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Videos von Auftritt gehen viralDie Ärzte wegen Witzen über K.-o.-Tropfen und Pride Month in der Kritik

Lesezeit 4 Minuten
Farin Urlaub, Bela B und Rodrigo Gonzalez (v. l.) von der Band „Die Ärzte“ (undatierte Aufnahme).

Die deutsche Punkband Die Ärzte ist für ihren Humor bekannt. Bei einem Konzert in Luxemburg ging das aber auf Kosten von Opfern von sexueller Gewalt. (Archivbild)

Weil sie bei einem Konzert über K.-o.-Tropfen Witze gemacht haben, stehen die Berliner Punkrockveteranen Die Ärzte in der Kritik. Auf Twitter machen zahlreiche Fans ihrem Ärger über die ihrer Meinung nach geschmacklosen Anspielungen auf die Causa Rammstein Luft. Und auch ein paar flapsige Sprüche zum Pride Month haben Irritationen ausgelöst.

Die Berliner Rockband Die Ärzte hat sich den Zorn ihrer Fans mit zotigen Sprüchen über K.-o.-Tropfen und einvernehmlichen Sex zugezogen. Auf Twitter kursierte am Donnerstag ein Youtube-Video, in dem zu sehen sein soll, wie das Trio bei einem Auftritt in Luxemburg Anspielungen auf die jüngst von Anwälten zurückgewiesenen Vorwürfe gegen Rammstein in seine Ansagen eingebaut hat. Darüber berichten unter anderem die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und der „Rolling Stone“. Ein auf Twitter gepostetes Youtube-Video war allerdings nur eine Zeit lang öffentlich abrufbar.

Flapsige Sprüche über LGBTQIA+ und Cisgender

Es gab aber noch einen weiteren Twitter-Post, in dem ein anderes Youtube-Video verlinkt war. Und darin geht es nicht nur um die Vorwürfe gegen Rammstein, sondern auch um den „Pride Month“. Sänger und Gitarrist Farin Urlaub erzählt, er bekomme jeden Tag „so ’ne Erklärbär-Mail“. Dann machen sich Urlaub sowie Schlagzeuger und Sänger Bela B. offenbar über das vermeintliche Buchstaben­gewirr der LGBTQIA+-Gemeinde lustig.

Auch der Begriff „Cisgender“ wird zur Gagzielscheibe, Farin Urlaub stellt sich dumm und blödelt in Anspielung auf das durch ein Kreuz erhöhte C in der Tonleiter: „Von Cis keine Ahnung.“ Die Begeisterung im Publikum hält sich in Grenzen, einzelne Lacher sind zu hören, aber insgesamt scheinen die Witze nicht besonders gut anzukommen. Bassist Rodrigo Gonzales ist auch mit von der Partie, trägt aber in diesem Video nicht wirklich zu den flapsigen Sprüchen bei.

Abgewandelte Textstellen spielen auf Rammstein-Vorwürfe an

Mit der Ansage wird der Song „Rock Rendezvous“ eingeleitet, der inzwischen beinahe ein Viertel­jahrhundert alt ist. Das Stück erschien im Jahr 2000 auf der Platte „Runter mit den Spendierhosen, Unsichtbarer!“. In dem Song gestehen sich Farin Urlaub und Bela B. in typischer Ärzte-Blödelhumor-Manier ihre gegenseitige Liebe und fordern sich gegenseitig zum Geschlechts­verkehr auf. Band-Bassist Rod spielt in den Lyrics den heterosexuellen Gegenpart, der Stammtisch­klischees strapazieren darf („Liebe unter Männern ist doch Teufelszeugs!/Hört sofort auf damit/Sonst kommt ihr nicht in den Himmel und kriegt einen Tritt/Vom lieben Herr Gott, der so was nicht sehen kann!“).

In Luxemburg wurde der Text an mehreren Stellen abgewandelt, wie bei Ärzte-Konzerten allgemein üblich. So ist vom „Backstage-Raum“ die Rede, in dem der Sex vonstattengehen soll, es heißt „Wenn du Nein sagst, das ist keine Option, trink von diesem Glas“ – offensichtliche Anspielungen auf die aktuelle Kontroverse um Rammstein-Sänger Till Lindemann. Es folgen ein paar Witze über K.-o.-Tropfen („Meine K.-o.-Tropfen sind homöopathisch“) und den Morgen danach („Ich hab Schlimmeres als blaue Flecken“; Farin Urlaub: „Und mein Bett war total verklebt“). Angesichts der Schwere der von mehreren Frauen geäußerten Vorwürfe gegen Lindemann eine fragwürdige Entscheidung.

Fans zeigen sich irritiert

Fans zeigen sich auf Twitter entsetzt über die Witze. Eine Nutzerin merkt an: „Ich hab mich jetzt ein bisschen durch die aufgenommenen Videos geschaut und muss echt sagen, dass ich als Fan seit Teenagerzeit fassungslos bin, wie die Band sich da verhalten hat und welche ‚Witze‘ und Texte kamen. Ekelhaft.“ Ein anderer Nutzer schreibt: „Hab denen ja noch gewisse Kredibilität zugeschrieben. Am Ende doch nur alte weiße Männer.“ Es gibt zwar auch Wortmeldungen, die die Band verteidigen, aber in der Überzahl scheinen die kritischen Tweets zu sein, so etwa auch dieser: „Ich schäme mich. Was für Flachpfeifen. Schade, war mal meine Lieblingsband.“

Provokation, aber auch klare politische Positionierung

In einigen Tweets wird darauf hingewiesen, dass Die Ärzte schon immer provoziert haben, mit Songs wie „Geschwisterliebe“ etwa, der seit 1987 auf dem Index steht. Allerdings zeigten sich Die Ärzte in der Vergangenheit durchaus bereit, schlecht gealterte Lieder zu überdenken: Den Song „Elke“ spielt das Trio nicht mehr auf Konzerten. In dem Text machten sich Die Ärzte über eine übergewichtigen Fan lustig. Als ein Fan den Song bei einem Konzert in Berlin im Sommer vergangenen Jahres als Zugabe forderte, gab Farin Urlaub zurück, der Song seit nicht mehr auf der Setliste, weil er Fatshaming enthalte und frauenfeindlich sei.

Zudem gilt die Band als erwachsen geworden und positionierte sich in der Vergangenheit immer wieder klar politisch – nicht nur wegen musikalischer Anti-Nazi-Songs wie „Schrei nach Liebe“ (1993) oder „Ein Sommer nur für mich“ (2000) oder der Demokratieode „Our Bass Player Hates this Song“ (2021). Vor diesem Hintergrund scheinen die aktuellen Blödeleien für viele Fans umso enttäuschender zu sein. (RND)