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Gespräch mit Blixa Bargeld„Ich bin der Geist, der durch die Geschichte wandelt“

Lesezeit 7 Minuten
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Die Einstürzenden Neubauten.

  1. Die Erkenntnis, dass er ein neues Album mit seiner Band "Einstürzende Neubauten" machen müsse, kam Blixa Bargeld mitten in einer schlaflosen Nacht.
  2. Aus der Quarantäne erzählt der Sänger über das erste Album seiner Band seit zwölf Jahren, Kunst in Zeiten von Corona und seine Rückkehr nach Berlin.

Wer sich dieser Tage mit Blixa Bargeld unterhalten möchte, und wer wollte das nicht in Anbetracht von „Alles in Allem“, dem ersten regulären Studioalbum seiner Band „ Einstürzende Neubauten“ seit zwölf Jahren, der kann nicht einfach so zum Hörer greifen und ihn anrufen. Nein, Blixa lehnt Telefoninterviews ab, kategorisch. Macht er nicht. Besuchen kann man ihn naturgemäß auch nicht, wir haben ja immer noch Corona.

„Ich bin in Quarantäne“

Nein, Bargeld besteht auf Skype, und zwar mit Video. Und da hockt er nun an diesem Vormittag in leicht kauernder Haltung am Schreibtisch, klassisch gewandet in einem schwarzen Anzug (ohne Krawatte) und fordert sein Computerbildschirm-Gegenüber forsch auf, ihm doch bitteschön Fragen zu stellen, denn von selbst sage er nichts.

„Ich bin in Quarantäne“, stellt er klar. Es gehe ihm den Umständen entsprechend – also nicht supertoll, soll das wohl heißen. Er versuche, seine Tage sinnvoll zu strukturieren, die Dinge nicht allzu sehr schleifen zu lassen. „Ich arbeite ein bisschen, und ich koche ein bisschen.“ Per Video-Blog auf www.neubauten.org lässt sich Blixa Bargeld in der Küche auch über die Schulter schauen.

Uns erwartet eine Flut von schlechten Romanen

Das Haus zu verlassen, vermeidet er hingegen immer noch. Das Immunsystem sei nicht gut. Mit seinen 61 Jahren sei er ja auch kein junger Mensch mehr. Welche Auswirkungen die Corona-Krise auf die Kunst haben wird? „Keine Ahnung, das kann ich nicht beurteilen. Wahrscheinlich wird es demnächst haufenweise schlechte Romane geben.“ Bargeld, ein Mann des kraftvollen wie hochpoetischen Wortes, wolle sich in diese Phalanx freilich keinesfalls einreihen. „Ich schreibe Lyrik. Romane waren nie mein Ding. Ich lese auch keine Romane. Den Kanon der Weltliteratur habe ich irgendwann mal verdaut, aber ich lese schon seit langem so gut wie gar keine zeitgenössische Literatur.“ Aktuell lese er das Sachbuch „Die Ordnung der Zeit“ von Carlo Rovelli. Darin geht es um den physikalischen Zeitbegriff, ja im Grunde um unser Universum als solches.

Blixa Bargeld, der es im Alltag strukturiert mag, lässt sich zumindest in seiner Kunst gern treiben. Im allerletzten Satz auf dem neuen Album, im Stück „Tempelhof“, das ursprünglich „Pantheon“ heißen sollte und an beiden diesen Orten spielt, lautet: „Hier komme ich abhanden.“ Eine Zeile, überhaupt ein Text, der sich in einer Grauzone zwischen Schlaf und Nicht-Schlaf bewege. „Bei mir kommt es selten vor, dass ich einen Text in einem Rutsch schreibe. In diesem Fall war der Nukleus die Zeile „Vögel nisten/ es wachsen Salvia/ und Bohnenkraut“. Der Rest hat sich nach und nach drumherum abgelagert. Und meistens kann ich es im Halbschlaf nicht verhindern, dass ich über Worte und Formulierungen nachdenke, um dann am nächsten Morgen mit zwei Zeilen mehr aufzuwachen – sofern ich mich noch an sie erinnern kann.“

Ergebnis einer schlaflosen Nacht

Auch die recht ruhige Musik zu „Tempelhof“ erblickte beiläufig das Licht dieser Welt. Bargeld: „Im vergangenen September nahm ich an einem Brecht-Abend in Dublin teil. Dort hatten sie mir einen Raum zugewiesen, in dem ein Flügel stand. In den Probenpausen komponierte ich dieses Stück.“ Eines der letzten, die für das Album fertig wurden. Ein Album, das alles in allem gar nicht zwingend so geplant war. Es ist den Männern eher so passiert, und dann haben sie es zugelassen. An diesem Punkt kommt wieder die Nacht ins Spiel. Er sei im Januar 2019 aus Hongkong zurück gekommen und habe nicht einschlafen können, erzählt Bargeld. Da sei ihm mitten in der Nacht klar geworden: „Ich muss noch ein Album mit den Neubauten machen“. Vorher habe das zwar immer mal wieder im Raum gestanden. „Aber ich hatte einfach nicht das dringende Gefühl, die Sache anzugehen. Dann habe ich die Kollegen gefragt, und die wollten auch.“

Die Kollegen, das sind heute wie schon seit vielen Jahren Perkussionist und neben Bargeld einziges verbliebenes Gründungsmitglied N.U. Unruh, Alexander Hacke am Bass, Gitarrist Jochen Arbeit an der Gitarre und Rudolf Moser (ebenfalls Perkussion). Erwähnt man die neuen Lieder als romantisch und schön zu empfinden, erntet man am Bildschirm den Anflug eines Lächelns. „Ich habe nichts gegen diese Beschreibung einzuwenden“, so Blixa. „Dieses Schöne war immer schon vorhanden, selbst auf unserem ersten Album gab es ein Stück wie „Sehnsucht“. Aber natürlich habe sich die Gewichtung verändert. Die Band Neubauten 3.0 spiele jetzt seit zwanzig Jahren personell unverändert zusammen. „Die Individualität von uns allen, die macht sich natürlich auch stärker denn je bemerkbar.“

„Wenn überhaupt sind wir Anti-Punks“

Blixa Bargeld, 1959 in Berlin als Christian Emmerich geboren, wählte seinen Künstlernamen nach einer Filzstiftmarke und dem des Kölner Dadaisten Johannes Theodor Baargeld. 1980 gründete er mit Unruh, Gudrun Gut und Beate Bartel die Einstürzenden Neubauten. 1984 war er zudem Gründungsmitglied der Band Nick Cave and the Bad Seeds, in der er bis 2003 Gitarre spielte, und wo er seine Liebe zu Melodien und Songstrukturen entdeckte. Anfangs waren die Neubauten nämlich nicht nur unangepasste künstlerische Querköpfe, sondern vor allem auch: im musikalischen Ausdruck laut und scheppernd. Zwar betonte Bargeld einst in einem anderen Interview: „Es war nie Lärm. Es war laut, aber kein Lärm.“ Doch die anarchischen Töne, die sie erzeugten gepaart mit den oft seltsam anmutenden Texten machten die 1980 gegründeten Einstürzenden Neubauten von Beginn an zu einem Solitär in der Kunst- und Musiklandschaft. „Punk“ allerdings haben sie nie sein wollen, wenn überhaupt, dann sowas wie Anti-Punk. „Die Punks waren die, die mit den Bierflaschen nach uns geworfen haben. Im Nachhinein als Punk kategorisiert zu werden, fand und finde ich immer noch ärgerlich.“ Früher besorgten sie sich ihre Instrumente mit Vergnügen auf dem Schrott und entlockten noch dem absurdesten und experimentellsten Klangkörper Geräusche. Das funktioniert heute so nicht mehr, gibt Bargeld zu. „Es lässt einen niemand mehr auf einen Schrottplatz – aus versicherungstechnischen Gründen.“

Also haben sie angefangen, über alternative Materialien nachzudenken. So kamen die Neubauten auf diese blau-rot-karierten Stofftaschen, im Berliner Volksmund auch „Polenkoffer“ genannt, die sie nun in dem neuen Lied „Taschen“ einsetzen, einem Song, in dessen Inhalt es um die Schicksale von Bootsflüchtlingen im Mittelmeer geht. „Wir haben die Taschen dann mit Lumpen gefüllt, und fertig war das Instrument. Alex Hacke hat eine Sondertasche mit Münzen, Nägeln und Erbsen, auf der spielt er sein Solo. Dieses Solo klang wie der Ozean. Und so haben mir plötzlich die Dinge verraten, worum es geht.“

Das neue Album wurde zunächst gern als die „Berlin-Platte“ der Neubauten bezeichnet. Die Songs heißen etwa „Grazer Damm“, „Wedding“ oder „Am Landwehrkanal“. Letzterer spielt zu Zeiten von Rosa Luxemburg, die in selbigem ertränkt wurde. „Ich bin in dem Song der Geist, der durch die Geschichte wandelt“, so Bargeld, der sich mit der Zuschreibung ansonsten etwas schwertut.

Am Anfang stand Berlin

„Am Anfang der Arbeit wurde ich nach dem Thema gefragt, und ich habe vorsichtig gesagt „Vielleicht hat es irgendwas mit Berlin zu tun“. Es gab zunächst ein Stück, das hieß „Welcome to Berlin“. Aufgrund mangelnder musikalischer Substanz und der Tatsache, dass es zu sehr als Kommentar missverstanden werden konnte, ist es aber nicht auf dem Album drauf. Ich wollte in dem Text auf witzige Weise meinem Zynismus Ausdruck verleihen, aber es kam rüber wie ein Protestsong, und das mochte ich nicht. Somit ist nicht nur das Stück, sondern auch das Zentrum der ganzen Berlin-Bezogenheit weggefallen.“

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Trotzdem hat ihn Berlin, wo Blixa Bargeld nach Aufenthalten in San Francisco und Peking gemeinsam mit seiner Frau und Tochter wieder lebt, natürlich geprägt wie keine zweite Stadt. „Ich lebe jetzt in Ost-Berlin. Um in mein altes Berlin zurückzukehren, müsste ich durch den Tiergartentunnel in den Westen fahren, dort könnte ich erzählen, wo mein Zahnarzt war und wo meine erste Freundin wohnte.“ Spürt er noch den Unterschied zwischen West und Ost? „Ja. Wenn ich mit dem Auto durch die Stadt fahre, dann weiß ich genau, wo die Mauer stand. West-Berlin ist voll mit Erinnerungen, der Osten überhaupt nicht.“

Finanzielles Fiasko

Zur Albumveröffentlichung hatten die Einstürzenden Neubauten ursprünglich geplant, ihre sogenannten „Unterstützer“, die mittels der Crowdfunding-trifft-Mäzenatentum-Plattform „Patreon“ monatlich feste Geldbeträge an die Band überweisen, auf eine große Neubauten-spezifische Berlin-Rundfahrt einzuladen. Hansa-Studios, Friedenauer Brücke, Landwehrkanal. „Wir hatten eine große Liste mit Orten zusammen, die irgendwas mit unserer Geschichte zu tun hatten.“ 500 Fans hatten bereits ihre Flüge gebucht. Alles abgesagt, geht ja nicht anders. Auch das Abschlusskonzert im Gendarmenhaus. Finanziell ein Fiasko, auch die für 2020 geplante Tournee findet nicht statt.

Doch alles Lamentieren hilft nichts. Das Leben muss weitergehen. Die Konzerte sollen 2021 nachgeholt werden. Und das Gespräch findet mit dem Anklingeln des nächsten Skype-Gesprächspartners in Blixas Dachgeschossbüro und einem bestimmten „Vielen Dank, auf Wiedersehen“ ein rasches Ende.

Das Album „Alles in Allem“ ist am 15. Mai erschienen. Am 25. Mai 2021 ist ein Konzert der Einstürzenden Neubauten im Kölner E-Werk geplant.