Er war so lange an der Spitze von „Bild“ wie kein anderer. Kai Diekmann veröffentlicht nun ein Buch über seine Zeit beim Boulevardblatt.
Ehemaliger „Bild“-ChefKai Diekmann über Beziehung zu Döpfner: „Haben uns auch angebrüllt“
Das Medienhaus Axel Springer und die „Bild“-Zeitung befinden sich in turbulenten Zeiten. Die Reichelt-Affäre, der ständige Wechsel an der Spitze, geleakte SMS von Springer-Chef Döpfner. Was sagt Kai Diekmann, der jetzt ein Sachbuch über seine Zeit als „Bild“-Chef vorlegt, dazu?
Wie oft hat seit Ihrem Weggang von der „Bild“-Spitze Anfang 2017 Ihr Handy geklingelt, mit dem Angebot, wieder zurückzukommen?
Kai Diekmann: Kein einziges Mal. Aber ich will auch gar nicht der Feuerwehrmann sein, der kommt, wenn es brennt.
Kränkt Sie das?
Nein. So habe ich das von vornherein klar gemacht. Ich hatte eine fantastische Zeit bei Springer, 31 Jahre insgesamt, davon 16 Jahre an der „Bild“-Spitze. Genug ist genug. Aber jeder weiß, dass mein Herz an „Bild“ hängt, und deshalb klingelt natürlich regelmäßig mein Telefon, wenn zum Beispiel meine Mitarbeiter von damals meinen Rat suchen.
Welche Schlagzeile fällt Ihnen zum aktuellen Zustand bei Axel Springer ein? Es gab geleakte Nachrichten des Vorstandschefs Mathias Döpfner. Und die Folgen der Affäre um den geschassten „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt dauern an.
Ich habe natürlich eine Meinung zu all dem, was da gerade passiert. Ich bin schon seit über sechs Jahren nicht mehr bei „Bild“ und daher Gott sei Dank nicht Teil dieses Dramas. Deswegen erlaube ich mir den Luxus, meine Meinung für mich zu behalten.
Sie sparen das Thema auch in Ihren Memoiren komplett aus, warum? Ist das Sachbuch nicht von der Wirklichkeit überholt?
Im Gegenteil: Ich beschreibe die „Bild“, die meine „Bild“ war. Meine Perspektive, meinen Blick auf „Bild“. Was man dort in 16 Jahren an der Spitze mitmacht, reicht für drei Leben. Das erzähle ich. Darum geht es in meinem Buch: Meine skurrilen Begegnungen mit Wladimir Putin zum Beispiel, mit dem ich im Schwarzen Meer schwimmen war. Mein Besuch bei Syriens Diktator Assad, der persönlich die Tür zu seinem Palast in Damaskus aufgemacht hat. Es geht mir darum, Geschichte in Geschichten zu erzählen. Zeitgeschichte eben. Übrigens: 350 Seiten waren geplant - weit über 500 Seiten sind es geworden. Winston Churchill hat für seine Lebenserinnerungen drei Bände gebraucht. Das ist ja jetzt gerade mal mein Erstling.
Haben Sie den Roman „Noch wach?“ von Benjamin von Stuckrad-Barre gelesen, der im Vorfeld als Schlüsselroman über Springer gehandelt worden war?
Ich habe ihn überflogen. Ich kenne Benjamin natürlich ganz gut. Eines meiner letzten Projekte bei „Bild“ war ein gemeinsames Sachbuch mit ihm über Udo Lindenberg. Die Zusammenarbeit hat wirklich Spaß gemacht. Er ist ein großartiger Marketingfuchs. Er legt ja Wert darauf, dass sein jüngstes Buch ein frei erfundener Roman ist. Soweit ich das beurteilen kann, ist es tatsächlich ziemlich viel Roman.
Ihr Sachbuch heißt „Ich war Bild“. Von Ihrem Nach-Nachfolger Reichelt hieß es in einem „Zeit“-Interview nach seinem unfreiwilligen Weggang: „Nicht Julian Reichelt ist „Bild“, sondern: „Bild“ war Julian Reichelt.“ Wer hat Recht?
Na ja, jeder „Bild“-Chefredakteur braucht ein ausgeprägtes Ego. Und eine gehörige Portion Eitelkeit schadet natürlich auch nicht. Also, vor mir und nach mir hat es keinen Chefredakteur gegeben, der es auch nur annähernd so lange an der Spitze von „Bild“ ausgehalten hat. Das rechtfertigt den Buchtitel „Ich war Bild“ und ist gleichzeitig eine Hommage an unsere legendäre Schlagzeile „Wir sind Papst“ von 2005.
Hatten Sie noch eine Rechnung mit dem Ex-Bundespräsidenten Christian Wulff (CDU) offen? Dessen Fall kommt prominent im ersten Kapitel vor.
Nun, Christian Wulff hat seine Sicht auf die Dinge in seinem Buch „Ganz oben, ganz unten“ ausführlich geschildert. Das habe ich damals etwas irritiert gelesen, denn meine Erinnerungen waren so ganz andere. Und tatsächlich haben sich die Dinge vollkommen anders abgespielt. Ich fand es an der Zeit, den Fall Wulff aus meiner Sicht zu schildern – und mit Dokumenten und Fakten zu belegen, die bislang unveröffentlicht sind.
Ihr Werk beleuchtet Mechanismen von Medien, Macht und Politik. Einmal mehr wird deutlich, welches Vertrauensverhältnis es zwischen Ihnen und Altkanzler Helmut Kohl gab. Sie bezeichnen ihn als „väterlichen Freund“. Waren Sie als Chefredakteur zu parteiisch und war es die „Bild“-Berichterstattung auch – gab es eine Grenzüberschreitung?
Nein, wie sollte das gehen? Zu unserer Freundschaft ist es ja erst gekommen, als er schon lange nicht mehr Vorsitzender der CDU/CSU und Bundeskanzler war. Aber ja, zuvor - als politischer Journalist und Politikchef von „Bild“ - habe ich selbstverständlich seine Nähe gesucht. Das muss ein Journalist auch tun - Nähe zu seinen Protagonisten herstellen, um exklusive Informationen zu bekommen. Erst nach der Wahlniederlage 1998 haben wir einen ersten privaten Abend gemeinsam im Bonner Kanzlerbungalow verbracht. Und es hat noch bis 2005 gedauert, dass er mir das Du angeboten hat.
Hatten Sie in den Jahren als „Bild“-Chef das Gefühl, die FDP hochschreiben zu müssen? Die „Zeit“ listete geleakte angebliche Nachrichten Döpfners an „Bild“-Chef Reichelt („Please Stärke die FDP“) zur jüngsten Bundestagswahl auf, die den Anschein erwecken, dass dies gewünscht war.
Ich habe mir von überhaupt niemandem reinreden lassen. Das bedeutet aber nicht, dass nicht ganz viele versucht haben, mir reinzureden. Welches Ziel zum Beispiel verfolgte Wulff mit seiner Aufsprache auf meiner Mailbox? Oder die Strafanzeige, die der frühere SPD-Generalsekretär Franz Müntefering gegen „Bild“ stellte? Einfluss auf die Berichterstattung nehmen! Und diesem Versuch der Einflussnahme – von oben, von unten, von links, von rechts, mit Schmeicheleien, mit Drohungen – dem musste ich mich jeden Tag von Neuem entgegenstellen als „Bild“-Chefredakteur.
Mathias Döpfner und ich waren in vielen Fragen diametral unterschiedlicher Meinung, wie sie an jeder Menge SMS festmachen können, die im Buch nachzulesen sind. Ich hatte nie das Gefühl, Anweisungen von ihm zu bekommen. Die hätte er mir schon deshalb nicht geschickt, weil er wusste, dass sie nicht auf fruchtbaren Boden fallen würden.
Also keine Übergriffigkeit?
Wir haben unsere Meinungsverschiedenheiten mitunter sehr lautstark geführt und uns dabei auch angebrüllt – manchmal vor Publikum, manchmal transparent in der Zeitung mit zwei unterschiedlichen Kommentaren zum gleichen Thema. Ich habe unsere Auseinandersetzungen nicht als übergriffig empfunden - und es im Zweifelsfall als Chefredakteur eh so gemacht, wie ich es für richtig gehalten habe.
Sie waren so lange Chefredakteur der „Bild“ wie kein anderer – seit Ihrem Weggang geht es wie im Taubenschlag zu. Wie hält man sich 16 Jahre an der Spitze?
Vor allem brauchen Sie eine gehörige Portion Resilienz. Eine Zeitung, die so laut ist, zieht zwangsläufig auch jede Menge Kritik auf sich. Und vieles ist auch Schicksal: Gleich am Anfang, nach nur drei Wochen, habe ich einen derartigen Bock geschossen, dass ich glaubte: Das war's. Wir hatten auf einem Foto mit dem grünen Umweltminister Jürgen Trittin bei einer Demo einen Handschuh und ein Seil mit einem Bolzenschneider und einem Schlagstock verwechselt - und Trittin damit unterstellt, Seite an Seite mit gewalttätigen Chaoten marschiert zu sein. Ich habe sofort die Verantwortung für diesen schweren Fehler übernommen. Dass ich mich in dieser Form vor die Redaktion gestellt habe, hat mir das Team nicht vergessen. Das war mein größtes Kapital und meine Lebensversicherung all die Jahre: mein großartiges Team.
Was war Ihr größter journalistischer Moment?
Den einen Moment gibt es nicht - dafür erleben Sie in 16 Jahren „Bild“ einfach zu viel: den Dalai Lama im Himalaya frühmorgens im Tempel, den todkranken Papst Johannes Paul im Vatikan, George W. Bush im Oval Office im Weißen Haus. Ein Interview, für das ich sechs Jahre gebraucht habe, bis ich es schließlich hatte. Das ungewöhnlichste Interview war aber sicherlich das mit dem designierten US-Präsidenten Donald Trump - allein schon, was das Zustandekommen anging. Es gab bis zu meinem Eintreffen in New York nix außer einer SMS, in der es hieß: „We have got President Trump for you...“ Im Interview selbst hörte er dann gar nicht auf, Schlagzeilen zu produzieren: zu viele deutsche Autos auf amerikanischen Straßen, die Nato obsolet, Angela Merkel außer Kontrolle...
In Ihrem Buch zitieren Sie Springer-Chef Döpfner mit der Aussage: „Der Chefredakteur von Bild ist wahrscheinlich der unbeliebteste und meistgehasste Journalist des Landes“. Sie berichten auch von dem Brandanschlag auf Ihr Familienauto in Hamburg 2007. War das der Moment, in dem Sie am meisten Angst hatten?
Nein, überhaupt nicht. Ich habe mich immer gut beschützt gefühlt. Es gehörte dazu, dass ich als „Bild“-Chef - wie auch viele Spitzenpolitiker und Wirtschaftsführer - ein Sicherheitsthema hatte und mitunter Polizeischutz in Anspruch nehmen musste. Im übrigen sind Hass und Angriffe die Ausnahme. Zuallererst suchen viele die Nähe des „Bild“-Chefredakteurs. Aber es gab natürlich auch bedrückende Situationen: Ich stand vor meiner Haustür mit meinem kleinen Sohn auf dem Arm und jemand Unbekanntes kam vorbeigeradelt und drückte mir eine Postkarte mit einer Pistole drauf in die Hand.
Was bereuen Sie rückblickend?
Ach, ganz viel. Wir sind Journalisten, arbeiten für den Tag. Wir müssen Entscheidungen aus dem Moment heraus treffen. Und da macht man auch Fehler, wenn man tagesaktuell einen Sachverhalt beurteilen soll. Es gibt vieles, von dem ich mit zeitlichem Abstand sagen würde: Das haben wir falsch gesehen. Im Buch erzähle ich von Gerhard Schröders (SPD) Reform-Agenda 2010. Die haben wir bis aufs Messer bekämpft - mit zum Teil wirklich unterirdischen Schlagzeilen. Warum? Weil wir die Agenda schlicht nicht verstanden haben.
Wird Kai Diekmann noch mal als Journalist zurückkehren?
Meine Leidenschaft, eine Geschichte zu erzählen und zu recherchieren, ist ungebrochen. Ich kann an keiner Geschichte vorbeigehen, muss sie immer sofort loswerden. Vor allem, wenn ich morgens durch die Parks von Potsdam jogge und schon wieder irgendwelche Biber Bäume gefällt haben. Fragen Sie mal die Chefredakteurin der „Potsdamer Neusten Nachrichten“. Die wird irgendwann meine Nummer blocken.
Zur Person: Kai Diekmann (58) ist Mit-Gründer der Agentur StoryMachine, die Firmen und Personen bei ihrer digitalen Kommunikation unterstützt. Operativ ist er in dem Unternehmen aktuell nicht tätig. Seit 2017 ist Diekmann auch Vorsitzender des Freundeskreises Yad Vashem. Zwei Jahre lang schrieb er an seinem Sachbuch über seine Zeit an der Spitze von „Bild“ zwischen 2001 und Anfang 2017. (dpa)