AboAbonnieren

Bodo Wartke zum Missbrauchsskandal„Die Kirche ist immerhin nicht die Mafia“

Lesezeit 5 Minuten
Bodo_Wartke_Portrait_1,_Querformat,_RGB

Bodo Wartke

KölnHerr Wartke, mit Ihrem neuen Song „Das System“ haben Sie eine Art Mottolied zum Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche geschrieben. Warum?Bodo Wartke: Es wurmt mich seit Jahren, dass in der Verfolgung der Täter und Ahndung von Vertuschung offenbar nichts vorangeht. Es kommen immer wieder neue Skandale ans Licht. Es wird nachweislich gelogen wie in Köln von Kardinal Joachim Meisner – aber niemand ist bisher zur Verantwortung gezogen worden.

Warum konzentrieren Sie sich so auf die katholische Kirche? Missbrauch gibt es auch anderswo.

Das stimmt. Ich hätte das Lied noch deutlich verlängern können. Und was die katholische Kirche betrifft, mache ich auch darauf aufmerksam, dass die Missbrauchstäter nur eine Minderheit sind. Es passiert auch viel Gutes in der Kirche. Umso schlimmer, dass diese Minderheit immer wieder durchkommt! Das aber liegt im System der katholischen Kirche begründet, in ihrem hierarchischen Aufbau, in ihren Machtstrukturen. Das sehen auch viele Katholikinnen und Katholiken so, die an den Missständen im System und am sturen Beharren derer verzweifeln, die sagen: „Wir machen alles genau so wie seit 1000 Jahren. Was damals gut war, das kann doch heute nicht schlecht sein.“ Was für ein verschenktes Potenzial!

Welchen Bezug haben Sie persönlich zur Kirche?

Ich bezeichne mich als passiv evangelisch. Ich bin getauft und konfirmiert, aber kein aktiver Kirchgänger. Der Botschaft und den Werten des Christentums kann ich viel abgewinnen. Zum Evangelischen Kirchentag 2011 in Dresden habe ich den Mottosong „Da wird auch dein Herz sein“ beigesteuert. Worauf kommt es an? Wofür lohnt es sich zu leben? Das war damals tatsächlich genau mein Thema. Ganz persönlich hat mich der Pfarrer beeindruckt, der vor einigen Jahren meine Mutter beerdigt hat. Am Tag der Beisetzung stellte sich zu unser aller Überraschung heraus, dass sie irgendwann aus der Kirche ausgetreten war. Der Pfarrer hätte jetzt theoretisch den Talar ausziehen müssen. Hat er aber nicht. Den Trauergottesdienst mit uns zu feiern, das sei ein Gebot der Nächstenliebe, sagte er. Gute Sache! So sollte es eigentlich sein. Religion ist, was man daraus macht. Leider wohnt jeder Religion – auch dem Christentum – das Potenzial zum Missbrauch inne.

Das könnte Sie auch interessieren:

Sie halten Religion aber nicht grundsätzlich für eine Fehlentwicklung?

Überhaupt nicht. Ich sage bewusst nicht: Kirche – total doof! Priester – alles Verbrecher! Es ist auch nicht alles Mumpitz, was in den heiligen Schriften der Religionen steht. Ich finde nur, diese Texte müssen heute so gelesen und gedeutet werden, dass sie zur Lösung der aktuell drängenden Menschheitsfragen beitragen. In meinem Lied „Die heiligen Schriften 2.0“ fordere ich deshalb ein Update dieser Texte.

Wenn Sie fehlende Strafverfolgung oder die Verjährung von Missbrauchstaten kritisieren, trifft das nicht nur die Kirche. Zielen Sie auch auf die Gesellschaft?

Ich sage in meinem Lied nichts Neues. Was ich im Idealfall erreichen kann, ist eine größere Öffentlichkeit, ein noch stärkeres Bewusstsein, dass etwas im Argen ist, und vor allem: die Bereitschaft, den Opfern sexuellen Missbrauchs zuzuhören und sie ernst zu nehmen. Das ist die Grundlage dafür, dass sich Dinge ändern. Mein Lied endet mit dem Bibelvers, der von „Glaube, Liebe, Hoffnung“ spricht, und mit dem Satz: „Bei mir ist die Hoffnung derzeit ja am größten“.

Warum? Viele Mitglieder der katholischen Kirche haben die Hoffnung aufgegeben und treten aus.

Wenn man die Möglichkeit des Gelingens in Betracht zieht, eröffnet man ihm genau damit den Raum. Ohne Hoffnung bräuchte ich keine Lieder zu schreiben. Und wäre ich in meinem ganzen künstlerischen Schaffen nicht getrieben von Zuversicht und Optimismus, könnte ich mich gleich in den Sarg legen.

Sie nennen die Kirche ein „Sünder-Syndikat“ und rücken Sie damit in die Nähe des organisierten Verbrechens. Zugleich empfehlen Sie der Kirche mit einem schönen Wortspiel, sie solle sich – statt weiter „vor sich hin zu modern“ – modernisieren. Warum sollten Sie der Mafia raten, sich zu erneuern?

Viele in der Kirche leiden unter starren Strukturen und wollen, dass sich etwas ändert. Ich glaube sogar, es ist die Mehrheit. Aber selbst dem Papst sind für beherzte Reformen offenbar die Hände gebunden. Dabei ist er doch der Chef oder zumindest die Nummer zwei nach dem Allerhöchsten. Das zeigt, wie mächtig ein System ist, das über Jahrhunderte auch sehr erfolgreich war, aber heute jede Menge Probleme mit sich bringt. Es ist ja nicht nur der Missbrauch. Es sind auch Homophobie, Diskriminierung der Frauen oder Bigotterie. Wenn man die Strukturen aufbrechen könnte, die das alles stabilisieren, dann käme darunter viel an lebendigem Glauben und an Wertvollem zum Vorschein, was Menschen guttut. Das ist bei der Kirche anders als bei der Mafia.

Alle Erlöse aus Ihrem Lied gehen an die Opfer-Organisation „Eckiger Tisch“. Das haben Sie mit anderen Liedern rund um Religion und den Missbrauch von Religion auch schon so gemacht. Wollen Sie von eigenen Beiträgen zu diesem Thema nicht profitieren?

Mir geht es da um ein Bewusstsein für die Handlungsfähigkeit jedes und jeder Einzelnen. Niemand ist machtlos. Man kann immer etwas tun. Und wer mein Lied hört, kauft, herunterlädt, leistet damit schon einen aktiven Beitrag für die Arbeit des Vereins „Eckiger Tisch“, in dem Opfer sexuellen Missbrauchs in der Kirche sich zusammengetan haben und für ihre Belange kämpfen. Bis heute melden sich viele Opfer ja genau deshalb nicht zu Wort, weil sie die Erfahrungen machen mussten, dass sie mit ihren Geschichten kein Gehör und keinen Glauben finden. Der „Eckige Tisch“ tut genau das, was die katholische Kirche seit Jahren verspricht, aber nicht umsetzt.

Gibt es schon Einladungen aus dem Raum der Kirche, mit Ihrem Lied aufzutreten?

Noch nicht. Nun sind die Erkenntnisse aus meinem Lied der katholischen Kirche ja keineswegs neu. Die wissen genau, wovon ich singe. Ich sorge nur dafür, dass es sich reimt. Aber mein Lied ist auch ein Angebot, die Fortsetzung des Diskurses mit anderen Mitteln. Mal sehen, was passiert.

Bodo Wartke (44) ist ein deutscher Musikkabarettist, Liedermacher und Schauspieler. Er studierte Klavier und Gesang an der Universität der Künste in Berlin und begleitet sich bei seinen Kabarettabenden auf dem Flügel. Er lebt in Berlin.