Abschied wegen AphasieWarum Bruce Willis Karriere auch mit einer Sprachstörung begann
Los Angeles – Es ist schon ziemlich lange her, dass man Bruce Willis in einem guten Film sah, schätzungsweise seit er 2012 in Wes Andersons „Moonrise Kingdom“ den Inselpolizisten Captain Sharp gespielt hatte. Anderson hatte an James Stewart als Idealbesetzung gedacht – und an Willis als einzigen lebenden Schauspieler, dem man eine solche, völlig ungebrochene Güte wie aus einem Melodram der 1950er Jahre abkaufen würde. In den vergangenen acht Jahren aber hat der einstige Megastar 29 Filme abgedreht, von denen es 23 erst gar nicht auf die Leinwand schafften.
Sein Thriller „Out of Death“ (2021) erhielt auf der Seite „Rotten Tomatoes“, die Film- und Fernsehrezensionen sammelt, eine seltene Null-Prozent-Wertung, das heißt es gab ausschließlich Totalverrisse. Die „Razzies“, die am Abend vor der Oscar-Verleihung die Goldene Himbeere für die peinlichsten Fehlleistungen Hollywoods verleihen, hatten dieses Jahr eigens eine neue Kategorie für ihn eingerichtet: „Schlechteste Darstellung von Bruce Willis in einem 2021er Film“.
Geschmackloser Spott der „Goldenen Himbeere“
Die erscheint nur eine Woche später unnötig grausam und äußerst geschmacklos: Am Mittwochabend hatte Willis“ Familie mitgeteilt, dass der 67-Jährige seine Filmkarriere wegen gesundheitlicher Probleme beenden werde. Bei Willis war eine sogenannte Aphasie diagnostiziert worden, die seine kognitiven Fähigkeiten beeinträchtige.
Er kann sich keine Texte mehr merken, hat wahrscheinlich auch Verständnisschwierigkeiten, jedenfalls kann er nicht mehr in dem Beruf arbeiten, der doch ganz klar seine Berufung war: Jahrzehntelang schenkte uns Bruce Willis die Illusion, dass wir auch als Jedermann und Jederfrau Außergewöhnliches leisten könnten, wenn uns das Schicksal in ausweglose Situationen werfen würde.
Wir könnten bloßen Fußes ruchlose Terroristen Mann für Mann erledigen, unsere Ehe retten und zugleich explosive Kritik an postmoderner Architektur üben, wie Willis in „Stirb langsam“. Wir könnten, wie Willis in „Armageddon“ uns als ölverschmierter, hart ranklotzender Bohrführer in Nullkommanichts zum Astronauten ausbilden lassen, einen Asteroiden von der Größe Texas‘ sprengen und die Menschheit vor ihrer sicheren Auslöschung retten.
Willis' Imax-großes Charisma
Wir könnten all das bewerkstelligen und dabei doch der ganz normale Typ von der Theke bleiben. Wir würden weiße Feinripp-Unterhemden tragen, dumme Sprüche machen und dabei mit Imax-großem Charisma unsere bescheidene Umgebung überstrahlen. Und weil das selbstredend völlig unmöglich ist, muss Bruce Willis in so vielen seiner Filme erstmal kräftig einstecken. Er ist der große Bluter des Actionfilmes, als wollten seine Regisseure auf diese Weise dem Publikum beweisen, dass in der harten Schale ein verwundbarer Mann steckt: Ecce homo. Seht, der Mensch! Aber was für einer!
Dass er auf der Leinwand lebensecht und überlebensgroß zugleich wirken kann, hat er vielleicht dem bedenkenswerten Umstand zu verdanken, dass er seine Karriere nicht nur mit Sprachschwierigkeiten beendet, sondern auch begonnen hat: Der junge Walter Bruce, geboren im rheinland-pfälzischen Idar-Oberstein als Sohn einer deutschen Mutter und eines amerikanischen G.I., war ein starker Stotterer.
Nur auf der Bühne musste er nicht stottern
Seine Klassenkameraden in New Jersey verspotteten ihn als „Buck-Buck“. Er hatte also schon viel ertragen, viele Verletzungen überspielen müssen, als er sich auf Anraten seines Sprachtherapeuten dem Theaterclub seiner Schule anschloss. Und dort, auf der Bühne, in einer Adaption von Mark Twains „Ein Yankee am Hofe des König Artus“ geschah das Wunder: So lange er eine Rolle spielte, stotterte er nicht mehr.
Seine Schauspielausbildung verdiente er sich unter anderem mit einem Job als Sicherheitskraft in einem Atomkraftwerk und als Privatdetektiv. Später spielte er einen ebensolchen in der TV-Serie „Moonlighting“. Als Theaterschauspieler liebte er die Stücke von Sam Shepard, in denen zwischen den Sätzen viel geschwiegen wird, „Moonlighting“ orientierte sich jedoch an den Screwball-Komödien der 1930er Jahre: Bruce Willis erlebte seinen Durchbruch als flapsiger Frauenschwarm, ein Komödiant, der in einer späten Folge auch schon mal in Windeln als sein eigenes ungeborenes Baby auftrat, das im Bauch von Cybill Shepherd tanzte.
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Aber Willis„ erste Gehversuche in der Filmbranche floppten und als ihn der Regisseur John McTiernan nach zwei mauen Blake-Edwards-Komödien als Actionheld in „Die Hard“ besetzte, hoben sich viele Augenbrauen. Aber McTiernan wollte keinen Schwarzenegger, sondern einen Alltagstypen, um dessen Leben die Zuschauer wirklich fürchten würden, der in seiner Mission genauso gut scheitern könne (wie er es dann zum Beispiel in „12 Monkeys“ tut).
Diese Verwundbarkeit – ob körperlich oder im übertragenen Sinne – ist wohl das Geheimnis seines Erfolges: Der berühmte Twist in „The Sixth Sense“ (1999) funktioniert nur, weil Willis’ zuvor so überzeugend einen zutiefst einsamen, in Schweigen versunkenen Mann gespielt hat. Bruce Willis’ Actionhelden sind immer Verlorene und Verlierer. Andersherum gilt das natürlich auch.