AboAbonnieren

Streaming-TippDie Netflix-Serie „Transatlantic“ ist ein leuchtendes Helden-Epos in einer dunklen Zeit

Lesezeit 4 Minuten
Sechs Menschen stehen vor einer Villa

Deleila Piasko als Lisa Fittko, Ralph Amoussou als Paul Kandjo, Lucas Englander als Albert Hirschmann, Gillian Jacobs als Mary-Jayne Gold, Cory Michael Smith als Varian Fry and Amit Rahav als Thomas Lovegrove (von links) sind Mitglieder des Emergency Rescue Committee.

Mit ihrer dritten Produktion beweist die amerikanische Schriftstellerin Anna Winger erneut, dass sie es perfekt beherrscht, Unterhaltung und Anspruch zu verbinden.

Wer in seiner Serien-Welt gerne gut unterhalten werden möchte und auch mehr mag als reine Action, der sollte sich in die auffangbereiten Arme von Anna Winger fallen lassen. Nach „Deutschland 83/86/89" und „Unorthodox“ beweist die US-amerikanische Schriftstellerin mit der Netflix-Serie „Transatlantic“, dass sie spannende Geschichten rund um ihre Wahlheimat Deutschland beherrscht. Zudem verzichtet sie in ihren Erzählungen auf den erhobenen Zeigefinger. Das macht die Deutschland-Trilogie zu einer der besten deutschsprachigen Serien und zeichnet auch das hervorragende „Unorthodox“ aus. In „Transatlantic“ reist die Autorin jetzt als Hauptverantwortliche zum ersten Mal in den Zweiten Weltkrieg.

Basierend auf dem Roman von Julie Orringer „The Flight Portfolio“ dreht sich alles um das Emergency Rescue Committee, welches ab 1940 von Marseille aus operierte und rund 2000 gefährdete Personen aus dem nur zum Teil besetzen Frankreich vor den Nazis rettete. Böse Zungen könnten behaupten, dass sich die Serie etwas zu viel vornimmt und der Zuschauer durch die Vielzahl von handelnden Personen den Überblick verliert.

Drei zentrale Figuren stehen im Fokus

Im Fokus stehen drei zentrale Figuren. Journalist Varian Fry (Cory Michael Smith) leitet das Emergency Rescue Committee und bringt regelmäßig Juden, Künstler oder Intellektuelle außer Landes. Er arbeitet mit Mary Jayne Gold (Gillian Jacobs) zusammen, die mit dem Geld, das ihre reiche Familie schickt, die Flucht finanziert und dabei zunächst offenbar auf unbegrenzte Mittel zurückgreifen kann. Eines Tages lernt sie den jüdischen, deutschsprachigen Flüchtling Albert Hirschman (Lucas Englander) kennen, der mit seiner Schwester das Land verlassen will. Ihr gelingt es, die beiden über die Pyrenäen zu schmuggeln, doch Albert kehrt zurück, um dem Komitee zu helfen. Auf das nächste Level werden die Operationen der Gruppe gehoben, als der Freund und Liebhaber von Varian Fry, Thomas Lovegrove, seine große Villa dem Emergency Rescue Committee zur Verfügung stellt.

Drei Menschen stehen im Sonnenlicht vor einer Villa.

Thomas Lovegrove (rechts) stellt seine große Villa dem Emergency Rescue Committee zur Verfügung.

In einer der besten Folgen will die Gruppe Schriftsteller Walter Mehring aus dem Land schmuggeln, der übrigens von Jonas Nay hervorragend verkörpert wird. Das gelingt allerdings zunächst nicht, Mehring verschwindet plötzlich aus der Erzählung und taucht erst später wieder auf, als alle Villa-Bewohner das Land in einer Notsituation verlassen müssen. Während in Europa der Zweite Weltkrieg tobt, wird dieses Haus zu einer Art Wohlfühloase. Es wird getanzt, gesungen oder zwischendurch mal eben ein riskanter Plan geschmiedet, Gefangene aus einem nahegelegenen Gefängnis zu befreien. Erst als die Gruppe ausspioniert wird, droht die fröhliche Stimmung zu kippen.

Furchtloser Helden, die tatsächlich einen Unterschied gemacht haben

Es geht „Transatlantic“ offensichtlich nicht darum, die Schrecken des Krieges zu dokumentieren, das haben so viele Produktionen bereits in allen Facetten geschildert. Die deutsche Serie erzählt eher die Geschichte furchtloser Helden, die im Zweiten Weltkrieg tatsächlich einen Unterschied gemacht haben und zahlreiche Menschen vor den Nationalsozialisten retteten. Dabei überwiegt der fiktionale Teil und das unterhaltende Element steht im Vordergrund.

Die Protagonisten in „Transatlantic“ genießen das Leben in vollen Zügen, in einer Zeit, in der das bestimmt auch an manchem Ort möglich war, aber in der Rückschau nur wenig Beachtung findet. Von daher sind die sieben rund 45-minütigen Folgen eine willkommene Abwechslung.

Die Regisseure haben durchweg eine fröhliche Stimmung gewählt. In fast allen Szenen scheint die Sonne, Dunkelheit und nächtliche Ausflüge sind nur Randerscheinungen. Erst in der abschließenden Episode schlägt das Drama dann doch noch zu. Und weil es so lange abwesend war, trifft es einen besonders hart.

Zuschauerinnen und Zuschauer sollten zudem die Netflix-Funktion ausschalten, dass die nächste Folge automatisch abgespielt wird. In jedem Abspann gibt es kunstvolle Extra-Szenen der Schauspieler, die allerdings nicht zwingend etwas mit der Geschichte zu tun haben. Und ganz am Ende werden noch die obligatorischen Tafeln gezeigt, die dem tatsächlichen Emergency Rescue Committee ein Denkmal setzen.

„Transatlantic“ ist trotz der düsteren Zeit, in der es spielt, eine Serie zum Wohlfühlen, mit liebenswerten Helden, ein bisschen Drama, ganz viel Romantik und hier und da sogar ein wenig Klamauk. Zudem ist die Serie bis in die kleinste Nebenrolle gut besetzt. Sie kann sich sogar erlauben, Moritz Bleibtreu in einer Mini-Rolle zu präsentieren, die mit dem Fortgang der Geschichte so gut wie gar nichts zu tun hat.

Showrunner Anna Winger und Cory Michael Smith am Set.

Anna Winger erklärt den Schauspieler am Set ihre Vorstellungen.

Mit Produktionen von Anna Winger können Zuschauerinnen und Zuschauer offensichtlich nicht viel falsch machen.