Der Kölner Sender RTL zeigt die Passion Christi zum zweiten Mal als Live-Spektakel. Kann das wirklich alles ernst gemeint sein?
„Die Passion“ auf RTLDie unbefleckte Empfängnis ist ein Witz dagegen
Der Himmel weint in Kassel, aber er weiß vielleicht gar nicht, warum. Der Kölner Sender RTL führt zum zweiten Mal die Leidensgeschichte Christi auf, als Live-Event mit Stars und Sternchen aus der zweiten Reihe und im zeitgenössischen TV-Gewand. Ob Petrus dafür die Schleusen öffnet? Sein Stellvertreter auf Erden, der „GZSZ“-Darsteller Timur Ülker, macht seine Sache noch vergleichbar gut. Er ist der Felsen, auf den Jesus seine Kirche bauen will, und deswegen macht es nichts, dass er schwach bei Stimme ist. Dann singt Ben Blümel als Heiland halt für zwei.
RTL hat seine österliche Musicalbühne vor dem Fridericianum, der Heimat der Documenta, aufgebaut. Chor und Orchester tragen Weiß, der Erzähler Hannes Jaenicke eine graue Jacke über schwarzem Rollkragenpullover. Als Buchautor und Talkshowgast hat sich Jaenicke einen Ruf als Prophet des Untergangs erarbeitet, entsprechend getragen und dramatisch beginnt er seine Einführung in das Markusevangelium.
„Die Gesellschaft driftet auseinander. Früher gab es noch den Ofen, um den sich alle versammelten. Heute wollen viele nur noch meinungsstark senden, nicht mehr empfangen.“ Gut, dass es RTL gibt, um uns vor dem Fernseher zu vereinen.
Ben Blümel kann singen, jedenfalls besser als seine Jünger
„Warum ist diese Geschichte die größte aller Zeiten?“, fragt Jaenicke. „Vielleicht, weil sie das Fundament des Christentums ist.“ Aber das wäre zu wenig. Sie handele vor allem von alltäglichen Gefühlen, die wir alle kennen, von Liebe, Hoffnung und Verrat. Es ist, anders gesagt, ein Stoff wie für die Reality-Formate von RTL gemacht. „Emotionen sind nicht alt oder jung“, raunt Jaenicke. „Sie sind ewig.“
Kaum hat er es gesagt, rollen die Jünger zum Pessachfest heran. Es ist die Party des Jahres, das Orchester spielt „An Tagen wie diesen“, und am Bahnhof wird Jesus, der Medienstar, von RTL-Reportern umlagert. Alle sind happy. Außer Jimi Blue Ochsenknecht. Der spielt Judas, den Verräter, schurkenrollentypisch ganz in Schwarz gekleidet. Es fehlt nur der passende Cowboyhut.
Die Passion: Dieser Jesus ist einer, „der aus der Reihe tanzt“
Der Kika-Moderator Ben Blümel kann singen, jedenfalls besser als seine Jünger. Und er gibt der blinden Jenny Elvers das Augenlicht zurück. Als sie gemeinsam auf den Bahnhofsvorplatz treten, schwenkt die Kamera über den „Himmelsstürmer“ von Jonathan Borofsky, eine Documenta-Skulptur.
Ein Himmelsstürmer ist auch dieser Jesus, oder, für seine Mutter Maria, wenigstens einer, „der aus der Reihe tanzt“, ein „Zauberer, der die Sonne fängt“. Nadja Benaissa von den No Angels besingt ihren göttlichen Sohn wie das Wunder von nebenan. Benaissa ist Jahrgang 1982 und damit ein Jahr jünger als ihr Sprössling. Die unbefleckte Empfängnis ist ein Witz dagegen.
Aktuelle Schlager in gefühlsduseligen Arrangements
Wie schon in der ersten, aus Essen gesendeten „Passion“ meint RTL das alles anscheinend vollkommen ernst. In Kassel will der Sender die „größte Geschichte aller Zeiten“ tatsächlich so erzählen, dass sie den Menschen von heute nahegeht. Also singen die Darsteller aktuelle Schlager, die zur Geschichte passen, in ihren gefühlsduseligen Arrangements aber alle gleich klingen, und sie laufen durch reale Schauplätze in der Kasseler Innenstadt. Die Handlung schreitet derweil so unerbittlich voran, wie man es aus unzähligen Bibelfilmen kennt.
Wirklich echt sind nur die Live-Schalten zu Angela Finger-Erben, die zuschaut, wie Kasseler Bürger stellvertretend ein riesiges leuchtendes Kreuz durch die Straßen tragen. Auf dem Leidensweg pickt sie sich Menschen heraus, die „ihr Kreuz zu tragen haben“: eine an Krebs erkrankte Frau, der während ihrer Operation Gott in Schattenform begegnet ist; ein Mann, der seine Ehefrau betrogen hat und diesen Treuebruch mit tränenerstickter Stimme vor dem Fernsehpublikum bereut; eine ehemalige Kiezgröße, die auf den rechten Weg zurückgefunden hat.
Man kann nicht einmal sagen, dass diese Bekehrten von RTL vorgeführt werden. Schließlich wollen sie ihre Geschichte selbst erzählen, wollen freiwillig ein Beispiel für uns andere arme Sünder sein. Aber vielleicht hätte sich Finger-Erben nicht ganz so scheinheilig ergriffen auf „Gänsehautmomente“ freuen sollen.
Hin und wieder gleitet ein unterbeschäftigter Promi durchs Fernsehbild
Hin und wieder gleitet ein unterbeschäftigter Promi durchs Fernsehbild. Reiner Calmund sitzt in der Markthalle, in der Jesus das Brot für das letzte Abendmahl abholt, andere, wie Stefanie Hertel und Mola Adebisi, haben sich unbemerkt unter die Jünger gemischt. Francis Fulton-Smith versucht es als Pilatus mit Schauspielkunst, was alles nur noch schlimmer macht. Andererseits ist diese „Passion“ nicht mal richtig „campy“, nichts und niemand so schlecht, dass es schon wieder gut ist. Selbst Ralf Richter als Barabbas bringt das müde Spektakel nicht auf selbstparodistisches Niveau.
Am Ende redet uns Pilatus ins Gewissen: Gewalt und Folter sind real, keine Spezialeffekte in Film und Fernsehen. Dann singt Benaissa „Wunder gescheh'n“ von Nena und das Leiden ist vorbei. Der Gekreuzigte überwindet den Tod. Jesus war ein Mann krasser Entscheidungen, hatte Jaenicke gesagt. RTL folgt ihm auf diesem Weg.