- Die Schriftstellerin Siri Hustvedt lebt mit ihrem Mann in New York und erlebt die dramatische Situation, die das Coronavirus dort verursacht, hautnah mit.
- Sie empfindet Furcht, auch wenn eine Pandemie wie diese nicht unvorhersehbar gewesen sei, sagt sie.
- Im Interview kritisiert sie Trump scharf und erzählt, wie sie den Umgang der Deutschen Bundesregierung mit dem Coronavirus bewertet.
Frau Hustvedt, wo sind Sie – nach wie vor in Brooklyn oder irgendwo anders auf der Flucht aus New York wie so viele andere derzeit?Ich bin in Brooklyn, seit dem 8. März zu Hause abgekapselt mit meinem Mann. Wir waren beide krank – und zwar mit Symptomen, die zeitweilig eine Infektion mit Covid-19 vermuten ließen. Aber es standen keine Tests zur Verfügung. Jetzt sind wir vollständig genesen. Und nur Antikörper-Tests könnten noch zeigen, ob unser Virus das Virus war oder irgendeine andere Form von Infektion. Unser Arzt vermutet, dass es Covid-19 war. Aber es ist nur eine Vermutung. Es wäre schön zu wissen, ob die Geißel hinter uns liegt und wir Glück hatten. Doch sicher ist nichts.
Die Situation in New York ist weitaus dramatischer als an anderen Orten der USA. Wie empfinden Sie die Lage vor Ort?
New York wird hart getroffen. Wir kennen viele Leute, die sehr krank waren. Nur wenige von ihnen wurden getestet. Ein Freund, der infiziert war, lag im Krankenhaus. Doch glücklicherweise konnte er entlassen werden, nachdem er mehrere Tage in großer Gefahr geschwebt hatte. Die Leichenhallen füllen sich. Ich höre den ganzen Tag über Sirenen. Es ist von einem möglichen Höhepunkt der Todeszahlen die Rede. Aber niemand weiß etwas Genaues.
Was fühlen Sie?
Ich fühle vermutlich, was viele Menschen fühlen, die nicht zur Dramatisierung neigen – einen Alarmzustand und Furcht, begleitet von der anhaltenden Frage, was das alles bedeutet. Am Ende muss man gleichwohl sagen: Seuchen, Epidemien und Pandemien sind nichts Neues. Die Spanische Grippe tötete 1918 vermutlich 50 Millionen Menschen. Aids, die Vogelgrippe, Sars und Influenza sind Teil der jüngeren Vergangenheit. Es geht hier nicht um etwas Undenkbares. Eine Pandemie wie diese lag absolut im Bereich des Vorstellbaren. Virologen haben so etwas vorhergesagt. Und Epidemiologen haben Modelle über mögliche Verläufe errechnet. Sicher, niemand konnte genau wissen, wann und wo so eine Pandemie entstehen und wie sie sich ausbreiten würde. Aber es stimmt einfach nicht, wie unser Präsident wiederholt sagte, dass das alles absolut unvorstellbar gewesen wäre.
Haben Sie persönlich Angst?
Nur ein Idiot hätte keine Angst vor einer hoch ansteckenden und potenziell tödlichen Krankheit.
Sie haben viel über Krankheiten nachgedacht und geschrieben. Wie nehmen Sie Covid-19 im Speziellen wahr?
Viren sind allumfassend und auch faszinierend. Wir wissen zunehmend mehr darüber, was Viren genau sind und wie sie in verschiedenen Ökosystemen funktionieren. Aber vieles bleibt ein Geheimnis. An irgendetwas zu erkranken, erinnert uns jedenfalls daran, dass wir verletzliche Wesen sind, die nicht ewig leben. Mich interessiert dabei vor allem, wie die besonderen Lebensumstände eines Menschen seine Verletzlichkeit prägen – von der normalen Erkältung über Krebs bis zum Coronavirus. Stress, Isolation, Angst, Depressionen – all das beeinflusst unser Immunsystem. In den USA sehen wir außerdem die langfristigen Folgen, die radikale Ungleichheit, tiefsitzender Rassismus und das Fehlen eines nationalen Gesundheitswesens bei der Entwicklung der Pandemie spielen.
Donald Trump hat anfangs von einem „China-Virus“ gesprochen. Unter dem Druck der Pandemie hat er dann einen Sinneswandel vollziehen müssen. Ist das nur der normale Wahnsinn im Weißen Haus? Oder ist es schlimmer?
Die Trump-Administration ist chaotisch und verlogen. Ihre verspätete Reaktion auf das Virus ist typisch. Der Narzissmus des Präsidenten muss ständig gefüttert werden. Am Anfang hat er das Virus einfach weg gewünscht. Dann hat er gesagt, es sei alles „unter Kontrolle“. Später brandmarkte er das Virus als „Ente“ seiner politischen Gegner, dann als fremdes oder chinesisches Virus – angepasst an seine tollwütige Fremdenfeindlichkeit. In letzter Zeit gibt sich Trump als Kriegs-Präsident, der bei seinen täglichen Pressekonferenzen gleichzeitig prahlt und immer wieder ausweicht. Noch deprimierender als diese vorhersehbaren Machenschaften sind aber die Millionen von Menschen, die ihn nach wie vor unterstützen – komme, was wolle.
Welche Wirkung wird die Krise in den USA letztlich haben?
Ich bin keine Wahrsagerin. Krisen tragen immer die Möglichkeit des Wandels in sich. Wie sehr die USA oder die Welt insgesamt nach der Krise eine andere sein wird, das weiß kein Mensch. Es ist möglich, dass Pandemien in einer Welt abnehmender Biodiversität wahrscheinlicher werden. Doch egal, ob das tatsächlich der Fall ist oder nicht: Wir haben die Ökosysteme der Erde so stark beschädigt, dass ein Notstand entsteht, den wir auch so behandeln sollten. In den Medien gibt es jetzt immer die Geschichte von der unverständlichen Pandemie. Doch ich bin erstaunt über die historische Amnesie, die während einer Krise um sich greift.
Wie meinen Sie das?
Der 11. September 2001 war eine menschliche Katastrophe, die ich niemals vergessen werde. Damals veröffentlichten die Medien zahllose naive und absurde Artikel darüber, wie unvorstellbar das alles gewesen sei, wie alle Ironie an dem Tag angeblich ihr Ende gefunden habe, wie alles für immer anders geworden sei. Ich habe mich damals über die Presse geärgert. Und ich ärgere mich heute wieder – nicht weil ich nicht auch denken würde, dass die Konsequenzen der Pandemie gewaltig sein werden, aber weil ich lange genug auf der Welt bin, um mitzuerleben, wie schnell Menschen großspurige Behauptungen vergessen, die sie in der Hitze des Gefechts gemacht haben.
Wie wird die Krise enden – in New York, in den USA, im Rest der Welt?
Das weiß ich nicht. Aber sie wird enden; da habe ich gewisse Hoffnungen. Ich hoffe, Trumps stümperhafter Umgang mit der Pandemie wird helfen, ihn bei der Präsidentschaftswahl zu schlagen.
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Ich hoffe, die Pandemie wird hell erleuchten, wie verzweifelt abhängig wir voneinander sind, wirtschaftlich und emotional. Ich hoffe, die Krise wird uns zeigen, dass wir soziale Tiere sind, die den Lebensraum dieser Welt teilen. Denn dieser Lebensraum scheint jährlich immer kleiner zu werden.
Registrieren Sie, wie Deutschland mit der Krise umgeht – und wenn ja, wie wirkt das auf Sie?
Deutschland scheint vernünftiger durch die Pandemie zu steuern als die USA. Aber das überrascht mich nicht wirklich. Die deutsche Regierung steht da auch weniger unter Verdacht. Es gibt ein nationales Gesundheitswesen. Und es gibt keine weitgehende Verleugnung der Fakten. Angela Merkels ruhige Ermahnung der Deutschen, das Virus ernst zu nehmen, kontrastiert scharf mit unserem Verrückten, der den Amerikanern erzählt, dass das Virus irgendwann einfach verschwinden werde, und der unterschiedliche Botschaften aussandte, gemischt mit Lügen, von dem Moment an, als das Virus am Horizont auftauchte.