Musikbranche in der CoronakriseHaste mal ’nen Cent für Musiker?
- Die Corona-Krise nagt an der Existenz vieler Bands. Auf die Solidarität von Spotify und Co. hoffen sie vergeblich. Bislang.
- Wie könnte sich die Musikbranche so verändern, dass auch die Künstler ein gutes Auskommen haben?
- Ideen für neue Ansätze kommen aus einem überraschenden Bereich: der Landwirtschaft.
Köln – Es war eine der ersten Maßnahmen, die Mitte März auf dem Weg in den deutschlandweiten Shutdown beschlossen wurde: Die Absage von Großveranstaltungen. Als es montags noch hieß, Veranstaltungen mit 1000 Besuchern und mehr seien von dieser Regelung betroffen, wurden in den Sozialen Netzwerken fleißig Witze gerissen, dass Musiker, zu deren Shows ohnehin nur zehn Besucher kämen, ja nun endlich auch mal im Vorteil seien. Das Lachen verging schnell wieder, als dann sämtliche Konzerte abgesagt werden mussten.
Wer hören will, muss streamen
Denn: Wer heutzutage noch von Musik leben will, ist auf die Einnahmen aus dem Live-Geschäft angewiesen. Platten werden kaum noch verkauft, schon lange titeln die einschlägigen Medien mit dem viel zitierten „Tod des Albums“. Wer gehört werden will, muss gestreamt werden. Doch Spotify und Co. zahlen nicht einmal einstellige Cent-Beträge pro Stream. Für die Ed Sheerans dieser Welt wohl kein Problem. Doch die überwältigende Mehrheit der Musiker bekommt nur mit Mühe und Not eine Million Streams zusammen.
Darius Lohmüller und seine Band The Deadnotes etwa hat es besonders hart getroffen. Das Trio aus Freiburg und Köln war gerade auf Album-Releasetour durch Europa unterwegs, als sie plötzlich sämtliche Konzerte absagen mussten. „Über Nacht sind Pläne, die teils über Jahre hinweg entstanden und erarbeitet wurden, zunichte gemacht worden“, erzählt der Musiker. Als Indie-Band arbeiten sie zu großen Teilen selbstständig, betreiben ein eigenes kleines Label, buchen ihre Shows und Touren selber, und auch neben der Band arbeitet Lohmüller in der Veranstaltungsbranche. Für ihn also ein finanzieller Totalausfall, wie der Sänger und Gitarrist weiter berichtet: „Der Großteil an Geld wird durch Liveshows und intensives Touren eingespielt. Gerade anfangs hat uns die Situation vor große Existenzfragen gestellt.“
Trinkgeldbecher als Zeichen der Solidarität
Die Not in der eigenen Branche geht natürlich auch an dem Streaming-Giganten Spotify nicht vorbei. Allerdings mit einem gravierenden Unterschied. Denn während die meisten Künstler sich derzeit fragen müssen, wo sie in nächster Zeit ihren Lebensunterhalt verdienen sollen, werden Streaming-Dienste in Zeiten des Home Office stark nachgefragt. Doch wo jetzt Solidarität mit den Verlierern der Krise gefragt wäre, steht Eigennutz im Vordergrund. Eine, wenigstens temporäre, Erhöhung der Streaming-Einnahmen für die stark gebeutelten Musiker? Daran mochte man bei Spotify wohl nicht denken. Stattdessen hat das Unternehmen sich einen virtuellen Trinkgeldbecher einfallen lassen. Der die Solidarität einfach an die Nutzer der Plattform weitergibt. Denn wer einen Becher auf den Boden stellt und andere bittet, ein paar Münzen hineinzuwerfen, kann sich nun wahrlich nicht als Helfer in der Not bezeichnen.
Mehr noch: Spotify fordert die Künstler dazu noch auf, selber zu entscheiden, was sie mit den Geldspenden tun möchten. Selber behalten oder an Hilfsorganisationen spenden? Darius Lohmüller sieht den Spendenbecher kritisch: „Hier wird eine Verantwortung auf den (kleinen) Künstler umgemünzt, die er nicht tragen sollte.“
Inspiration kommt aus der Landwirtschaft
Doch was muss sich ändern? Für die Band Kochkraft durch KMA kommt ein mögliches Beispiel für eine Umstrukturierung der Musikindustrie aus einem unerwarteten Bereich: der Landwirtschaft. „Da starten Leute Initiativen wie „Solidarische Landwirtschaften“ (SoLaWi) und Permakulturen, sperren so den Markt zumindest partiell aus und suchen sich ihre eigenen Wege, unter solidarischen und nachhaltigen Gesichtspunkten.“ Für die Band wäre ein solcher Ansatz „ein ungeheuer großer, aber auch ein ungeheuer lieber Mittelfinger.“ Schließlich gehe es nicht darum, eine Revolution oder einen Boykott anzuzetteln: „Das wäre schon wieder viel zu viel Zeit in die ökonomischen Umstände von Musik investiert, statt in die Musik selbst.“
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Ein ähnliches Konzept verfolgt auch eine Initiative der Musikerin Ziemba aus New York. Auf der Webseite thecreativeindependent.com hat sie einen Guide veröffentlicht, wie sie sich den Aufbau „der Musikindustrie der Zukunft“ vorstellt. Im Zentrum ihrer Vision stehen Solidarität und gegenseitige Unterstützung. Etwa gehe es darum, Musikfans wieder mehr Alternativen zu den Streamingdiensten anzubieten, sie wissen zu lassen, dass es eine Wahl gibt, wie sie ihre Lieblingsmusiker unterstützen können. Beispielsweise, indem sie ihr Album auf der Plattform Bandcamp kauften, anstatt es zu streamen.
„Unterhaltungsmusik heißt nicht Umsonstmusik!“
So sieht es auch die Band Kochkraft durch KMA: „Es geht einfach um die unspektakuläre Grundsatzentscheidung, uns im Zweifel auf unsere Kernkompetenz zu besinnen, nämlich mit Musik uns selbst und andere im Innersten zu bewegen oder auch nur zu unterhalten.“ Darius Lohmüller ergänzt jedoch: „Unterhaltungsmusik heißt nicht Umsonstmusik!“
Natürlich geht es bei der Musik nicht um Geld oder Reichtum, doch eine finanzielle Sicherheit kann den Künstlern den nötigen Freiraum schaffen, um Musik zu kreieren. Das unendliche Angebot an Musik auf Spotify und Co. ist eine große Errungenschaft des digitalen Zeitalters und sollte nicht gering geschätzt werden, doch wenn die Streaminganbieter ihre Plattformen weiterhin füllen möchten, sollten sie auch Sorge für eine nachhaltige Entwicklung der Musikindustrie tragen. Beispielsweise, indem sie ihre Gewinne gerechter zwischen allen Beteiligten Akteuren aufteilen.