Chart-KolumneMein popkulturell durchwachsener Italien-Urlaub – „Hey, Baby”
- War früher alles besser? In den Musikcharts ganz bestimmt! Sicher? Na gut, vielleicht auch nicht.
- Jede Woche hört sich unser Kolumnist Marcus Bäcker in seiner Glosse „Neu in den Charts”durch die Hitliste – und findet dabei Entsetzliches wie Schönes.
- Besonders zittern müssen vor seiner strengen Feder die vielen Talentbefreiten unter den Stars und Sternchen. In dieser Woche haben deutschen Rapper aber mal Ruhe vor ihm. Denn Bäcker reist und hört sich durch Italien. Oder so ähnlich.
- Leider war „Hey, Baby” auch dabei. Wie er von da auf das spanische Frauen-Duo Baccara aus den Siebzigern kommt? Lesen Sie es hier.
Was das Popkulturelle angeht, möchte ich den Urlaub 2019 als durchwachsen bezeichnen. In Bologna fand ich den Plattenladen, in dem ich mich seit Jahren umschauen möchte, erneut verrammelt vor. Offenbar brauche ich mich den Stadtgrenzen nur zu nähern, zack, verabschiedet sich der vermutlich nur bedingt geschäftstüchtige Ladenbesitzer in die Ferien. Immerhin gab es in einem anderem Laden just das Album, das Caetano Veloso einst im Londoner Exil aufnahm, durchsichtiges Vinyl, auf 500 Exemplare limitiert, verschweißt, 17 Euro: Laune gerettet.
Während der Autofahrten durch die Crete Senesi wiederum ließ ich mich von meiner Tochter davon überzeugen, dass der aktuelle US-amerikanische Hip-Hop durchaus Hörenswertes zu bieten hat. Auch ihr Wunsch nach einem Plattenspieler erfreute mich. Sollte sie allerdings eine ähnliche Vinyl-Leidenschaft wie ich entwickeln, sehe ich schwarz für unsere Finanzen. Für die Statik unseres Häuschens übrigens auch.
Nun erschien jedoch zum Start in die zweite Urlaubswoche ausgerechnet die Kolumne, in der ich die Goombay Dance Band erwähnte. Bei Facebook führte das zu allerlei Aufruhr. Unter anderem wurden mir zwei Flaschen Wein angeboten, wenn ich als nächstes etwas Gehaltvolles zu Baccara schreiben würde. Das empörte mich sehr. Als ob ich mich mit der Aussicht auf alkoholische Getränke – der Syrah des kleines Weinguts Poggio Grande wäre übrigens nicht übel – dazu verleiten lassen würde, irgendetwas über ein spanisches Frauen-Duo zu verlautbaren, das 1977 mit „Yes Sir, I Can Boogie“ seinen ersten und größten Hit feierte! Dass besagtes Liedchen einst auch von Mike Krüger interpretiert wurde, soll nicht unerwähnt bleiben. Titel: „Fremder, ich kann bügeln“.
Baccara gibt es erstaunlicher Weise immer noch, präziser gesagt zweimal. Irgendwann konnten die beiden Damen nicht mehr miteinander, gingen getrennten Wege und feierten ihre fulminante Rückkehr schon kurze Zeit später, die eine mit Mayte Mateos’ Baccara und die andere mit Maria Mendiola’s Baccara. Auf der einen Seite kann man sehr froh sein, dass Baccara kein Sextett waren. Auf der anderen Seite hätte aber auch ein 90-köpfiges Baccara-Revival-Orchester nicht schlimmer sein können als das, was mir bei der Pool-Party in unserem eigentlich heiß geliebten toskanischen Agriturismo widerfuhr: Wenn man inmitten einer glückselig strahlenden und zu „Hey, Baby“ enthemmt zappelnden Masse mit einem Gesichtsausdruck dasteht, als habe man soeben exklusiv von einer kurz bevorstehenden, tödlichen und unappetitlichen Pandemie erfahren, führt das zwangsläufig zu Diskussionen. „Mir ist Musik nun mal sehr, sehr wichtig“, versuchte ich zu begründen. Man starrte mich an. Man verstand mich nicht. Zwischen mir und den anderen tat sich ein Abgrund auf, wie er zwischen Mayte Mateos und Maria Mendiola nicht größer gewesen sein kann.
Neu in den Charts: ganz viel deutscher Hip-Hop. Ich glaube, ich brauche Urlaub.