Christopher Nolans neuer Thriller „Tenet“In der Zeitschleife die Welt retten
Geht es hier um einen Film oder geht es um einen Glaubenssatz, englisch „Tenet“, wie Christopher Nolans neuer Thriller heißt? Steht womöglich nicht allein die Rettung der Menschheit auf dem Spiel, sondern auch die des Kinos? Seit Monaten, genauer, seit dem Ausbruch der Corona-Krise überschlug sich die Branche in Spekulationen darüber, wann und ob überhaupt „Tenet“ auf der großen Leinwand starten würde.
Sollte die Praxis des Disney-Konzerns, Blockbuster wie „Mulan“ oder „Artemis Foul“ ohne Umweg direkt im Streaming-Kanal zu vermarkten, zur Blaupause für andere Verleiher werden – der Breitbildberserker Nolan wäre auf Bildschirm- oder gar Handyformat geschrumpft, und dagegen wird er sich selbst am energischsten gewehrt haben.
Manipulation der Zeit bleibt beliebtes Thema
Also startet „Tenet“ nun Ende August, am Mittwoch der kommenden Woche mit einem globalen Paukenschlag in den Kinos rund um den Globus, der ebenso allumfassend gerade vom Virus in Schach gehalten wird. Die Kinos darben und müssen ihrem Publikum oft Filme vorsetzen, die schon vor zwei Jahren keiner sehen wollte, da wächst Christopher Nolan die Rolle des Retters und Heilsbringers zu. Wie gut, dass auch sein Thriller – zumindest dem Anspruch nach – in diese Schuhgröße passt. In „Tenet“ wird die Erde von einem dritten Weltkrieg bedroht, der allerdings nicht die Form eines nuklearen Holocaust annehmen soll, sondern mit Waffen geführt wird, die aus der Zukunft auf die Gegenwart zielen.
Die Manipulation der Zeit – siehe „Dark“ – ist ein verführerisches Motiv, das sich vom Klassiker „Die Zeitmaschine“ nach H.G. Wells bis zum Terminator zieht. In „Tenet“ ersinnt der Protagonist ein strategisches Manöver, das er „temporären Zangengriff“ nennt: So wie sich konventionelle Armeen im Raum aufteilen, um den Feind von zwei Seiten unter Druck zu setzen, so reisen die Truppen des von John David Washington gespielten Helden gleichzeitig in Vergangenheit und Zukunft, um einen Angriff auf die Gegenwart zu starten. Klingt kompliziert? Ist kompliziert.
Wort und Action im Gleichschritt
Wie beinahe jeder Film Nolans bricht auch „Tenet“ unter der eigenen Ambition förmlich zusammen. Das galt für seine „Batman“-Variationen, sein Traumspiel „Inception“ und es gilt auch für die neue Dystopie, die nicht bloß ein Zeitreise-Thriller, sondern auch eine Zeitreise-Philosophie sein will und deshalb eine Art Handbuch samt Anmerkungsapparat zu den Szenen mitliefert. Nicht im wirklichen Sinne natürlich: Seine Erklärungen verpackt Nolan in weitschweifige Dialoge, die „Tenet“ in zahlreichen Passagen zu einem Konversationsstück gerinnen lassen. Wie schon bei „Inception“ ist das Gegenrezept nicht gerade ein Meisterstück an Erfindungsreichtum: Ausgedehnter Wortlastigkeit setzt Nolan ausgedehnte Action entgegen.
Da kommt es im Zeitlabyrinth des Geschehens schon mal zu einem Kampf John David Washingtons gegen sich selbst, was man zur Verdeutlichung dieser Tatsache ausführlich gleich zweimal sieht. Ansonsten fällt es schwer, den Überblick zu behalten, wo man sich gerade befindet, in der Vergangenheit, in der Zukunft, in der Gegenwart, oder gleich in allen dreien auf einmal, jedenfalls wird es einem auch zunehmend gleichgültig, so dass man sich durchaus nach Eindimensionalität sehnt, auch wenn Nolan diese überlegen belächelt.
Unfreiwillige Komik
Seiner angeberhaften Attitüde allerdings kommt nicht gerade entgegen, dass die technischen Mittel, derer er sich ausgiebig bedient, aus der filmischen Mottenkiste stammen. Einzelne Zeitschichten, wir verraten nicht, welche, zeichnen sich dadurch aus, dass sich alle Abläufe umkehren – also läuft der Film wie bei den „Vätern der Klamotte“ rückwärts, nur waren die damals bedeutend lustiger.
Bei Nolan wirkt das allenfalls unfreiwillig komisch, zumal die Bilder der CGI-Zaubertechnik seltsam verzögert aufeinander folgen. Absicht? Eher nicht. Nolan ist zwar mitunter selbstreferenziell, wenn Washington seine Dominanz über andere Zeitreisende mit dem Hinweis unterstreicht, dass er der Protagonist in dieser Geschichte sei. Technische Makel, etwa um auf alte Stummfilme hinzuweisen, würde sich der ziemlich humorfreie Nolan dennoch niemals erlauben.
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Da sich alle Phänomene in der Zeitschleife umdrehen und etwa Flammen zu Eis werden, ist nur der Hinweis witzig, Washington sei vermutlich der einzige Mensch, der in einem brennenden Auto fast erfroren wäre. Hätte Nolan, statt in immer neue Windungen abzudriften, doch bereits beim Schreiben des Drehbuchs mehr auf solche Einfälle vertraut – und hätte er doch bloß den Fähigkeiten seiner Darsteller vertraut, die es durchaus in sich haben: John David hat nicht bloß den tigernden Gang von seinem Vater Denzel Washington geerbt, sondern auch die Lakonie, die dieser in seinen besten Momenten erreicht. Robert Pattinson ist als geheimnisvoller Dandy stets zur Stelle, wenn es brenzlig wird, und Elizabeth Debicki verströmt als hochgewachsene Schönheit am Rande der Magersucht eine stets verletzliche Eleganz. Sie alle agieren aber nur gebremst, entweder, weil sie aufgrund von Nolans Mitteilungsbedürfnis permanent quasseln oder weil sie zu Action-Comic-Figuren mutieren. Sieht so also die Rettung des Kinos aus? Nein, aber ein Thriller von Christopher Nolan sieht so aus, der zur Rettung der Kinos trotzdem viele Zuschauer lockt.