Warum der Arzt, katholische Theologe und Bestsellerautor Manfred Lütz lieber über Kunst spricht als über die Kirche.
Theologe und Autor Manfred Lütz„Den Sinn des Lebens kann man sehen“
Herr Lütz, in Ihrem neuen Buch geht es um Kunst in und aus Rom. Wer braucht denn noch einen weiteren Kunstreiseführer Rom?
Niemand. Es ist aber weder Kunst- noch Reiseführer, sondern – wie der Titel verrät – eine Expedition. Ziel: Der Sinn des Lebens. Danach, so mein Eindruck, suchen gerade sehr viele Menschen. Und meine These lautet: Den Sinn des Lebens kann man sehen – in der Kunst.
Dann aber nicht nur in Rom.
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Das stimmt. Allerdings war Rom über Jahrhunderte die Hauptstadt eines Weltreichs. Und bis heute ist Rom die Zentrale der weltumspannenden katholischen Kirche. In Rom und für Rom haben die bedeutendsten Künstler ihr Bestes gegeben.
Michelangelo zum Beispiel, dessen „Pietà“ im Petersdom Sie auch noch als „das stärkste Glaubensbekenntnis der Kunstgeschichte“ bezeichnen.
Die Pietà enthält tatsächlich das ganze Christentum. Das leichte Lächeln der Maria – zeitlich parallel zum stolzen Lächeln von Leonardo da Vincis Mona Lisa und doch ganz anders – ist mit dem Blick auf den Leichnam ihres Sohnes nur möglich im Glauben an die Auferstehung. Ich bin überzeugt: Wenn ein Atheist sich die Pietà fünf Stunden lang verständig anschaut, kann er Christ werden. Oder zumindest ein humanerer Atheist.
Kein Kunstführer also, aber ein Katechismus. Schließlich formulieren Sie im Nachwort selbst ein Glaubensbekenntnis.
Nur um als Autor transparent zu sein und eben nicht mein Christentum irgendjemandem unbewusst unterzujubeln. Deswegen ist mein Buch natürlich auch kein Katechismus. Jeder Leser und jede Leserin soll seinen, ihren eigenen Sinn des Lebens in den vorgestellten Kunstwerken entdecken. Im Buch reden großartige Künstler laut in ihren Werken. Ich kann meine Sicht nur leise flüstern. Es kommen auch viele Kunstwerke der nicht-christlichen Antike vor. An der bronzenen Porträtbüste eines vornehmen Römers, dem sogenannten kapitolinischen Brutus, zum Beispiel kann man sehen, wie eine kleine Stadt in Mittelitalien Mittelpunkt der damals bekannten Welt werden konnte.
Nämlich wie?
Man entnimmt diesem Gesicht Pflichtbewusstsein, Würde und Entschiedenheit. Sinn des Lebens war für die alten Römer vor allem der Dienst am Staat, und das hat Rom groß gemacht.
Sie interpretieren nicht nur viele Kunstwerke, sondern deuten auch die Kirchengeschichte: als Erfolgsstory, ungeachtet gelegentlicher Verirrungen oder Unzulänglichkeiten.
Nein, ich erzähle vor allem die Geschichte und Kunstgeschichte Roms auf dem heutigen Stand der Forschung, damit man die Kunst dieser Hauptstadt der katholischen Kirche versteht. Aus vielen Stadtführungen weiß ich: Das eine geht nicht ohne das andere.
Schwelgen Sie in großer Kunst der Vergangenheit, um Aussagen über die Niederungen unserer Gegenwart vermeiden zu können?
Ich beobachte in der Gegenwart in der Tat, wie die Kirche sich selbst zerlegt. In Teilen ist das ja nur noch zum Fremdschämen. Deswegen äußere ich mich dazu auch gar nicht mehr. Der Theologe Karl Rahner hat mal gesagt, es gebe einen Atheismus aus Respekt vor Gott.
Was soll das heißen?
Menschen, die für Gott sensibel sind, können das Wort Gott so beschmutzt finden durch diejenigen, die es öffentlich immer im Munde führen, dass sie sich selber lieber zu Atheisten erklären. In dem Buch geht es aber nicht um Gott, sondern um den Sinn des Lebens, und den sucht jeder Mensch. Insofern ist das ein Buch für 80 Millionen Deutsche.
Das wäre nicht schlecht für den Autor.
Sie müssen es ja nicht alle kaufen. (lacht) Was ich damit meine: Künstler haben ihre Werke nicht für Kunstexperten geschaffen, sondern für alle Menschen, die davon in der Seele berührt werden können. Manche Menschen, Albert Einstein zum Beispiel, sehen den Sinn des Lebens in der Natur. Doch wenn es nur Natur gäbe, dann gäbe es keinen Sinn. Erst der Mensch kann in der Natur Sinn sehen. Caspar David Friedrich zeigt das, indem er nicht einfach Landschaftsbilder malt, sondern Menschen von hinten zeigt, versunken in die Betrachtung der Natur.
Sie sagen: Die Geschichte Roms ist auch eine Geschichte der Macht. Deren Dunkelheiten überblenden Sie mit dem Glanz grandioser Kunst – zumindest insoweit es die Macht der Kirche betrifft.
Gegenthese: Viele Kunstwerke in Rom haben kirchenkritisches Potenzial. Michelangelo zum Beispiel, der alles andere als kirchenfromm war, ist mit seinem Deckenfresko in der Sixtinischen Kapelle ein Pendant zu Luther. So wie der Reformator die Kirche mit Worten wieder ganz auf Jesus Christus ausrichten wollte, tut Michelangelo es im Bild: Die ganze Schöpfung, sagt er in der Sixtinischen Kapelle, ist hingeordnet auf Christus.
Warum nennen Sie die Reformation dann ein „kulturelles Missverständnis“?
Weil die Italiener schon im 16. Jahrhundert die Mentalität der Deutschen nicht verstanden haben und umgekehrt. Hierzulande geht es immer ums Prinzip, und man will am liebsten alles Schwarz auf Weiß haben. Die Italiener nehmen die Dinge etwas … sagen wir gelassener.
Hätte Luther den Ablasshandel also mal lieber „gelassener“ nehmen sollen?
Nein, aber das war ein deutsches Problem.
Und die Päpste haben profitiert – vom „Geld, das im Kasten klingt“.
Papst Pius IV. hat den Ablasshandel 1562 erst verboten, sein Nachfolger Pius V. ihn 1567 sogar mit Exkommunikation belegt.
Sehen Sie, am Ende kriegen Sie immer die Kirchenkurve: War doch nicht alles gar so schlimm.
Nein, natürlich gibt es Dunkelheiten und Krisen. Aber in solchen Zeiten blüht die Kunst in der Regel nicht. Doch vielleicht hat Ihr Eindruck damit zu tun, dass mein Buch all das aufgreift, was mich in meinem Leben interessiert hat, so zum Beispiel die wissenschaftliche Entlarvung kirchengeschichtlicher Mythen. Es gibt auch einige Kunstwerke, die ich auch aus psychologischer Sicht hochinteressant finde, zum Beispiel Caravaggios „Berufung des Matthäus“. In diesem Bild kann man den Berufungsvorgang buchstäblich sehen. Und damit bin ich wieder bei meiner zentralen These: Sinn kann man sehen. Durch die Betrachtung der Kunstwerke Roms in diesem Buch kann man ein besserer Mensch werden.
Eine von vielen erstaunlichen Erschließungen römischer Kunst ist Ihre Sicht, der Petersdom sei die Stein gewordene Weigerung, die Menschen überwältigen zu wollen. Wenn es ein Gebäude gibt, das den Menschen demonstriert, wie klein sie sind und wie mächtig die Kirche, dann ist es doch der Petersdom.
Als Reiseleiter habe ich aber immer wieder erlebt, dass die Leute mit ungeheuren Erwartungen in den Petersdom kommen, und dann sind sie - enttäuscht: „Das habe ich mir viel größer vorgestellt.“
Ja, weil alles so überdimensioniert ist.
Genau! Weil alles so riesig ist, selbst die Putten an den Weihwasserbecken, wird es nach menschlichen Maßstäben wieder fassbar. Vergleichen Sie das mit dem Kölner Dom: Sein Mittelschiff ist nicht so hoch wie das im Petersdom. Aber der gotische Stil macht den Menschen winzig und reißt ihn machtvoll in die Höhe. Das ist im Petersdom anders. Und das ist keine Panne. Diese Kunst will nicht überwältigen und erzielt gerade dadurch Wirkung.
Zur Person
Manfred Lütz, geboren 1954, ist Arzt und Theologe. Er hat Medizin, Theologie und Philosophie in Bonn und Rom studiert. Als Facharzt für Psychiatrie hat er von 1997 bis 2019 das Alexianer-Krankenhaus in Köln-Porz geleitet. Lütz ist Autor vieler Bestseller und Mitglied in Beratungsgremien des Papstes. (jf)
Manfred Lütz: Der Sinn des Lebens. Mit einem Geleitwort von Elke Heidenreich, Verlag Kösel, 365 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 30 Euro.
Buchvorstellung in Köln
Am Mittwoch, 20. März, um 19 Uhr präsentiert Lütz sein neues Buch im Gespräch mit Bettina Böttinger im Stiftersaal des Wallraf-Richartz-Museums (WRM). Der Abend ist eine Kooperation der Thomas-Morus-Akademie in Bensberg mit dem Kösel-Verlag und dem WRM. Obenmarspforten, 50667 Köln. Der Eintritt ist frei. Anmeldung erforderlich per E-Mail an akademie@tma-bensberg.de oder per Fax 02204/408420.