt bin ich noch mal?“ 51, sagt der Reisepass. Aber die korrekte Antwort lautet zwölf. Das beste Alter.