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Kommentar„Die Posse um Dieter Nuhr und die DFG ist ein elendes Twitter-Problem“

Lesezeit 4 Minuten
Dieter Nuhr

Kabarettist Dieter Nuhr

  1. Zum Jubiläum der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) hat Kabarettist Dieter Nuhr einen Audiobeitrag eingesprochen.
  2. Kurz nach Veröffentlichung des Beitrags gibt es in den Sozialen Netzwerken einen Shitstorm, auf den ein Streit zwischen Nuhr und der DFG folgt.
  3. Nachdem das Video zunächst gelöscht wird, wird es jetzt doch wieder veröffentlicht.
  4. Unsere Autorin hat wenig Verständnis für die Posse. Sie sagt: „Das Schlingern der Deutschen Forschungsgemeinschaft zeigt mangelnde Souveränität und Kompetenz.“

Am Ende haben der Kabarettist Dieter Nuhr und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) dann doch noch die Kurve bekommen. Voraus ging aber ein groteskes Geschlinger. Was war passiert?

Hier ein Telegramm der Ereignisse:

  1. DFG veröffentlicht 30-Sekunden-Video für Image-Kampagne zugunsten von Wissenschaft mit Nuhr
  2. Shitstorm in sozialen Medien, weil viele Linke Nuhr nicht mögen und ihm Wissenschaftsfeindlichkeit vorhalten
  3. DFG löscht Video von Internetseite und YouTube, ohne Nuhr zu informieren
  4. Nuhr und andere empören sich
  5. Sie wittern Zensur
  6. DFG bietet Wieder-Online-Stellung von Video mit ergänzender Kommentierung an
  7. Nuhr untersagt dies
  8. Nuhr verlangt freie Meinungsäußerung ohne Warnhinweis
  9. DFG und Nuhr führen Gespräch
  10. DFG stellt Video wieder online

Letztlich ist die Posse um Dieter Nuhr und die DFG vor allem eines: ein elendes Twitter-Problem. Kaum bekommen Organisationen oder Institutionen über soziale Medien Gegenwind, geraten die Verantwortlichen in Panik. Inzwischen gibt es Twitter und Facebook seit mehr als zehn Jahren. Langsam müsste es doch bei allen angekommen sein, dass Kritik auf diesen Plattformen nicht repräsentativ für die Bevölkerung ist.

Im Gegenteil. Gerade Twitter ist in Deutschland eine besonders auf Politiker und Journalisten fokussierte Plattform. Viele nutzen die sozialen Medien nicht zuletzt, um sich wichtig zu fühlen. Das erreichen sie am besten, indem sie – ganz im Sinne von Populismus – Meinungen verbreiten, die ihnen eine große Zahl von „Likes“ bescheren, also Unterstützung vornehmlich aus der eigenen Gruppe. Widerspruch von der Gegenseite ist dabei sogar hilfreich.

Politische Aktivisten, die eine Agenda verfolgen

Hinzu kommen – meist anonym – politische Aktivisten mit Haltungen, die von einer breiten Mehrheit kritisiert werden. Das können rechtslastige, aber auch linkslastige Positionen sein. Diese Aktivisten sind mitunter Tag und Nacht in den sozialen Medien unterwegs. Um ihre Agenda zu verfolgen, haben manche gleiche mehrere Konten, über die sie ihre Meinungen pushen und publikumswirksamer erscheinen lassen, als sie es sind. Früher hätten sie vielleicht gleich mehrere Leserbriefe unter verschiedenen Namen geschrieben, um einen breiten Rückhalt vorzutäuschen.

Nun frage ich Sie, liebe Leser und Leserinnen: Haben Sie so etwas je getan? Würden Sie es tun? Oder wie viele von diesen Leuten kennen Sie, die sich so verhalten? Es werden nicht viele sein.

Bekannte Institutionen, Vereine und sonstige Zusammenschlüsse – ob internetaffin oder nicht – müssen endlich zu einem realistischen Umgang mit den sozialen Medien gelangen. Wie lange soll das noch dauern? Diese Plattformen sind nicht unerheblich. Aber sie sind auch nicht maßgeblich. Hunderte negative Rückmeldungen an eine große Organisation machen noch keinen Shitstorm aus. Nur in Ausnahmefällen sind soziale Medien wirklich reichweitenstark.

DFG: Ein souveränerer Umgang ist erwartbar

Von einem staatlich geförderten Verein wie der DFG mit einem Förderetat in Milliardenhöhe muss man heutzutage einen souveräneren Umgang mit den sozialen Medien erwarten. Das fängt allerdings schon damit an, sich im Vorfeld einer Image-Kampagne genau zu überlegen, wen man dafür unter einem Titel wie „DFG2020 – Für das Wissen entscheiden“ (oder kurz: #fürdasWissen) einspannen möchte . Dieter Nuhr ist kein unbeschriebenes Blatt. Er provoziert immer wieder mit pointierten Äußerungen etwa zum Islam oder zum „Diktum“ der Klimaaktivistin Greta Thunberg „Hört auf die Wissenschaft!“. Das ist bekannt, und wenn nicht, dann kann man es in Sekundenschnelle googeln.

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Wenn man sich dann aber für jemanden wie Nuhr entscheidet, dann muss man zu ihm stehen. Auch durch einen vermeintlichen „Shitstorm“ hindurch. Es gibt durchaus gute Gründe für eine Allianz zwischen der DFG und Dieter Nuhr – nicht zuletzt, um Menschen zu erreichen, die sich etwa von weiter links verorteten Kabarettisten wie Volker Pispers nicht angesprochen fühlen.

Gespräch zwischen DFG und Nuhr als positives Signal

Zumal Nuhrs eingesprochenes Video-Statement für die DFG inhaltlich alles andere als problematisch ist. Es endet mit: „Wissenschaft weiß nicht alles – ist aber die einzige vernünftige Wissensbasis, die wir haben. Deshalb ist sie so wichtig!“ Eines jedenfalls geht gar nicht: In einer Zeit, in der so intensiv um Meinungsfreiheit gerungen wird, eine Äußerung zu tilgen, die weder falsch noch justiziabel oder diskriminierend oder schlimmer ist.

Schließen möchte ich dann allerdings mit einem Lob: Dieter Nuhr und die Deutsche Forschungsgemeinschaft haben sich zu guter Letzt zusammengesetzt und miteinander geredet, obwohl da schon viele schrille Töne laut geworden waren. Das ist ein wichtiges Signal an die Gesellschaft, in zunehmend polarisierten Zeiten, in denen die Kommunikation nicht zuletzt wegen der sozialen Medien auf Unnachgiebigkeit getrimmt ist.

Hoffen wir auf den Lerneffekt und darauf, dass andere künftig erst gar nicht mehr aus der Kurve fliegen, die sie dann irgendwie noch mühsam bekommen müssen.