„Machtkampf in Russland – Verliert Putin die Kontrolle?“, wollte Anne Will von ihren Gästen nach dem Putschversuch von Prigoschin wissen.
Carlo Masala bei Anne Will„Wenn ich Prigoschin wäre, würde ich jede Nacht dreimal das Bett wechseln“
Die Eskalation rund um Jewgeni Prigoschin und seine Privatarmee Wagner am Freitag und Samstag war Thema im ARD-Talk mit Anne Will. Prigoschin hatte offen zum Aufstand gegen die russische Militärführung und zum Sturz von Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow aufgerufen. Er warf den russischen Streitkräften vor, seine Truppen angegriffen zu haben. Wladimir Putin sprach von „Verrat“ und kündigte harte Maßnahmen an.
So schnell wie der Konflikt sich zuspitze, so schnell war er am Samstag aber auch beendet. Prigoschin stoppte seinen Marsch in Richtung Moskau. Angeblich schaltete sich der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko als Vermittler ein und überzeugte Prigoschin vom Abbruch des Putsches. Im Gegenzug wurde ihm Straffreiheit zugesagt. Angeblich hält sich der Wagner-Chef nun in Belarus auf.
Über die Hintergründe des Wagner-Aufstandes und dessen Auflösung wird seit dem Wochenende spekuliert. Dass noch vieles unklar ist, merkte man auch der Talkrunde von Anne Will an. Zu Gast waren Lars Klingbeil (SPD-Chef), Roderich Kiesewetter (Außenexperte der CDU), Sabine Adler (Osteuropaexpertin beim Deutschlandradio), Carlo Masala (Politikwissenschaftler), Ina Ruck (ARD-Korrespondentin in Moskau) und Vassili Golod (Ukraine-Korrespondent der ARD).
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Ina Ruck über Deal mit Jewgeni Prigoschin: „Da reibt man sich die Augen“
„Das vergessen die Leute nicht“, schätzt die aus Moskau zugeschaltete Ina Ruck die Lage ein. Putins Beliebtheit fuße auch auf dem Sicherheitsgefühl, das er der Bevölkerung gebe. Wenn ein solcher Aufstand möglich sei, würde das langfristig etwas mit dem Rückhalt für den Kreml-Herrscher machen.
Auch der plötzliche Schwenk hin zum offensichtlichen Deal mit Prigoschin, nachdem Putins kämpferische Rede am Samstag ständig im TV wiederholt worden war, dürfte Fragen bei den Russinnen und Russen aufwerfen. „Da reibt man sich die Augen“, sagt Ruck und spricht von „Schmach für Putin“. Ob der belarussische Machthaber Lukaschenko wirklich selber verhandelt habe oder als Strohmann für den Kreml vorgeschickt wurde, sei unklar. „Wir stochern im Dunkeln“, fasst sie die Lage zusammen.
Die Runde im Studio ist sich einig, dass Putin durch die Ereignisse rund um Prigoschin geschwächt sei und die Kontrolle verloren habe. Er habe mit Prigoschin in den vergangenen Jahren eine gefährliche Figur, einen Gewaltverbrecher und Milliardär hochkommen lassen, sagt Sabine Adler. „Ich glaube, das ist der Anfang vom Ende Putins“, meint sie.
Carlo Masala bei „Anne Will“: Bild von Wladimir Putin wackelt
Carlo Masala stimmt Adler zu: „Der Mann, der sich gerne mit nacktem Oberkörper zeigt, auf Bären und Pferden reitend, in U-Boote steigt und Panzer fährt, wird von einer Privatarmee [...] in die Ecke gedrängt und muss mit einem nicht-staatlichen Akteur verhandelt. Er ist nicht in der Lage, diesen Vormarsch militärisch zu stoppen“, fasst er zusammen. Das sei ein „Schlag ins Gesicht“ für Putin.
Lars Klingbeil setzt darauf, dass das „System Putin“ destabilisiert wird und dass dies zu einem Wendepunkt im Krieg gegen die Ukraine wird. Roderich Kiesewetter meint, die Ereignisse hätten gezeigt, dass Putin auf Druck handele. Er habe zum ersten Mal in Verhandlungen eingewilligt. Das sei auch ein Signal an den Westen, der in seiner Unterstützung für die Ukraine nicht nachlassen dürfe.
„Anne Will“: Carlo Masala spricht über Konsequenzen für Jewgeni Prigoschin
„Wenn ich Prigoschin wäre, würde ich für die nächsten Jahre jede Nacht dreimal das Bett wechseln, um nicht erwischt zu werden“, meint Masala zur wahrscheinlichen Rache Putins an seinem ehemaligen Vertrauten. Auch andere Regimegegner seien noch Jahre später vergiftet und ermordet worden.
„Putin hat nur zwei Möglichkeiten“, fasst Masala die derzeitige Situation des Kreml-Herrschers zusammen. Entweder es bleibe alles, wie es ist, dann erodiere seine Macht immer weiter. Es sei aber auch möglich, dass der Präsident den Putsch nutze, um seine Gegner loszuwerden. „Und je mehr Chaos in Moskau, desto besser für die Ukraine“, sagt der Politikwissenschaftler.
Die Ukraine profitiere vom Putschversuch Prigoschins, meint auch Vassili Golod. Der moralische Faktor sei nicht zu unterschätzen. Die ukrainischen Soldaten würden sehen, dass der Gegner geschwächt sei. Für die russischen Soldaten sei der Unsicherheitsfaktor gewachsen. Sie wüssten ja ohnehin nicht, wofür sie eigentlich kämpften.