AboAbonnieren

„Es war ein aufregender Prozess“Wie das Film Festival Cologne Corona trotzen will

Lesezeit 8 Minuten

Szene aus dem Dokumentarfilm „Spaceship Earth“

  1. Zum 30. Mal findet das Film Festival Cologne, das bis vor vier Jahren Cologne Conference hieß, statt.
  2. Direktorin Martina Richter und Programmchef Johannes Hensen standen vor der schwierigen Aufgabe, in Zeiten der Pandemie ein Pubikumsfestival zu organisieren.
  3. Wie sie das geschafft haben und warum sie überzeugt sind, dass das Film Festival Cologne eine Lücke schließt, erzählen sie in unserem Interview.

Frau Richter, Herr Hensen, vor dem Start der 30. Ausgabe des Film Festivals, die bis vor vier Jahren noch Cologne Conference Blick hieß, wohin geht da der Blick? Zurück oder in die Gegenwart?

Martina Richter: In die Zukunft. „30 Jahre Zukunft“ ist unser Motto, weil wir festgestellt haben, dass wir viele Trends vorhergesehen haben, Menschen eingeladen haben, die dann ein, zwei Jahre später einen Oscar bekommen haben. Das hat uns dazu bewogen, die Vergangenheit mit der Zukunft zusammenzubringen. Denn wir haben immer in die Zukunft geschaut.

An welche Entdeckungen denken Sie da?

Richter: Naja, vor allem an den Serientrend. Damit haben wir 1991 angefangen. Wir haben „Twin Peaks“ und das britische Original von „House of Cards“ gezeigt. Bei uns lief „Breaking Bad“, als es noch keiner kannte. Und auch bei technologischen Trends waren wir führend. Wir haben schon 1994 zwei Tage gemacht zum Thema Plattformen, HBO und Digitalfernsehen.

Serien waren mal das wichtigere Thema, das hat sich aber verschoben in den vergangenen Jahren.

Richter: Ja, Serien sind das neue Kino hieß es mal vor ein paar Jahren. Das ist aber Quatsch. Wir kümmern uns ja nicht nur um Fernsehen, wo wir unsere Wurzeln haben, sondern gucken einfach, was mit dem Bewegtbild an sich ist. Wir haben auch schon früh einen Preis für das beste Web-Programm vergeben. Uns geht es um den Diskurs zum Bewegtbild, deshalb nehmen wir auch alle anderen Formen auf. Und wir wollen über das bloße Zeigen hinaus Überblick und Inspirationen schaffen. Das ist der Kern unserer Veranstaltung.

Vor vier Jahren wurde aus der Cologne Conference das Film Festival Cologne. Ist der Plan durch die Umbenennung aufgegangen?

Johannes Hensen: Ja, der ist zu 100 Prozent aufgegangen. Die Umbenennung war kommunikativ der Schritt zum Publikumsfestival. Es war vorher immer schwierig. Der Begriff Conference hatte etwas Exklusives, da haben sich viele ausgeschlossen gefühlt. Und der Begriff Festival, auch wenn er inflationär benutzt wird, hat Sinn gemacht, weil es das in der Form in Köln vorher nicht gab. Die eher kleinteilige, fragmentierte Szene, die sehr bunt und kreativ ist, ist für eine Großstadt zu wenig. Wir haben da einfach offensiv eine Lücke besetzt und ausgefüllt.

Und das Publikum nimmt das an?

Hensen: Ja, wir freuen uns vor allem sehr, dass wir so viele junge Leute erreichen, wo die Branche sonst oft sagt, man verliere genau die. Dass wir mit einem Festival, das teilweise sehr anspruchsvolle, anstrengende und komplexe Inhalte hat, die jungen Leute ins Kino holen, hält das Ganze sehr lebendig.

Wie ging es denn eigentlich los vor fast 30 Jahren mit dem Festival?

Richter: NRW wollte damals von einem Bergbauland zu einem Medienland werden. Im Zuge dessen wurde das Medienforum NRW erfunden, ganz klein 1989 in Dortmund in einem Hotel. Mein Kompagnon Lutz Hachmeister, damals Chef des Grimme-Instituts, dachte sich, das Medienforum hat einen Hörfunk-Teil, einen Verleger-Teil und einen medienpolitischen Teil, aber keinen Fernsehteil und hat dann in Düsseldorf angeboten, das zu organisieren. Er hat mich angesprochen, ob ich mitmachen will. 1991sind wir dann in Köln gestartet. Wir wollten Konferenzen machen, deshalb Cologne Conference. Aber wir wollten auch immer schon Sachen zeigen. Weil Deutschland damals schon ein prosperierender Markt war, war es leicht, alle nach Köln zu bekommen, weil die hier Geschäfte machen wollten. Und das hat sich Schritt für Schritt weiterentwickelt.

20200922-ARO-FilmFestivalCologne-17

Festival-Direktorin Martina Richter und Programmchef Johannes Hensen.

Ist Köln immer noch der beste Standort?

Hensen: Köln hat eine sehr privilegierte Lage und Verkehrsanbindung. Das klingt salopp, aber dann kommen die Leute. Wir sind ja besser angebunden als Berlin.

Und abseits der guten Verkehrsanbindung?

Richter: Köln ist eine frische Stadt. Gerade für das Medium Bewegtbild durch die Unternehmen, die hier sitzen. Die traditionelle, aber auch die Youtuber. Das hat sich sehr verjüngt. Wir haben hier eine große Bandbreite an Menschen, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Und die Hochschulen sind spannend, da gibt es einen guten Austausch. Weil wir uns nicht so auf das traditionelle Filmwesen konzentrieren, ist es eine Stadt, in der es viel Kreativität gibt. Das ist anders als in etablierten Filmfestivalstädten. Wir werden ja oft gefragt, wo wir uns denn sehen in der Konkurrenz zur Berlinale, zu Hamburg oder München. Aber wir sehen uns da gar nicht in Konkurrenz, weil wir etwas anderes machen. Und da ist Köln extrem passend.

Wenn man alle Entwicklungen abbilden will, besteht da nicht die Gefahr, sich zu verzetteln?

Richter: Es muss eine Relevanz haben, das ist unser Kriterium. Es muss zum Beispiel ein bedeutender Trend sein oder etwas an der Formsprache oder am Storytelling ändern. Es muss eine Perspektive aufzeigen.

Hensen: Es ist wichtig, eine gewisse Flexibilität zu haben. Wir haben bewiesen, dass wir die haben. Wir verzetteln uns eben nicht, indem wir an Sachen starr festhalten. Wenn etwas nicht funktioniert, darf es auch wieder gehen. Und das verpassen viele traditionelle Filmfestivals, weil sie sich zu sehr auf das eine konzentrieren.

Das könnte Sie auch interessieren:

Heute bekommt man fast jede Serie und jeden Film auch im Internet. Ist das ein Problem für ein Festival?

Richter: Das ist ein Problem, wenn man ein Festival ist, das auf Exklusivität und Premieren setzt. Ich glaube, beide Begriffe gibt es in einer durchdigitalisierten Zeit nicht mehr so. Es gibt ja schon einiges, das man bei uns zuerst sieht. Aber ein Festival hat eine andere Aufgabe. Es sollte eine Plattform sein, auf der sich Leute treffen und austauschen können. Und da fahren wir mit unserem diversen Ansatz gut.

Hensen: Da verschiebt sich viel. Früher waren Serien selbst für die Branche schwer zu bekommen. Heute wird das im Filmbereich immer relevanter. Weil immer weniger Filme den Weg ins Kino überhaupt noch schaffen. Und dadurch haben Festivals auch noch mal eine andere Bedeutung und tragen dazu bei, dass einige Filme überhaupt gesehen werden. Es ist natürlich eine Übersättigung des Marktes, von der Festivals am Ende profitieren.

Die aktuelle Ausgabe ist auch wegen der Pandemie eine besondere. Wie war das in der Vorbereitung?

Richter: Wir wussten, wenn der Kinobetrieb läuft, können wir stattfinden. Denn man sitzt ja, bewegt sich nicht, spricht nicht, singt nicht. Das ist eine gute Voraussetzung. Da haben wir Glück. Aber wir wussten gar nicht, was es an Programm gibt.

Hensen: Es war ein aufregender Prozess, weil wir zu keinem Zeitpunkt wirklich wussten, wie es am Ende aussehen wird. Da war viel Bewegung drin. Wir haben gemerkt, wie sich Starttermine verschoben haben, Filme komplett von der Bildfläche verschwunden sind. Die großen internationalen Festivals, bei denen wir sonst sondieren, sind teilweise komplett ausgefallen. Jetzt langsam kommt das wieder in Gang. Deshalb haben wir ein optimales Timing, weil die ersten großen Festivals jetzt wieder stattfinden. Dadurch wird eine große Welle neuer Inhalte auf den Markt gespült, von der wir profitieren können.

Die Kinos können aber nicht voll besetzt werden, rechnet sich das dennoch?

Richter: Wir haben die gleichbleibende Unterstützung unserer Förderer. Am Anfang hatten wir Sorge, dass uns die Branchenpartner abspringen, die sind aber alle Schritt für Schritt wieder auf uns zugekommen. Wir haben auch viele branchenferne Sponsoren gewinnen können wie Jaguar, 4711 oder Chiemsee. Das wär uns alles nicht möglich gewesen, wäre in Zeiten von Corona nicht auch ein gewisses Vakuum gewesen, wo Firmen gerne mit uns gesprochen haben. Wir haben im Grunde sehr profitiert.

Hensen: Wir rechnen mit zwei Dritteln der Kapazitäten bei den Besucherzahlen. Da gibt es genug Platz und trotzdem hat man Atmosphäre und ein Publikum, wo man Premieren auch Premieren nennen kann.

Und wenn wir nun zum Abschluss doch noch mal in die Zukunft blicken?

Richter: Wir haben in unsere digitale Präsens investiert. Wir haben den Jubiläumssommer in den sozialen Medien viel getan und schauen nun, ob wir das nicht verstetigt über das ganze Jahr eine digitale Plattform für das Festival aufbauen können, wo wir den Diskurs pflegen, um der realen Ebene eine digitale an die Seite zu stellen und diese immer mehr zu vernetzen. Das hat uns die Corona-Situation drauf gebracht: Wie gehen wir damit um, wenn Dinge nicht mehr physisch stattfinden können? Das ist doch noch mal eine ganz andere Perspektive.

Das Festival

Martina Richter ist seit 2004 Direktorin des Film Festival Cologne, Johannes Hensen ist Programmchef.

In seinem Jubiläumsjahr findet das Festival unter strengen Hygieneauflagen vom 1. bis 8. Oktober statt. In den Reihen Top Ten TV, Best of Cinema Fiction, Best of Cinema Documentary, Look, Made in NRW, Benelux meets NRW und Special Screenings werden 100 Filme aus 25 Ländern gezeigt.

Viele große Stars werden zu sehen sein, etwa Mark Ruffalo in „Vergiftete Wahrheit“, Elisabeth Moss in „Shirley“ und Mads Mikkelsen in „Another Round“. Der Schauspielstar aus Dänemark erhält den International Actors Award und wird nach Köln kommen. Sein Landsmann Thomas Vinterberg gewinnt den Hollywood Reporter Award für den besten fiktionalen Beitrag in den Wettbewerbsreihen. Er kommt ebenfalls nach Köln. Der von der Film- und Medienstiftung NRW und der Stadt Köln gestiftete Filmpreis Köln geht an Dominik Graf, dessen Werk mit einer Auswahl seiner Filme im Festivalprogramm vertreten sein wird. Schauspielerin Sandra Hüller wird mit dem International Actress Award geehrt, sie ist auch im Eröffnungsfilm des Festivals, dem zu großen Teilen in Köln gedrehten Weltraum-Drama „Proxima“ von Alice Winocour, zu sehen. Auch Sandra Hüller wird in Köln sein.

Ein Ticket kostet 8 Euro, ein 5er-Festivalpass 30 und ein 10-er Festivalpass 55 Euro. Tickets gibt es online und im Festivalzentrum im Cineplex Filmpalast, Einzeltickets auch an der Abendkasse.filmfestival.cologne