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Armin Laschet in der Corona-Krise„Sein politisches Überleben steht auf dem Spiel“

Lesezeit 8 Minuten
Armin Laschet dpa

In der Corona-Krise gab Armin Laschet den Antreiber für schrittweise Öffnungen.

  1. In der Corona-Krise gibt Armin Laschet den Antreiber für schrittweise Öffnungen.
  2. Doch es wird immer mehr Kritik an ihm laut. „Wenn sich der Öffnungskurs als falsch herausstellt, steht Laschets politisches Überleben auf dem Spiel“, sagt Politik-Experte Martin Florack.
  3. Hat Laschet mit seinem Handeln recht? Und hilft es ihm im Kampf um den CDU-Vorsitz und die Kanzlerkandidatur? Eine Analyse.

Köln – Armin Laschet steht am Rednerpult, und man merkt, er will diesen Auftritt energisch durchziehen. Mal wieder. Obwohl in Berlin die Pressekonferenz mit Angela Merkel über die Ergebnisse der Bund-Länder-Schaltkonferenz zur Corona-Krise noch gar nicht beendet ist, beginnt der Ministerpräsident in Düsseldorf pünktlich um 18 Uhr sein Statement. In NRW sei die Reproduktionsrate des Coronavirus auf 0,448 gesunken, verkündet Laschet stolz. Das sei der zweitbeste Wert im Ländervergleich. „Es besteht eine gute Chance, die Infektionsdynamik zu durchbrechen“, sagt der CDU-Politiker.

Im Kanzleramt ist die Lage kurz zuvor noch deutlich zurückhaltender bewertet worden. Deswegen ist es Laschet jetzt wichtig, seine eigene Botschaft zu setzen. Er pocht darauf, dass in der nächsten Spitzenrunde am 6. Mai endlich Entscheidungen zur Öffnung der Kitas und der Gaststätten getroffen werden müssten. Trotz zunehmender Misstöne in den vergangenen Tagen bleibt Laschet in seiner Rolle. Er gibt weiter den Antreiber.

Armin Laschets Wandel in der Corona-Krise

Seit bald zwei Monaten ist der Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Bundeslandes vor allem als Corona-Krisenmanager gefragt. Nachdem er in den ersten Wochen der Pandemie zögerlich gewirkt hatte – insbesondere im Vergleich zu seinem unionsinternen Gegenspieler, dem bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) – ist Laschet nun zum größten Verfechter schrittweiser Lockerungen geworden. Ihn als „Exit-Eiferer“ zu bezeichnen, ist dennoch verfehlt. Laschet geht es um einen sukzessiven, tastenden Weg zurück aus dem Lockdown. Bundesweit wird Laschet aber als Öffnungsapostel wahrgenommen.

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Daher stellen sich jetzt zwei Fragen zu seinem Kurs. Die erste und wichtigste: Hat er Recht? Sollte diese Frage jetzt oder in einigen Monaten mit Ja beantwortet werden, so lautet die zweite: Bringt ihn sein Agieren dem Ziel näher, CDU-Parteichef und womöglich auch Kanzlerkandidat der Union zu werden?

Angela Merkels Kritik an Armin Laschet

Krisenpolitik ist immer auch Machtpolitik. Das lässt sich an Laschets derzeitigem Agieren wunderbar beobachten. Lieferte er sich zunächst Scharmützel mit Söder als potenziellem Konkurrenten in der K-Frage, so rückte er in den Wochen danach von seiner bislang stärksten Verbündeten, Angela Merkel, ab – auch, um selbst an Statur zu gewinnen.

Die Kanzlerin steht Laschets Lockerungsübungen skeptisch gegenüber. Ihre Angst ist es, das System zu schnell wieder hochzufahren, um dann einzelne Schritte wieder zurücknehmen zu müssen. Das sähe in den Augen der Kanzlerin dilettantisch aus, und im schlimmsten Fall könnte es eine zweite, noch heftigere Infektionswelle geben. Mit ihrer Kritik an „Öffnungsdiskussionsorgien“ meinte Merkel vor allem den Landeschef aus Nordrhein-Westfalen.

„Laschets politisches Überleben steht auf dem Spiel“

Laschet hatte schon Anfang April in einem Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ die Notwendigkeit zur Rückkehr in eine „verantwortungsvolle Realität“ angemahnt (lesen Sie hier mehr). Politische Handlungsempfehlungen dafür leitet er auch aus einem Gutachten des Bonner Virologen Hendrik Streeck zur Situation im Corona-Brennpunkt Heinsberg ab. Die Zwischenergebnisse legten nahe, dass bei strikter Befolgung von Hygieneregeln Lockerungen der Corona-Auflagen möglich seien. Kaum war die Expertise veröffentlicht, zog die Fachwelt deren wissenschaftliche Methode in Zweifel – ein herber Rückschlag für Laschet.

Für weiteren Ärger sorgte die Tatsache, dass die Heinsberg-Studie von der PR-Agentur „Storymachine“ begleitet wird, die unter anderem dem Eventmanager Michael Mronz gehört. Der Initiator der NRW-Olympia-Bewerbung ist ein Freund von Laschet. Die Opposition stellt indirekt den Vorwurf der Vetternwirtschaft in den Raum.

Dennoch wackelt Laschet nicht – in dem Wissen, dass die Richtungsentscheidung, die er getroffen hat, durchaus ein hohes Risiko birgt. „Wenn sich der Öffnungskurs als falsch herausstellt, steht Laschets politisches Überleben auf dem Spiel“, sagt Martin Florack, Dozent an der „NRW School of Governance“ der Uni Duisburg-Essen.

Auch Oskar Niedermayer, Politikprofessor an der Freien Universität Berlin, hält Laschets Kurs in der Corona-Krise für riskant. Immer weitere Lockerungen zu fordern, obwohl noch lange nicht klar sei, wie sich die bisherigen auf die Zahl der Infektionen und Toten auswirken werden, das sei „in hohem Maße fahrlässig“, warnt Niedermayer.

Corona-Krise: Das Dilemma der Politik

Die Politik steckt in der Corona-Krise in einem speziellen Dilemma. Sie soll heute Entscheidungen treffen, ohne zu wissen, wie sich diese in zwei Wochen konkret auswirken. Der Druck ist enorm. Bislang haben die Menschen weitgehend diszipliniert ertragen, was ihnen abverlangt wurde. Allzu lange aber lässt sich in einer demokratischen Gesellschaft, die individuelle Freiheiten schätzt, ein solcher Zustand nicht aufrecht erhalten.

Davon ist auch Laschet zutiefst überzeugt. Er glaubt, dass die Leute einen Ausnahmezustand besser verkraften, wenn man ihnen eine Perspektive gibt und Entscheidungskriterien öffentlich diskutiert. Aus seiner Sicht muss ständig abgewogen werden. Es geht dabei um die Zahl der Toten und Infizierten genauso wie um die Zahl der künftigen Arbeitslosen. Laschet führt ein großes Industrieland, in dem bereits mehr als 100.000 Betriebe Kurzarbeit angemeldet haben. Da muss er manches anders sehen als beispielsweise jemand in Bayern.

Die NRW-Landesregierung muss viele Brandherde löschen

Dennoch hat Laschets schwarz-gelbe Regierung derzeit alle Hände voll zu tun, um die Brandherde zu löschen, die durch den Lockerungskurs entfacht worden sind. Mit der schnellen Öffnung der Schulen hat die Regierung viele Lehrer, Schüler und Eltern gegen sich aufgebracht. „Statt vernünftig zu planen und den Infektionsschutz sicherzustellen, weist Laschet die Verantwortung für die teilweise unhaltbaren Zustände den Schulen zu. Das geht aus meiner Sicht gar nicht“, sagt Maike Finnern, Vorsitzende der Bildungsgewerkschaft GWE in NRW. Zu Beginn der Krise sei es Laschet gelungen, gemeinsam mit der Opposition nachvollziehbare Entscheidungen zu treffen. „Leider hat sich das komplett geändert“, bemängelt auch Felix Banaszak, Landeschef der NRW-Grünen.

Beim Thema Kitas weht der Gegenwind aus einer anderen Richtung. Dort gehen die Öffnungen den Eltern nicht schnell genug. Während Möbelhäuser und Boutiquen ihre Pforten öffnen dürfen, bleiben die Kindertagesstätten geschlossen. Viele Väter und Mütter fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. „Der gesetzliche Anspruch auf Bildung und Persönlichkeitsförderung für die schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft scheint den wirtschaftlichen Interessen untergeordnet zu sein“, schimpft Daniela Heimann vom Landeselternbeirat der Kindertageseinrichtungen in NRW.

Auch die Kommunen sehen das Corona-Management der Landesregierung kritisch. „Aus Sicht der Städte und Gemeinden hätten wir uns gewünscht, dass das Land uns früher einbezogen hätte“, sagt Roland Schäfer, Präsident des Städte- und Gemeindebunds NRW und Bürgermeister von Bergkamen. Anders als von den Kommunen empfohlen, sprach sich die Landesregierung erst spät für die Einführung einer Maskenpflicht aus. Die 180-Grad-Wende wird von der Opposition genüsslich aufgespießt, ebenso wie die Pannen bei der Verkündung des neuen Epidemiegesetzes. „Armin Laschets Krisenmanagement ist widersprüchlich, extrem sprunghaft und wirkt unkoordiniert“, sagt SPD-Landeschef Sebastian Hartmann. Statt sich um die Sorgen der Bürger zu kümmern, tingele der Ministerpräsident durch die Talkshows und sorge „für PR-Klamauk“.

Armin Laschets Problem mit der Geduld

Damit ist auch Laschets verunglückter Auftritt in der ARD-Talkshow „Anne Will“ am vorigen Sonntag gemeint. Auf viele Zuschauer wirkte er wenig souverän. Kritiker bemängelten seine unangemessene Virologen-Schelte und zu viel Eigenlob. In den sozialen Netzwerken wurde Laschet auf die Schippe genommen: Auf Twitter führen Scherzbolde unter dem Hashtag „#Laschetfordert“ eine fiktive Liste absurder Corona-Vorschläge. „Der Ministerpräsident erschien zuletzt nicht als der krisenfeste Anführer“, analysiert der Kölner Politologe Thomas Jäger.

In seiner Karriere hat Armin Laschet viele Höhen und Tiefen erlebt. Ungeduld war stets eine Triebfeder seines Handelns. Kritiker werfen ihm vor, in der Corona-Krise zu impulsiv vorzugehen. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach etwa mahnt mehr Besonnenheit an: „Das ungeduldige Drängeln auf mehr Lockerungen und die abwertende Haltung gegenüber unseren führenden Virologen, bis auf Herrn Streeck, war nicht hilfreich für den Versuch, in dieser unsicheren Lage die dringend notwendige Disziplin der Bevölkerung zu mobilisieren.“

Das kann man so sehen. Mindestens so gut kann man Laschet aber auch als den Politiker beschreiben, der in der Krise authentisch die Gegensätze austariert und die Debatte moderiert. „Ich finde es wichtig, dass es mit Armin Laschet eine vernehmbare politische Stimme gibt, die eine vorsichtige Öffnung des Landes zur Diskussion stellt“, sagt Volker Kronenberg, Politikprofessor an der Uni Bonn.

Noch ist es für eine politische Bilanz zu früh

In dieser Sicht hat die Debatte über Lockerungen nichts „Orgienhaftes“ an sich, wie sich die Kanzlerin mokiert, sondern ist ein demokratischer Beitrag zur Willensbildung aller. „Gerade weil es wohl noch sehr lange keinen Impfstoff, vielleicht auch keine Therapie geben wird, ist es doch nur verantwortlich, darüber nachzudenken, wie ein sicherer Weg in eine »neue Normalität« funktionieren kann“, sagt Kronenberg. Für diese notwendige Debatte, die gerade in allen deutschen Wohnzimmern geführt werde, stehe Armin Laschet. Und das ungeschriebene Gesetz der Politik gelte auch hier: „Der, der sich in Zeiten der Krise bewährt, hat sich damit für höhere Aufgaben qualifiziert.“

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Der Duisburger Politologe Martin Florack sieht Laschets Rolle ebenfalls positiv: „Politik hat die Aufgabe, gesellschaftliche Debatten anzustoßen. Insofern ist es verdienstvoll gewesen, dass Laschet die Öffnungsdebatte begonnen hat.“ Auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) habe mit seinen Äußerungen über den Schutz des Lebens einen wichtigen Diskussionsbeitrag geliefert. „Demokratie lebt vom kritischen Diskurs“, sagt Florack und fügt hinzu: „Wer hier die richtigen Impulse setzt, wird möglicherweise große Teile der Bevölkerung von seinem Führungsanspruch überzeugen können.“

Noch ist es für eine politische Bilanz zu früh. Noch ist nicht absehbar, wie die Corona-Krise Laschets politische Biografie des Aacheners auf mittlere Frist beeinflusst. Von Laschets weiteren Mitbewerbern um den CDU-Vorsitz, Friedrich Merz und Norbert Röttgen, ist derzeit vergleichsweise wenig zu hören. Anders als seine beiden Gegenkandidaten hat Laschet den Vorteil, am politischen Schalthebel zu sitzen. „Krisenzeiten sind die Stunde der Exekutive, und dies nutzt er aus“, sagt Politikprofessor Jäger. Derzeit werde Corona vor allem als medizinisches Problem wahrgenommen. Im Laufe der Zeit würden aber wohl die wirtschaftlichen Folgen in den Vordergrund treten. Und dies könne für Laschet zum Vorteil werden.