Auf die Frage, wie es ihrer Branche geht, hat die Kölner Schauspielerin Annette Frier eine klare Antwort.
„Es gibt in Deutschland 850.000 Beschäftigte in der Automobilindustrie, aber 1,2 Millionen in der Kultur- und Kreativwirtschaft. Die einen haben eine Lobby, die anderen nicht.”
Ein Interview über seltsame Situationen bei Dreharbeiten unter strengen Vorkehrungen, Markus Söder in Sachen Krisen-Management und ihre Forderung an die Öffentlich-Rechtlichen.
Köln – Frau Frier, wir erreichen Sie am Ende Ihres ersten Drehtags „nach Corona“. Wie war’s?
Nicht so schlimm, wie ich dachte, aber doch seltsam. Wir arbeiten mit der Kölner Produktion „Zeitsprung“, die zuletzt für den WDR-Film „Der König von Köln“ einen Grimme-Preis bekommen hat, an einem intimen Familiendrama über Organspende. Das heißt: ständige Berührungen und Nähe, nicht nur in Liebesszenen. Wie sollte ein Familiendrama auch sonst funktionieren? Alle Protagonisten auf 1,50 Meter Abstand? Absurd! Also werden meine Kollegen und ich im Drei-Tages-Rhythmus getestet, fast wie die Fußballer. Meine Familie als persönliche Quarantäne-Gruppe ist auch gleich mit dabei. Die Verantwortung ist doch recht groß. Es ist ein komisches Gefühl, wie ich es so auch noch nie hatte. Da fragst du dich abends schon: Hab’ ich alles richtig gemacht? Mit wem habe ich noch gesprochen? Wo hast du dich aufgehalten?
Richtig! Trotzdem ist da ganz viel Widersprüchliches. Und wir fangen ja gerade erst wieder an.
Erklären Sie das mal!
Ich gebe Ihnen mal ein paar erste Eindrücke aus der Praxis. Am Dienstag hatte ich eine Leseprobe. Ein französischer Kollege kam direkt aus dem Shutdown und war völlig schockiert, wie das hier in Deutschland läuft. Auf dem Flug von Paris nach Frankfurt hatte er noch in einem halbleeren Flieger gesessen, in dem nur jeder dritte Platz besetzt sein durfte. Auf dem Anschlussflug der Lufthansa nach Berlin war dann jeder Platz besetzt, jeder! Der Kollege hat die Welt nicht mehr verstanden. Oder: Neben mir in der Probe sitzt die Kollegin, die meine Mutter spielen wird. Risikogruppe. Gegenüber ein Kollege. Auch Risikogruppe, aber ganz anders, weil Hypochonder... (lacht) Jetzt soll man also ausführlichst darlegen, dass man alle Anti-Corona-Regeln beachtet. Das wird ganz schnell sehr, sehr intim, zumal ich als Mutter im Kontakt mit meinen Kindern natürlich da und dort Kompromisse machen muss. Da kommst du dir fast so vor wie früher: „Sag’ ich jetzt, dass ich schwanger bin, oder sag’ ich’s nicht?“ Man rückt sich total auf die Pelle und weiß, das muss jetzt fünf Wochen gehen. Es ist schon schwer genug, sich in seinem privaten Mikrokosmos gut einzurichten. Und plötzlich ist man mit lauter Leuten zusammen, auf die man sich genauso verlassen muss wie auf die engsten Angehörigen.
Atmen hilft! Das eigentlich Bizarre ist ja: Wir machen lauter Pläne, die aber alle darauf ausgelegt sind, dass nichts schiefgeht. Ein kleiner Zwischenfall, und das ganze schöne Gebäude fällt wie ein Kartenhaus in sich zusammen.
Das gilt wahrscheinlich auch für Ihre Branche insgesamt. Wie sind Sie durch die Krise gekommen?
Ich persönlich hatte dank vieler Dreharbeiten und noch laufender Verpflichtungen ein finanzielles Polster und muss mir auch momentan keine Sorgen machen. Das ist aber bei vielen Kolleginnen und Kollegen anders. Für die Filmschaffenden ist das Halbjahr von März bis September die Hauptdrehzeit, in der sie sich normalerweise besagtes Polster zulegen. Jetzt sind die Arbeiten durch Corona im Verzug, alles dauert länger, alles wird teurer. Aber die Fernsehsender zahlen erst bei Abgabe. Und selbst wenn sie anbieten, dann die Hälfte der Corona-Mehrkosten zu übernehmen, hilft das vielen Produktionen nicht. Bis dahin sind sie, im Klartext, platt.
Das klingt dramatisch.
Ist es auch. Es geht für viele ums Überleben. Was ich für die Filmschaffenden beschrieben habe, ist für Theatermacher ja nicht anders. Für sie bleibt die Lage auf unabsehbare Zeit schwierig, wenn jetzt klar ist, dass geschlossene Räume mit vielen Menschen ohne Luftzirkulation gefährlich sind. Das finanzielle Risiko fortdauernder Schließungen haben sie zu tragen, zusammen mit allen betroffenen Gewerken, darunter auch wir Schauspieler. Wenn man das jetzt verdrängt und auf die lange Bank schiebt, dann sind viele Leute weg, einfach weg. In der Breite der Bevölkerung ist das aber noch gar nicht angekommen. Alle lesen jeden Tag von Abwrackprämien und Hilfen für die Autokonzerne. Ein wichtiger Sektor, keine Frage. Aber es gibt in Deutschland 850 000 Beschäftigte in der Automobilindustrie, aber 1,2 Millionen in der Kultur- und Kreativwirtschaft. Die einen haben eine Lobby, die anderen nicht. So einfach ist das.
Welche Hilfsmöglichkeiten sehen Sie?
Bei uns Schauspielern sind die meisten Engagements befristet. Dadurch schrumpft der Anspruch auf Arbeitslosengeld ins Lächerliche. Bayern hat jetzt ein wegweisendes Hilfsprogramm mit 140 Millionen Euro für freischaffende Künstler mit Hauptwohnsitz im Freistaat aufgelegt, das deren Lebensunterhalt sichern und Honorarausfälle nach der coronabedingten Schließung von Spielstätten und Kultureinrichtungen ausgleichen soll. Toll! Das hätte man mir an Weihnachten mal erzählen sollen, dass ich im Juni Markus Söder Komplimente machen würde. Die anderen Länder sollten sein Modell schleunigst übernehmen. Bei den Produzenten sehe ich die Fernsehsender in der Verantwortung, besonders die öffentlich-rechtlichen.
Schauspieler Joachim Król liest für Kollegen
Als Solidaritätsaktion zugunsten der Kölner Theaterkonferenz hat der Schauspieler Joachim Król eine Kurzfilm-Reihe gestartet. Im derzeit geschlossenen Zwei-Sterne-Lokal „Le Moissonnier“ liest Król, Stammgast des Hauses und Freund von Restaurant-Chef Vincent Moissonnier, aus den legendären „Zeit“-Kolumnen des Gastrokritikers Wolfram Siebeck (1928 bis 2016). Zur Premiere bietet Król Siebecks erste Kolumne aus dem Jahr 1970 über einen Besuch im Pariser Nobelrestaurant „Maxim“.
Die Filme, verbunden mit einem Spendenaufruf, sind im Internet abrufbar. (jf)
Die Zuständigen müssen raus aus ihren Kommandozentralen und schauen, was an der Basis los ist. Es hilft in der jetzigen Situation überhaupt nichts, sich auf bestehende Verträge zurückzuziehen. In denen ist die Verantwortung nämlich sehr einseitig verteilt. Das war immer schon schwierig. Aber wie so oft werden Schieflagen im System in Krisen besonders grell sichtbar. Gerade die öffentlich-rechtlichen Sender haben durch die Rundfunkgebühren eine sichere Finanzierung. Sie bieten durch ihre Aufträge auch ein gutes Auskommen. Ich habe deshalb überhaupt keine Lust auf ein Blame Game: hier die Bösen, da die Guten … Ich habe aber total viel Lust, gemeinsam zu überlegen, wie man sinnvoll durch diese Zeiten kommt. Die Chance liegt in einer produktiven Verunsicherung: Wenn alle merken, im Miteinander stimmt was nicht, dann kann daraus etwas werden.