Andrés Orozco-Estrada tritt zur kommenden Saison den Posten des Generalmusikdirektors der Stadt Köln an und gab nun Auskunft über die Agenda seiner Einstands-Spielzeit.
Erste Spielzeit des neuen GMD„Freude, Energie und Neugier“

Der neue Kölner Generalmusikdirektor (GMD) Andrés Orozco-Estrada.
Copyright: Martina Goyert
Exakt um elf Uhr heulten am Donnerstag auch im Belgischen Haus die Handys - in NRW und anderen Bundesländern war „Warntag“. Das passte, wie humorig angemerkt wurde, nicht besonders gut zur Pressekonferenz, die just zur selben Zeit beginnen sollte. Denn vor Andrés Orozco-Estrada, muss man nicht warnen. Im Gegenteil: Der gebürtige Kolumbianer, der zur kommenden Saison den Posten des Generalmusikdirektors der Stadt Köln antritt, bietet nach Auffassung vieler Kenner gute Gewähr dafür, dass das in den vergangenen Jahren erreichte Spielniveau des Gürzenich-Orchesters in Konzert und Oper künftig gehalten und ausgebaut wird.
„Warum bin ich hier?“, fragte der erkennbar gut gelaunte Neue in Anwesenheit von Kulturdezernent Stefan Charles und Orchester-Direktor Stefan Englert in die Runde – und gab die Antwort gleich selbst: „Es kommt mir darauf an, mit der Musik eine emotionale Verbindung zwischen Stadt und Orchester herzustellen, mit Freude, Energie und Neugier die Menschen zu bewegen.“ Das möge etwas „romantisch“ klingen, „aber KI brauchen wir hier tatsächlich nicht“.
Das Orchester stärker in der Stadt verankern
Das Orchester noch stärker in der Stadt verankern – in diesem Sinn will Orozco-Estrada gleich mit dem Saison-Eröffnungskonzert am 7. September ein Zeichen setzen. Auf dem Programm stehen dann, gesungen vom Bürgerchor, Orffs „Carmina Burana“ auf dem Programm, mit denen man dann auch zum Rheingau-Musikfestival fahren wird. „Eine fabelhafte Idee“ nennt Orozco-Estrada Bürgerchor und -orchester; sie zeige, dass man hier in Köln „Dinge ausprobieren kann“. Das einzig Schlechte an ihr sei, „dass sie nicht von mir stammt“.
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Wo setzt der künftige GMD weitere Akzente? Die Förderung junger Talente liegt ihm sehr am Herzen (dem Orchester übrigens auch). 2025/26 beginnt deshalb eine Kooperation mit der Kronberg Academy, die junge Talente in Konzertprogrammen des Orchesters über fünf Jahre präsentieren wird. Am 29. November dirigiert Orozco-Estrada ein Konzert mit drei jungen Kronberg-Solisten, in dem nacheinander das Violinkonzert von Sibelius, das Bratschenkonzert von William Walton und das erste Cello-Konzert von Schostakowitsch erklingen.
Und sonst? Orozco-Estrada verweist darauf, dass Orchester und Dirigent zunächst einander „noch besser kennenlernen müssen“. Darauf sind auch die von ihm dirigierten Abo-Programme ausgerichtet, wobei die Verbindung von sinfonischem Kernrepertoire und „Rhythmisch-Modernem“ die prinzipielle Leitlinie sei. Vielfalt sei deshalb angesagt – mit dem Ergebnis, dass in einem Konzert immer wieder nicht die üblichen zwei oder drei, sondern auch mal vier Kompositionen zu hören sein werden.
Das Januar-Konzert etwa wartet mit Opernszenen von Wagner und Strauss, einem neuen Werk von Ayanna Witter-Johnson und Strauss´ „Zarathustra“ auf. Solistin ist die Sopranistin Christiane Karg. Das Saison-Schlusskonzert im Juli 2026 schließlich konfrontiert Musik von Silvestre Revueltas, Korngolds Violinkonzert (Maria Dueñas) und eine Ouvertüre von Thomas Adès mit Strawinskys „Sacre“. Nur drei Werke stehen im Mai 2026 zur Aufführung an: ein sechs Jahre altes Stück der Isländerin Anna Thorvaldsdóttir, Saint-Saens´ erstes Cellokonzert (mit Gautier Capucon, sein Bruder Renaud spielt im Märzkonzert das Violinkonzert von Samuel Barber) und Mahlers erste Sinfonie. Und nur zwei im September: Bartóks „Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta“ und Brahms´ zweite Sinfonie. Brahms dirigiert der frischgebackene GMD auch im Benefizkonzert für die KStA-Aktion „Wir helfen“ im März: das „Deutsche Requiem“ mit dem WDR Rundfunkchor und dem NDR Vokalensemble.
Deutsche Spätromantik und Moderne dominieren erkennbar diese Vorhaben, andere Repertoirebereiche sind auffallend unterrepräsentiert, darunter zumal die Wiener Klassik, zu der Orozco-Estrada dank seiner Wiener Sozialisation eigentlich einen privilegierten Zugang hat. Das gilt übrigens generell für das Saisonprogramm, lediglich im Februar-Konzert ist unter der Gürzenich-Debütantin Anja Bihlmaier neben Ligeti und Dvorák (Violinkonzert mit Veronika Eberle) Beethovens zweite Sinfonie zu hören. Auf diesen Einwand reagiert im Belgischen Haus nicht Orozco-Estrada, sondern Englert. Die Klassik komme in der nächsten Saison deshalb weniger dran, weil sie einen Schwerpunkt in der laufenden markiere.
Der Neue hat sich naheliegend bevorzugt um seine eigenen Dinge gekümmert, hinsichtlich der Programmwahl für die „fremddirigierten“ Abo- und Sonderkonzerte war in der Tat der Orchesterdirektor federführend. Beharrlich präsent als Dirigent ist neben Orozco-Estrada der „Artistic Partner“ Sakari Oramo, der ein Konzert mit Werken von Jonathan Harvey, George Benjamin und Strauss sowie eines mit Adès und Sibelius leitet. Darüber hinaus hat das Gürzenich-Orchester eben mit dem Briten Thomas Adès einen „Composer in Residence“, der mit etlichen Werken die ganze Spielzeit über auf der Agenda erscheint. Adès dirigiert auch – in welcher Eigenschaft er im Abo-Konzert des Oktobers zu erleben ist. Dann spielt, zwischen Prokofjew und Sibelius, Kirill Gerstein sein Klavierkonzert von 2018.
Mischung von bewährten Namen und Gürzenich-Newcomern
Am Pult wie bei den Solisten versammeln sich bewährte Namen und Gürzenich-Newcomer. Zu den Dirigier-Debütanten gehören Jonathan Cohen und Maxim Emelyanychev, während Susanna Mälkki, Riccardo Minasi, Elim Chan und Harry Ogg, der frühere Dirigierassistent des Orchesters, zurückkehren. Chan bestreitet das buntgefächerte Silvesterkonzert, Minasi das Neujahrskonzert, diesmal nicht mit Klassik, sondern mit Ravel, Berlioz-Liedern (Solist: Christian Gerhaher) und Rimski-Korsakow.
Klassik weniger, dafür Barock in Gestalt von Johann Sebastian Bach gleich zweimal: nicht nur mit der traditionellen Passion, diesmal der nach Johannes unter Andrea Marcon, sondern auch mit dem Weihnachtsoratorium (sämtliche sechs Kantaten in zwei Konzerten) unter Jonathan Cohen (mit dabei als Kölner „Gewächs“: die Mezzosopranistin Anna Lucia Richter). Mit dem Weihnachtsoratorium setzt das Gürzenich-Orchester ein Zeichen für zivilgesellschaftliches Engagement: Gespielt wird zugunsten von Casa Hogar Deutschland e.V.. Die Organisation setzt sich für die Bildung und Rechte von Mädchen und Frauen in Chocó, Kolumbien, ein. Dass der neue GMD ebenfalls aus Kolumbien kommt, sei allerdings, so wird bedeutet, ein Zufall.
Außermusikalischen Erfordernissen verpflichtet zeigt sich auch das von Simone Menezes dirigierte Programm „Amazônia“, das in der Kombination der eindringlichen Bilder des brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado mit der Musik von Heitor Villa-Lobos und Philip Glass ein Plädoyer für den Schutz des Amazonas-Regenwaldes und seiner indigenen Kulturen erstellt.