Köln. – „Hier spricht die Stimme der Energie“, klingt es robotisch aus dem Ätherrauschen. „Ich bin ein riesiger elektrischer Generator. Ich liefere ihnen Licht und Kraft.“ Der menschliche Ursprung des Automaten-Organs hieß Florian Schneider. Er war der Experte für künstliche Sprachsynthese der Düsseldorfer Elektronikvisionäre, „Robovox“ nannte er seinen patentierten Vocoder-Sound. Schneider war der Mann, den der Kraftwerk-Mitgründer und berüchtigte Klangperfektionist Ralf Hütter selbst einen „Klangperfektionisten“ nannte.
Er war die möglichst menschenferne Stimme von Kraftwerk. Und zugleich der größte Schweiger in einer schweigsamen Band. Die wenigen Interviews überließ er Hütter und wenn er sich doch mal öffentlich äußerte, geschah dies mit äußerster Lakonie, wie der oft gezeigter Clip eines Interview-Versuchs am Rande eines brasilianischen Festivals beweist. „Welche Songs werden sie heute Abend spielen“, fragt die unerschütterlich gut gelaunte Moderatorin. „Alle“, antwortet Schneider.
Vater baute Flughafen Köln/Bonn
Geboren wurde Schneider im Nachkriegsjahr 1947 als Sohn von Evamaria und Paul Schneider-Esleben, letzterer ein prominenter Architekt der jungen deutschen Republik, dem diese unter anderem die massiven und zugleich eleganten Betonterrassen des Terminal 1 des Flughafens Köln-Bonn zu verdanken hat.
Der Sohn studierte zehn Jahre lang an der Düsseldorfer Robert-Schumann-Hochschule die Querflöte, später auch noch Musikwissenschaft in Köln. Der Musiker und Künstler Eberhard Kranemann erinnert sich in Rüdiger Eschs Buch „Electri-City“an einen jungen Burschen, der sich auf Konzerten seiner Antimusik-Formation Piss Off in den dunklen Ecken herumdrückte. Schließlich stieg der „friedlich-nette Sohn“, so ein anderer Zeitzeuge, in die wilde Band mit ein.
Waren die Eltern verreist, lud er die Düsseldorfer Szene zu ausschweifenden Partys in deren Villa ein. Der väterliche Sektkeller diente als Katalysator zu einer Musik, wie sie die Welt noch nicht gehört hatte.
Elektrische Querflöte
Zusammen mit seinem Studienfreund Ralf Hütter gründete Florian Schneider 1968 die „Organisation zur Verwirklichung gemeinsamer Musikkonzepte“, Florian Schneider hatte sich inzwischen Synthesizer und Echo-Geräte besorgt, seine Querflöte verstärkte er elektrisch.
Die schalkhafte Business-Sprache hatten sie als „Organisation“ schon drauf, aber noch traten sie vor allem im Kunstkontext auf, in Galerien, in denen auch Happenings der Fluxus-Gruppe stattfanden oder die Künstler der Düsseldorfer Zero-Gruppe ausstellten. Und die Musik stieß zwar durchaus neue Möglichkeitsräume auf, doch fehlte es ihr an Form. „Wir hatten keine Strategie“, zitiert der Kraftwerk-Biograf Pascal Bussy Ralf Hütter. „Wir ließen einfach unsere Erziehung, unseren klassischen Hintergrund hinter uns.“
Im Düsseldorfer Bahnhofsviertel
Für ihr nächstes Projekt richteten sich Schneider und Hütter ihr berühmtes Kling-Klang-Studio in der Mintrop-Straße im Düsseldorfer Bahnhofsviertel ein, der neue Namen sollte an ihre industriell geprägte Heimat zwischen Rhein und Ruhr erinnern, und vor allem – im Gegensatz zu vielen Beat- und Krautrock-Bands – die zweifelhafte Herkunft aus dem hüftsteifen und Nazi-kontaminierten Deutschland nicht verleugnen. Ganz im Gegenteil. Prompt wurde ihre Single „Ruckzuck“ zur Titelmelodie des ZDF-Magazins „Kennzeichen D“, es war eben eine Zeit, in der sich künstlerische Avantgarde und öffentlich-rechtliches Fernsehen noch verstanden.
Später schlossen Kraftwerk das drei Alben umfassende elektro-akustische Frühwerk aus ihrem offiziellen Kanon aus. „Es waren einfach keine wichtigen Werke“, begründete Schneider gewohnt knapp. Mit „Autobahn“, der vierten Kraftwerk-Platte aus dem Jahr 1974, entdeckten Schneider und Hütter dann die Pop-Kompatibilität ihrer repetitiven Kompositionen, der Elektropop war geboren. Eine Großtat, zumal wenn man bedenkt, dass es heute kaum nicht elektronischen Pop gibt.
David Bowie abgesagt
Die vier folgenden Alben – „Radio-Aktivität“, „Trans Europa Express“, „Die Mensch-Maschine“ und „Computerwelt“ sind Meisterwerke, die die Geschichte der populären wie der Musik überhaupt neu geschrieben haben. Es gibt in dieser Zeit keine einflussreichere und weiter vorausschauende Band als Kraftwerk. David Bowie und Brian Eno widmeten Florian Schneider auf Bowies „»Heroes«“-Album ein Instrumental „V-2 Schneider“. Der fühlte sich geschmeichelt, doch Bowies Anfrage für eine Zusammenarbeit hatten Hütter und er unbeantwortet gelassen. Vor allem Schneider stand, bei aller Liebe zum Pop, dem Popgeschäft höchst kritisch gegenüber. Vor Tourneen verschwand er regelmäßig für einige Tage, Ende der Nuller Jahre spazierte er dann während einer Welttournee einfach davon, er wollte lieber nicht, ein Bartleby des Pop.
Am Mittwochabend übermittelte Ralf Hütter die traurige Nachricht, „dass sein Freund und jahrzehntelanger Weggefährte Florian Schneider leider nach kurzer Krebserkrankung wenige Tage nach seinem 73. Geburtstag verstorben ist“. Die Stimme ist verstummt, die Energie bleibt erhalten.