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Die Nahbarkeit des Bösen„Bruder Eichmann“ am Schauspiel Köln

Lesezeit 3 Minuten

Jörg Ratjen in „Bruder Eichmann“

Köln – Zuerst bestaunen wir den Nazi im Glaskasten. Jörg Ratjen steht dort in einem nüchtern weißen Raum, ein Stockwerk über den Boden des Depot 2 erhoben, in braunem Hemd, grauem Pullunder und karierten Hausschuhen, der Spießbürgerverkleidung des Massenmörders und Befehlsempfängers Adolf Eichmann (Bühne und Kostüme stammen von Lisa Däßler).

Seine Stimme wird über Mikroport und Lautsprecher übertragen. Schwarzblenden unterteilen die kurzen Szenen, mit unangenehmen Sinustönen unterlegt. Aber eigentlich ist das ja ganz beruhigend. Dort ist der Nazi, eingehegt wie Hannibal Lector, hier sind wir, die Guten.

Spießerverkleidung

Doch dann, während seine Stimme noch über die Lautsprecher ertönt und man noch nicht ganz begriffen hat, dass es sich um eine Aufzeichnung handelt, steht er vor uns, legt die Spießerverkleidung ab, reißt die schweren Vorhänge, die den Glaskasten einrahmten, herunter, und redet einfach weiter. Wie irgendeine Kneipenbekanntschaft.

Heinar Kipphardt, bekannt geworden mit dem Dokudrama „In der Sache J. Robert Oppenheimer“, hat sein letztes Stück nicht ohne Grund „Bruder Eichmann“ genannt. Es ging ihm wohl weniger um die Banalität – die Hannah Arendt Eichmann berühmterweise attestiert hat – als um die Nahbarkeit des Bösen: Einer wie Eichmann, pflichteifrig, korrekt, um seine Familie besorgter als um den Lauf der Welt, könnte gleich nebenan wohnen. Und womöglich denkt das der Nachbar auch von uns.

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„Bruder Eichmann“ hätte, so informiert das Programmheft, eigentlich 1982 in Köln uraufgeführt werden sollen, also unter Jürgen Flimm. Die Aufführung scheiterte am Kölner Wunsch, nur die Verhörszenen auf die Bühne zu bringen, nicht aber die „Analogie-Szenen“ – Atombombenabwurf, Vietnamkrieg, Rasterfahndung – mit denen Kipphardt etwas ungelenk die fortgesetzte Bürokratisierung des Bösen zeigen wollte. Nun inszeniert Thomas Jonigk, seit dieser Spielzeit Chefdramaturg am Haus, die sehr verspätete Kölner Erstaufführung des Stücks und hat nicht nur die „Analogie-Szenen“, sondern auch noch sämtliche Nebenrollen gestrichen. Was schlicht und einfach und äußerst effektiv darauf hinausläuft, dass sich Jörg Ratjen als Eichmann selbst verhört. Das wirkt in etwa so wie bei Politikern, die sich in Pressekonferenzen zur Vermeidung einer direkten Antwort selbst die Fragen stellen, die sie beantworten wollen: Wahrheitsfindung als Gelegenheit zur Selbstdarstellung.

Spätestens seit Bettina Stagneths Buch „Eichmann vor Jerusalem“, weiß man, dass Eichmann nicht der „Hanswurst“ ohne „teuflisch-dämonische Tiefe“ gewesen ist, als den Arendt ihn als Prozessbeobachterin in Jerusalem beschrieben hat, sondern ein fanatischer Judenhasser, der den Holocaust mit bürokratischer Akribie, aber auch Begeisterung betrieben hatte, die er erst während der Verhöre in Jerusalem von sich wies.

Jonigks Inszenierung denkt diesen Erkenntnisstand unbedingt mit, setzt ihn beim Publikum aber stillschweigend voraus. Andererseits begreift man rein instinktiv, dass diesem Erzähler nicht zu trauen ist: Jörg Ratjen ist ein Meister darin, den Zuschauern mit seinen Charakteren möglichst unangenehm nahe zu kommen. Eine schlaffe Geste, ein aufgesetztes Lächeln, ein mitleidheischendes Leiern im Ton: Ein bürokratischer Hanswurst ist dieser Adolf Eichmann schon, aber einer der seine Hanswurstigkeit als Fassade benutzt, hinter der er die Industrialisierung der Menschenvernichtung betrieben hat.

Nächste Termine: 1., 12., 21. November, 16. Dezember, 90 Minuten, keine Pause, Depot 2