Die Corona-Pandemie verändert unser Leben nachhaltig. Das bietet aber auch die Chance, bisherige Gewohnheiten zu hinterfragen.
Jetzt haben wir die Möglichkeit auf einen Neustart. Wir zeigen in einer Serie, wie es gehen könnte.
In diesem Teil zeigen wir, wie die Kölner Museen ihre Chance in der Digitalisierung suchen.
Mit der digitalen Offensive verbindet sich die Hoffnung auf eine nachhaltige Demokratiserung der Kunst. Aber kann das funktionieren?
Köln – Die Millionen-Euro-Frage lautet diese Woche: Wie nennt man jemanden, der mehr Sachen hortet, als er brauchen, geschweige denn unterbringen kann und diese so eifersüchtig hütet wie ein Drache seinen Schatz? a) Sammler, b) Raffzahn, c) Messie, d) Museumsdirektor. Alle Antworten sich richtig, aber nur der Museumsdirektor wird für seinen Hang zum Asozialen mit einem steuerfinanzierten Gehalt bedacht.
Im Grunde sind Museen mehr Grabkammern als Schaufenster der Geschichte, deren penible Aufgeräumtheit nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass der Shutdown für den größten Teil ihrer Sammlungen der Normalfall ist. Allein die Stadt Köln besitzt mehrere Hunderttausend Kunstwerke, Kultobjekte und Alltagsgegenstände, von denen die allermeisten buchstäblich ein Schattendasein in Depots und Archiven fristen. Insofern ist die digitale Offensive, mit der die Kölner Museen der Coronakrise und der eigenen Schließung begegnen, nichts Neues, denn die Stadt arbeitet seit langem daran, die verborgenen Schätze in den eigenen Beständen mit Hilfe digitaler Technik ans Licht zu bringen. Aber eine Verschiebung der Gewichte zeigt sich darin allemal.
Am deutlichsten sieht man dies dem Internetauftritt des Museum Ludwig an. Hier dominieren jetzt multimediale Inhalte wie die Videoreihe zur „Mapping the Collection“-Ausstellung, gleich darunter stehen die Links zu den sozialen Kanälen des Museums mit Hauptwerken von Roy Lichtenstein oder Gerhard Richter als Clickbait. Bei Instagram konnte das Haus ein sprunghaft gestiegenes Interesse registrieren, die Zahl der Ludwig-Abonnenten vervielfachte sich binnen weniger Wochen auf über 57000. Allerdings lässt sich kaum übersehen, dass die digitalen Einblicke in die Sammlung eher eine Verlängerung der analogen Schausäle als eine echte Alternative sind. Für die Museen geht es zuallererst darum, den Kontakt mit dem Publikum zu halten; parallele Universen werden vielleicht später aufgeschlossen.
Digitalisierung als Schlüssel
Trotzdem spielt die Digitalisierung eine Schlüsselrolle im neuen Selbstverständnis der Museen. Für deren Direktoren ist sie im großen Monopoly-Spiel der kommunalen Haushalte die „Du kommst aus dem Gefängnis frei“-Karte, ein schlagendes Argument, um dem selbst in Kunstmetropolen weiterhin akuten Rechtfertigungsdruck zu entgehen. Letztlich gelten Museen (wie alle Institutionen der Hochkultur) nicht nur vielen Kämmerern, sondern auch den meisten Steuerzahlern als teure, elitäre und verstaubte Überbleibsel einer Zeit, in der Bildungsbürger zum demokratischen Adel zählten und es in den Städten größere finanzielle Spielräume gab. Mit der Digitalisierung verbindet sich dagegen die Hoffnung auf eine Demokratisierung der Museen: in Form digitaler Galerien, aber vor allem mit der Erschließung neuer Besucherkreise.
Das kulturelle Erbe Kölns
Bei der digitalen Eroberung der eigenen Sammlungen sind die städtischen Museen schon weit gekommen. Auf der Internetseite „Kulturelles Erbe Köln“ stehen Hunderttausende Aufnahmen online, allerdings spricht die Datenbank eher die Bedürfnisse geduldiger Wissenschaftler als die eines potenziellen Museumsbesuchers an. Auf dem Feld des digitalen Marketings hinken die Kölner Museen derweil den eigenen Ansprüchen hinterher. „Unsere finanziellen Mittel für die digitale Kommunikation könnten noch ausgebaut werden“, sagt etwa Marcus Dekiert, Direktor des Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud.
In der Coronakrise zeigt sich, wie weit die Kölner Museen auf dem Weg zu digitalen Publikumslieblingen schon gekommen sind. So bietet das Museum Schnütgen für mittelalterliche Kunst Führungen in Form 90-minütiger (für Erwachsene) und 45-minütiger (für Kinder) Hörspiele an, nach Themen, Epochen oder Materialien geordnete Bildergalerien gehören ohnehin zum Standard der Vermittlungsarbeit. Auch das Museum für Angewandte Kunst lockt das Publikum mit Podcasts auf seine Seite, bei den Videos zeigt sich schnell, wo die Unterschiede zwischen professionell erstellten und improvisierten Formaten liegen: Mit dem aufwendig produzierten Dokumentarfilm über die Kölner Designgruppe Pentagon setzt das Haus einen Maßstab, den der Rundgang durch die Ausstellung des Lichtkünstlers Hans Kotter schwerlich einhalten kann.
Gilt bei derzeit geschlossenen Sonderausstellungen das Motto „Retten, was zu retten ist“ (etwa durch eine volkstümliche Kuratoren-Videoführung durch die Bläck-Fööss-Schau im Stadtmuseum), nutzen die Museen die Zwangspause ansonsten, um einzelne Sammlungsstücke hervorzuheben oder Blicke hinter die Kulissen zu gewähren. Mitarbeiter des ethnologischen Rautenstrauch-Joest-Museums stellen ihre Lieblingsobjekte vor, das Ludwig veranstaltet Quizze und das Wallraf punktet mit kunsthistorischen Anekdoten zu Alten Meistern. Dass all dies eher in Häppchenform geschieht, liegt in der Natur sozialer Netzwerke wie Facebook oder Instagram.
Multimedia-Pakete vom NS-DOK
Das Gegenteil von Häppchen bietet das Kölner NS-Dokumentationszentrum. Es stellt die Rechercheergebnisse seiner Sonderausstellungen als Multimedia-Pakete online, allein mit den historischen Dokumenten und Zeitzeugen-Berichten der aktuellen „Kriegsenden in Köln“-Schau ließe sich ein eine schulische Unterrichtswoche vorbereiten. Solche öffentlichen Materialiensammlungen gehören freilich zum besonderen politischen Bildungsauftrag des Hauses – die Auratisierung des einzelnen Objekts, von der etwa die Kunstmuseen leben, wäre hier fehl am Platz.
Gerade die unterschiedliche Ausrichtung der städtischen Museen macht es schwierig, gemeinsame digitale Strategien zu entwickeln. So hat das Museum für Ostasiatische Kunst andere Zielgruppen als das Römisch-Germanische Museum, und das Wallraf tut sich mit Rubens und Rembrandt schwerer, junge Menschen zu begeistern, als das Museum Ludwig mit seiner Gegenwartskunst. Zwar spricht einiges dafür, dass auch bei den Digital Natives mit den Jahren das Verständnis für die Alten Meister wächst; aber wer will schon blindlings darauf vertrauen? Die sozialen Kanäle sind in dieser Hinsicht eher Brücken zwischen Generationen und Jahrhunderten.
Letztlich liegt die Kunst aber für alle Kölner Museen darin, mit digitalen Kopien die Lust am analogen Werk zu wecken. „Das Original ist das Alleinstellungsmerkmal unseres Hauses“, sagt Dekiert, „darüber definieren sich die Museen. Wir hören auch von unseren Besuchern: die echte Museumserfahrung bekommen wir nur vor Ort.“ So läuft es gerade in naher Zukunft auf eine prekäre Arbeitsteilung zwischen digitalen Kanälen und analogen Schausälen hinaus, schon weil in letztere auch nach einer Wiedereröffnung deutlich weniger Bürger eingelassen werden können. „Für unsere Besucher“, so Dekiert, „wird es zunächst ein ganz klassisches Museumserlebnis geben. Ohne Führungen, aber mit der Möglichkeit der unmittelbaren Begegnung mit dem einzelnen originalen Werk.“