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Interview zu Kölner Künstlern„Freischaffende haben jetzt alle Säulen verloren”

Lesezeit 4 Minuten

Orchesterkonzert vor leeren Rängen

  1. Gerald Mertens – der Vorsitzende des Kuratoriums der Deutschen Orchester-Stiftung – spricht im Interview über die Gefahren des stillgelegten Kulturbetriebs.
  2. Außerdem skizziert er die Folgen der Krise für freischaffende Künstler.

Herr Mertens, was bedeutet die aktuelle Lage im Hinblick auf freischaffende Künstler?

Da letzte Woche nicht nur Aufführungen, sondern auch Proben und Musikunterricht weitestgehend eingestellt wurden, haben die Freischaffenden jetzt alle Säulen verloren, mit denen sie sich ihren Lebensunterhalt sichern können. Das durchschnittliche Einkommen dieser Berufsgruppe liegt immerhin nur bei ungefähr 1200 Euro im Monat. Das ist ein Betrag, von dem man gerade einmal leben, aber kaum Rücklagen bilden kann. Wenn der also über Monate hinweg ausfällt, sind diese Menschen unmittelbar in ihrer Existenz bedroht. Daher können auch die vom Bundesfinanzministerium bislang beschlossenen unbürokratischen Kredite nicht helfen, denn die müssen ja zurückgezahlt werden.

Wie müssten die Maßnahmen zur Unterstützung von Künstlern aussehen?

Alles zum Thema Henriette Reker

Wir hoffen natürlich, dass der vom Deutschen Kulturrat geforderte Nothilfefonds für den Kulturbereich auf den Weg gebracht wird. Aber wir wissen auch, dass die Einigung zwischen Bund und Ländern eine Zeit in Anspruch nehmen wird. Außerdem ist noch nicht klar, wie ein solcher Fonds überhaupt aussehen soll. Ins Gespräch gebracht wurde jedenfalls unter anderem eine Art vorübergehendes bedingungsloses Grundeinkommen. Aber schon allein bei den 180.000 kreativen Freischaffenden in Deutschland, zu denen ebenfalls bildende Künstler und Journalisten zählen, würden die Kosten in Milliardenhöhe liegen. Deswegen glaube ich nicht, dass dieser Vorschlag umgesetzt wird.

Was denken Sie, wie Bund und Länder reagieren werden?

Wahrscheinlich ist, dass Gelder aus anderen Töpfen fließen – wie das geplante Hilfspaket für alle Selbstständigen von Olaf Scholz –, aber wann und über welche Kanäle das genau passieren soll, das ist bislang noch unklar. Wir haben vorgeschlagen, die Unterstützung für die Künstler direkt auch an die Künstlersozialkasse anzuknüpfen, denn die haben ja bereits die Daten aller professionellen Freischaffenden in dem Bereich. Dadurch ließe sich diese finanzielle Lücke wesentlich schneller schließen. Und das ist notwendig, sonst bleibt den Betroffenen nur noch die Möglichkeit, zu den momentan völlig überlasteten Jobcentern und Sozialämtern zu gehen und auf eine zeitige Bearbeitung ihrer Anträge zu hoffen. Momentan wird bereits viel mit Streaming experimentiert, um den Kunstbetrieb weiter aufrechtzuerhalten.

Hilfe der Stadt für freie Kulturschaffende

In einem Brief wandte sich Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker an die Kulturszene. Darin heißt es: „In dieser für uns alle neuen und für Sie als Kulturveranstaltende existenzbedrohenden Situation sage ich Ihnen meine volle Unterstützung zu. Dazu gehört, dass wir städtische Zuschüsse für Veranstaltungen, die bedingt durch die Corona-Krise abgesagt werden mussten, im Regelfall nicht zurückfordern werden. Das Kulturamt wird dies anhand der von Ihnen eingereichten Verwendungsnachweise im Einzelfall prüfen. Zudem werden wir bei bereits zugesagten institutionellen Förderungen die Mittel für das 2. und 3. Quartal gleichzeitig auszahlen, um die Liquidität kurzfristig zu sichern. Die genauen Details dieser Unterstützung werden Ihnen noch vom Kulturamt der Stadt Köln mitgeteilt. Zusätzlich suchen wir nach Mitteln und Wegen, die bereits bestehenden Liquiditätshilfen der Kulturverwaltung aufzustocken.“

Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, begrüßt, dass ein spezielles Hilfspaket für Solo-Selbstständige und kleine Unternehmen geschaffen werden soll. Auch der Kulturrat NRW sieht die Hilfspakete positiv. Gerhart Baum als dessen Vorsitzender mahnt, dass es noch an Feinabstimmung zwischen Land und Kommunen fehle und die Hilfe unbürokratisch realisiert werden müsse. (F.O.)

Ist das eine finanzielle Lösung, falls der Shutdown andauert?

Zumindest für klassische Musik sehe ich das Streaming eher als eine weitere Ausspielform, die aber die Live-Erfahrung eines Konzerts nicht ersetzen kann. Ich denke schon, dass man mit Streaming generell Geld verdienen kann, aber eben auch nur, wenn man in den sozialen Netzwerken schon eine feste Größe ist und eine hohe Anzahl an Followern hat. Den weniger bekannten Berufsmusikern wird diese Option auf Kurz oder Lang daher nicht viel nutzen. Wie reagieren Sie als Stiftung auf die jetzige Notlage der Freischaffenden? Wir versuchen jetzt in dieser Übergangszeit – bis staatliche Programme greifen – ein bisschen Abhilfe zu schaffen. Aber das ist eine Mammutaufgabe, schließlich sind jetzt innerhalb von drei Tagen bereits fast 1000 Hilfegesuche von Musikern und Musikerinnen auf unserer Website eingegangen, denen jede Verdienstmöglichkeit weggebrochen ist. In derselben Zeit haben wir zum Vergleich 75 000 Euro Spendengelder einwerben können; wer rechnen kann, wird merken, dass das vorne und hinten noch nicht reicht.

Heißt das, Sie sammeln momentan private Spenden für die Musiker?

Tatsächlich sind wir zum jetzigen Zeitpunkt auf Beträge jeder Höhe angewiesen, ja. Gleichzeitig versuchen wir aber natürlich auch, größere Summen zu akquirieren. Die Mitglieder des SWR-Sinfonieorchesters haben beispielsweise gerade erst 20 000 Euro gespendet. Das macht hoffentlich Schule, immerhin wollen wir so schnell wie möglich die 100 000 Euro-Grenze knacken, um nächste Woche schon einmal je 150 bis 200 Euro an die Betroffenen auszahlen zu können. Uns ist klar, dass wir die benötigte Hilfe des Staates nicht ersetzen werden, aber wir wollen wenigstens einen kleinen Beitrag leisten und ein Zeichen der Solidarität setzen.

www.orchesterstiftung.de/nothilfefonds/#MusikerNothilfe