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Christos Vision für Kölner Bauwerk„Der Dom ist selbst nur eine Hülle“

Lesezeit 5 Minuten

Christo – Mein Kölner Dom, Wrapped

  1. Der kürzlich verstorbene Künstler Christo hatte auch für den Kölner Dom eine Vision, wie ein Entwurf aus den 80er-Jahren belegt.
  2. Im Interview spricht der Theologie und Kunsthistoriker Dominik Meiering den Einfluss der Kirche auf Christos Werk, Parallelitäten zwischen Kunst und Kirche und die nie verwirklichte Vision des Entwurfs.

KölnHerr Pfarrer Meiering, Sie haben eine kunstgeschichtliche Doktorarbeit über Christos Werk geschrieben. Hatten Sie je den Traum vom „Kölner Dom, Wrapped“, dem von Christo verhüllten Dom?

Tatsächlich hat Christo 1980 an der Aktion „Mein Kölner Dom – Zeitgenössische Künstler sehen den Kölner Dom“ teilgenommen. Seinen Beitrag, den er 1992 dann noch einmal aufgelegt hat, zeigt die Kathedrale bedeckt von weißen Stoffbahnen, von den Turmspitzen bis zum Sockel. Hier haben Sie sozusagen auf einen Blick den Clou von Christos Kunst, die eben nicht Verpackungskunst, sondern Verhüllungskunst ist.

Was ist der Unterschied?

Auf den Unterschied hat er selbst Wert gelegt. Eine „Verpackung“ ist alles Mögliche, auch die Blechdose für Thunfisch. Eine „Verhüllung“ hat per se etwas Auratisches. An der Collage des verhüllten Doms wird das auf den ersten Blick deutlich: Die Hülle macht sichtbar, dass der Dom selbst eine Hülle ist – nämlich für den Dreikönigenschrein. Dieser wiederum birgt und verbirgt die Reliquien der Heiligen Drei Könige, die ihrerseits zeichenhaft an die Möglichkeit einer realen Begegnung zwischen Mensch und Gott erinnern. Es ist sozusagen ein geistliches Zwiebelprinzip, das dem Dom ideell zugrunde liegt. Und das hat vielleicht niemand so gut verstanden wie Christo.

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War je an eine Realisierung seines Entwurfs gedacht?

Christo selbst hat das nie aktiv betrieben. So haben wir „nur“ diesen fantastischen Entwurf – fantastisch im doppelten Sinne des Wortes.

Für Christo war Religion erklärtermaßen auch etwas Gefährliches. Trotzdem befassen Sie sich als Theologe mit seiner Kunst. Wollten Sie ihn christlich eingemeinden?

Nein. Christos Kunst ist völlig selbstständig, autonom. Aber sie ist nicht denkbar ohne das Christentum und die Ikonographie der christlichen Kunst. Das hat er mir einmal in einem langen Gespräch ausdrücklich gesagt.

Sie meinen, wegen des Vorhang-Motivs, das schon in der Bibel verwendet wird, wenn es um die gleichzeitige Anwesenheit und Verborgenheit Gottes geht?

Schon von seiner bulgarischen Herkunft her war Christo bestens vertraut mit dem orthodoxen Gottesdienst, der hinter der Ikonostase gefeiert wird, einer Trennwand aus Heiligenbildern, die das „Allerheiligste“ vor den Augen der Gläubigen verbirgt. Ständig werden in der Orthodoxie kultische Gegenstände verhüllt, enthüllt und wieder verhüllt. Der lateinische Begriff für die „Offenbarung“ Gottes lautet „revelatio“, was wörtlich so viel bedeutet wie „den Vorhang wegziehen“. Diese Metapher zieht sich durch die christliche Kunst. Die mittelalterliche Buchmalerei kennt viele Bilder mit Vorhängen, und keine Barock-Kirche kommt ohne Vorhänge aus Stuck aus. Das soll bedeuten: Der Glaube zieht für den Betrachter den Vorhang zur Seite, der sich sonst zwischen unserer Welt und der transzendenten göttlichen Welt befindet.

Wenn Christos Hüllen fallen, wird dahinter aber nichts Göttliches ansichtig.

Vielleicht doch. Zumindest sieht der Betrachter die verhüllten Objekte noch einmal neu. Beim Reichstag hat das doch exemplarisch funktioniert. Die Verhüllung, die nur ganze zwei Wochen dauerte, hat dem Bau mit seiner wechselvollen Geschichte ein Ewigkeitsmoment gegeben: von Kaisers „Schwatzbude“ über die Brandstiftung der Nazis 1933 und die Eroberung durch die Rote Armee 1945, später dann die Leiche im Schatten der Berliner Mauer und schließlich die Auferstehung als Zentrum unserer parlamentarischen Demokratie. Und just in diesem Moment ließ die Verhüllung Deutschland in der Welt anders dastehen, als freie Nation, die sich der Welt öffnet.

Aber noch einmal: Das sind allesamt Deutungen, für die es Gott nicht braucht.

Nein. Aber als gläubiger Christ bin ich davon überzeugt, dass sich die Wirklichkeit des Menschen zur Gänze nicht ohne die Wirklichkeit Gottes erschließen und verstehen lässt. Diese Wirklichkeit ist aber eine verborgene. Und da finde ich es dann doch legitim, Parallelitäten wahrzunehmen zwischen Kunst und Kirche – im Sichtbarmachen von etwas Unsichtbarem, das sich nicht in Worten fassen lässt. Mit dieser Perspektive war Christo übrigens sehr einverstanden, ohne eine christliche Vereinnahmung, gegen die er sich gewehrt hätte. Ich glaube, umgekehrt, wir bräuchten in der Kirche mehr von dieser Art Kunst, wie Christo sie gemacht hat.

Nämlich?

Eine Kunst, die nicht „den Glauben illustrieren“, sondern uns irritieren, neugierig machen und herausfordern will. Eine Kunst also, die nicht eindimensional als eine andere Art der Verkündigung gemeint ist. Solche Kunst brauchen wir natürlich auch, und sie hat auch ihren Platz. Aber Christos Kunst ist anders. Sie ist eine Einladung zum Dahinterschauen. Das ist ihre große Stärke, und deshalb setze ich mich auch im kirchlichen Kontext dafür ein.

Zur Person

Dominik Meiering, geboren 1970, ist leitender Pfarrer der katholischen Pfarreien in der Kölner Innenstadt und Domkapitular am Kölner Dom. 2006 promovierte er an der Universität Bonn im Fach Kunstgeschichte. Danach war er fast zehn Jahre in der Jugendseelsorge tätig. Von 2015 bis 2018 war er Generalvikar (Verwaltungschef) des Erzbistums Köln. (jf)

Wie haben Sie ihn getroffen?

Als ich 2008 in New York war, bin ich an seiner Wohnung vorbeigegangen und habe einfach bei ihm geklingelt. Er hatte dann gerade keine Zeit. Aber tags darauf haben Jeanne-Claude und er sich zwei Stunden Zeit genommen. Ich habe ihm ein Exemplar meiner Doktorarbeit mitgebracht, und wir haben über meine Thesen zu seiner Kunst diskutiert. Auch danach haben wir Kontakt gehalten, so dass ich einige Jahre später an der Trauerfeier für Jeanne-Claude im Metropolitan Museum teilgenommen habe. Und nun heißt es wieder Abschied nehmen, das geht mir schon zu Herzen.

Das Gespräch führte Joachim Frank