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Titanic-Satiriker Thomas Gsella„Offenbar ist Markus Söder nicht ganz so dumm”

Lesezeit 7 Minuten
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Thomas Gsella bei der Kölner lit.Cologne

  1. Der Titanic-Satiriker und Lyriker Thomas Gsella ist vor allem für seinen Humor bekannt, hat in der Corona-Krise allerdings auch einige viel beachtete ernste Gedichte geschrieben.
  2. Ein Gespräch über die Resonanz auf sein Gedicht „Corona-Lehren”, pointenloses Elend, das Leben mit dem Virus und den jüngsten Angriff auf Mitarbeiter der ZDF-Satiresendung „heute show”.

Herr Gsella, Ihre Gedichte sind meist humorvoll. Ihr viel beachtetes Gedicht „Die Corona-Lehre“ ist hingegen sehr ernst. Warum?

In der Tat schreibe ich seit einiger Zeit auch ernste Gedichte. Das mag an der Welt liegen. Wenn sie zum Großteil von offenbaren Lügnern, Menschenfeinden und Massenmördern wie Trump, Bolsonaro oder Erdogan beherrscht wird, meldet sich manchmal einfach keine Pointe. Welche Komik soll sich auch finden in diesen grauenhaften Menschenlagen nicht nur auf Lesbos. Deshalb also ist dieses Gedicht so ernst geworden, und ich war dann umso überraschter, als es plötzlich sehr bekannt wurde.

Wie erklären Sie sich, dass gerade dieses Gedicht so viel Aufmerksamkeit erhielt?

Alles zum Thema Armin Laschet

Die Launen des Netzes. Viele meiner Gedichte sind in meinen Augen ja noch besser als dieses, denn es formuliert nicht mehr als eine Binsenweisheit: dass zur Herstellung von Elend tausendfach mehr Geld ausgegeben wird als zur seiner Linderung; und dass der Umgang mit Geflüchteten barbarisch ist, in vielen Fällen schlichtweg Tötung durch unterlassene Hilfeleistung. Das sieht und liest und weiß man. Aber vielen Leserinnen und Lesern gefiel offenbar, wie ich diese Binse in Form gebracht habe. Trotzdem war ich erstaunt über die Resonanz. Das Gedicht wurde zigtausendmal geteilt, kopiert, verklebt, ins Englische und Niederländische übersetzt, von engagierten Gruppen verlesen usw. Auf meinem Grabstein wird stehen: „Er hat viel Lustiges geschrieben, / Doch nur ein Ernstes ist geblieben“.

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Kann man mit Gedichten gegen die Ungerechtigkeit der Welt anschreiben?

Ja, aber man kann’s genauso gut lassen. Manchmal denke ich, dass noch mein Klagen falsch ist, weil ich Geld bekomme für diese Gedichte und dadurch Komplize des Verbrechens werde, gegen das ich mich wende. Ein Dilemma; aber vielleicht mag ich ja doch den ein oder anderen anschieben, etwas zu tun. Kritische Autoren sollten freilich besser nicht glauben, dass ihre Texte politisch spürbare Folgen haben. Im besten Fall erfreuen und trösten sie für einen Augenblick und erreichen aber nur die, die das ohnehin genauso sehen, sonst vermutlich niemanden, weder die Täter noch die Opfer.

Ist das nicht das Grundproblem der Satire? Man erreicht nur die in der eigenen Blase.

Vielleicht ist das andererseits gut so? Es wäre ja schrecklich, wenn ich von Nazis, Rassisten, Corona-Leugnern und anders Missratenen verschlungen würde. Aber zum Glück finde auch unter meinen Netzposts fast nur Kommentare von Leuten, die gedanklich und charakterlich intakt und integer sind, allesamt kluge, menschenfreundliche, mitleidende, also linke und antikapitalistische und dazu noch humorbegabte Leute. Eine überaus schöne Familie, die einzige denkbare schöne.

Ein Virus ist ein unsichtbarer Feind. Ist es schwierig, über eine Pandemie Satire zu machen?

Im Gegenteil, es ist leicht. Weil gerade alle von diesem Thema betroffen sind und darunter zu leiden haben, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Die Menschen leiden, während sich etwa um die Autos vorbildlich gekümmert wird. Bislang habe ich rund 30 Gedichte zu Corona geschrieben, so viel wie zu kaum einem anderen Unglück. Viele andere Themen sind da zum Glück bedeutend kurzlebiger.

Wie hat die Pandemie denn Ihr Leben verändert?

Ich habe mit Schrecken festgestellt, dass ich schon vorher ein vollkommen pandemisches Leben geführt habe: Ich sitze zu Hause herum und schreibe. Nur die Biergartenbesuche fallen weg, und das ist tatsächlich schlimm. Da wird das Leben schnell sinnlos. Und Angst habe ich natürlich auch. Wenn meine jüngere Tochter bald wieder in die Schule geht, muss ich schauen, was ich tu, denn mein Alter und meine Lunge gehören beide zur Risikogruppe.

Die gesellschaftliche Stimmung wandelt sich in der Tat gerade. Sie sind in dem Gedicht „Lob des Hochfahrens“ darauf eingegangen. Wie erleben Sie das?

Ich bin beunruhigt. Aber der Sinn allen kapitalistischen Wirtschaftens ist halt nicht die Befriedigung von Bedürfnissen und die Verschönerung des Lebens, sondern die individuelle Bereicherung im Profit. Und wenn das Leben kostet – tja. Dabei könnten es viele zehntausend werden, denn es ist ein gefährliches und tödliches Virus, beileibe nicht nur für Alte. Und wenn man die Leute jetzt wieder in die Einkaufszonen treibt, zeigt man, dass die Würde des Umsatzes noch eine Spur unantastbarer ist als die des Menschen.

Die Coronalehre

Quarantänehäuser sprießen,Ärzte, Betten überall,Forscher forschen, Gelder fließen –Politik mit Überschall.Also hat sie klargestellt:Wenn sie will, dann kann die Welt.

Also will sie nicht beendenDas Krepieren in den Kriegen,Das Verrecken vor den SträndenUnd dass Kinder schreiend liegenIn den Zelten, zitternd, nass.Also will sie. Alles das.

Sie leben in Bayern. Die Sympathiewerte von Markus Söder sind zuletzt gestiegen. Überrascht Sie das?

Es betrübt mich, und ich sage es ungern: Offenbar ist Söder nicht ganz so dumm, wie er jahrzehntelang tat. Ein halbes Leben lang hat er keinen geraden Satz herausbekommen, aber nun lernt er offenbar sprechen und wird überhaupt recht gut beraten.Da sind viele im Moment bedeutend unangenehmer. Die FDP sowieso oder dieser Armin Laschet mit seinem Nr 1-Hit „Laschet die Wirtschaftslobbyisten zu mir kommen!“ Schön ist, dass die AfD mal still ist – oder besser war: Jetzt scheinen sich ihre Leute ja vermehrt an das neue Traumduo Xaver Neindu und Atta Pimmelmann dranzuhängen. Da wichst zusammen, was zusammen gehört.

Deren Verschwörungstheorien machen gerade die Runde. Kann man über solchen Irrsinn Satire machen?

Nein. Satire will durch Überspitzung und Übertreibung kenntlich machen und braucht also einen Gegenstand, der einen wenn auch minimalen Sinngehalt repräsentiert. Diese sogenannten Verschwörungstheorien sind aber absolut sinnlos, der reine Unfug und Schwachsinn, darum sind es auch keine Theorien, sondern Idiotien im Kostüm der Sprache, die sie beherrschen wie eine Laus das Klavierspiel. Da stellen sich scheinbar Erwachsene hin und schreien, dass Bill Gates Kinder fresse oder Ziegen, keine Ahnung, ich höre dann ja immer gleich auf zu lesen. All dieser Scheiß ist also leider vielviel zu doof für Satire. Aber ich wünsche auch solchen Menschen bei Gott nicht, dass sie an Corona erkranken, auch wenn ihnen vielleicht nur dies die Chance auf Weiterbildung böte.

Vor kurzem gab es am Rande einer Demo einen Angriff auf Mitarbeiter der ZDF-Satirikesendung „heute show“. Werden Sie auch bedroht?

Nach der Ermordung der Redaktion von „Charlie Hebdo“ hatte auch die „Titanic“ eine Zeitlang Polizeischutz. Ich selbst wurde noch nie bedroht. Wenn ich schreibe über über nazistische und islamistische und andere Menschenhasser, habe ich manchmal ein bisschen Angst und ermutige mich mit der These, dass die vermutlich keine Gedichte lesen. Geschweige denn so lange Interviews!

Warum sind Gedichte Ihr Ausdrucksmittel der Wahl?

Mit 18 fing ich an mit ernsten Gedichten. Dann kam die “Titanic“ mit ihrer intelligenten Satire und den großartigen komischen Gedichten von Robert Gernhardt, F.W. Bernstein, Simon Borowiak und anderen. Da war es um meinen dichterischen Ernst fürs Erste geschehen, weil ich sah, dass man Kritik genauso gut und besser mit komischen Mitteln üben kann.

Lob des Hochfahrens – Ein Offener Brief

„Das konnte nicht so weitergehn.Man muss das Leben schätzen,Doch ebenfalls die Wirtschaft sehnMit ihren Arbeitsplätzen.

Natürlich ist Gesundheit toll.Doch Wirtschaft muss verkaufen!Und sind die Straßen wieder voll,Dann wird“s auch wieder laufen.

Nun also! Wir erwarten Sie!Bis dahin alles Gute,Mit allerbesten Grüßen: dieBestattungsinstitute

Schreiben Sie auch ein bisschen gegen den schlechten Ruf der Lyrik an, sie sei unverständlich und elitär?

Da muss ich meinen erwähnten Vorbildern für ihre langjährige und erfolgreiche Vorarbeit danken – obwohl komische Reimlyrik von manchen immer noch als unechte Lyrik missverstanden wird und die echte doch bitte missverständlich sein möge. Das ist aber Quatsch. Es lebe das helle, schnelle und eingängige Gedicht! Außerdem ist es viel schneller fertig als ein Roman, was meiner Faulheit sehr entgegenkommt.

Zur Person

Thomas Gsella, geboren 1958 in Essen, war ab 1992 Redakteur und von 2005 bis 2008 Chefredakteur des Satiremagazins „Titanic“. Bekannt geworden ist er mit Gedichten, die er regelmäßig in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften publiziert. Gsella lebt mit seiner Familie in Aschaffenburg.

Sein neues Buch "Trinkgedichte" ist bei Haffmans bei Zweitausendeins erschienen, mit Trinkzeichnungen von Rudi Hurzlmeier. Es kostet 12,90 Euro.