Michael Wech über die BND-Labor-Hypothese, Virus-Übertritte von Tieren auf Menschen mit schlimmen Folgen und Pandemien der Zukunft.
„Spillover“-Regisseur im InterviewKam das Corona-Virus doch aus einem Labor in Wuhan?

Arbeiter in Schutzkleidung im chinesischen Wuhan
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Michael Wech ist Regisseur des Dokumentarfilms „Spillover - Planet der Viren“, der derzeit in der ARD-Mediathek zu sehen ist. Über ein Jahr lang hat er auf der ganzen Welt recherchiert, wie Virus-Übersprünge von Tieren auf Menschen zu Epidemien oder Pandemien führen. Ein Interview.
Herr Wech, könnte das Corona-Virus doch aus einem Labor im chinesischen Wuhan entwichen sein? Gerade ist öffentlich geworden, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) diese Wahrscheinlichkeit in einem geheimen Papier aus dem Jahr 2020 als sehr hoch einstufte.
Ich kenne das Papier und die Quellen des BND nicht. Was immer darin enthalten ist: Wer die Antwort auf die Frage nach dem Ursprung von SARS-CoV-2 finden will, muss sie in den Untiefen der Molekulargenetik suchen. Weil es zwei Ursprungslinien von SARS-CoV-2 gibt, schlussfolgern Wissenschaftler, dass es zwei verschiedene Infektionsereignisse gegeben haben muss. Für beide Linien gibt es Hinweise auf dem Huanan-Markt in Wuhan.
Welche sind das?
Spuren auf einem weggeworfenen Handschuh und Spuren in unmittelbarer Nähe eines Markstands, auf dem Marderhunde verkauft wurden. Man muss an dieser Stelle betonen: Es handelt sich bei den gefundenen Spuren nur um Genom-Fragmente. Sie sind kein endgültiger Beweis, aber sie legen sehr nahe: SARS-CoV-2 war dort. Deshalb spricht alles dafür, dass der Markt das Epizentrum des ersten Ausbruchs war.
Was spricht gegen die Argumente der Labor-Hypothese?
Die Vertreter der Labor-Hypothese gehen davon aus, dass es einen Labor-Unfall gegeben haben könnte, bei dem das Virus seine Opfer angesteckt hat. Aber selbst, wenn es so wäre: Was genau lässt sich ableiten aus der Nähe des Wuhan-Labors zu dem Markt? Viren können sich nicht über große Distanzen selbst fortbewegen. Man muss sich also die Frage stellen: Wie ist das Virus dahingekommen?
Wenn es zwei Ursprungslinien gab, müssten sich zwei Laborarbeiter mit diesen unterschiedlichen Linien infiziert und sie in den Markt getragen haben, der etwa 15 Kilometer vom Labor entfernt liegt. Man muss sich mit diesen Details befassen. Erst zusammen entsteht daraus ein Bild. Wenn ich die Hinweise der Laborthese betrachte, fällt mir eines auf: Sie klingen plausibel und sehen auf den ersten Blick sehr überzeugend aus. Aber die einzelnen Indizien, die für sich genommen keine wirklichen Belege sind, passen nicht recht zusammen.

Moderator Eckart von Hirschhausen, Regisseur Michael Wech und Produzent Leopold Hoesch (v.l.) bei der Premiere des Films in Köln.
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Inwiefern?
Sie bilden keine Kette. Aber dennoch wirkt es so, als ob es einen Berg von Argumenten gäbe. Mit etwas Abstand betrachtet sieht man: Es ist ein Scheinriese. Weil die einzelnen Argumente aber eingängig und ansprechend sind, scheint alles stimmig. Wenn man die beiden Denkmodelle nebeneinanderstellt, fürchte ich, dass es die Geschichte vom Laborunfall leichter hat - es ist einfach die bessere Story. Aber das bedeutet nicht, dass sie stimmt.
Welche Rolle spielt das Verhalten der chinesischen Regierung, die Aufklärung verhindert?
Natürlich liegt der Verdacht nahe, dass etwas vertuscht wird. Es macht misstrauisch, zu Recht, aber auch das ist noch lange kein stichhaltiger Beleg.
Haben Sie für Ihren Film in China recherchiert?
Nein. Das ist völlig unmöglich. Man kann in China nicht zu Corona recherchieren oder drehen.
In Ihrem Film zeigen Sie an Epidemien auf der ganzen Welt auf, dass zuvor das Virus von einem Tier auf die Menschen übergesprungen ist, weil den Tieren ihr natürlicher Lebensraum genommen wurde. Ist das der Normalfall?
Definitiv. Wenn bei Corona argumentiert wird, man habe das Virus noch gar nicht in der Natur gefunden, was die Laborhypothese stützen könnte, muss man bedenken: Beim Marburg-Virus, das 1967 ausgebrochen ist, hat es 41 Jahre gedauert, bis man es in der Natur gefunden hat. Der Ursprungswirt des Ebola-Virus (1976 ausgebrochen) konnte bis heute nicht in Fledermäusen isoliert werden. Die Suche nach dem Ursprung ist oft unendlich mühsam und langwierig.
Haben auch die Nachrichtendienste anderer Länder ähnliche Untersuchungen wie der BND angestellt?
Alle US-Dienste haben das gemacht und waren anfangs geteilt. Bis heute gibt es unterschiedliche Meinungen, die CIA war lange bei 50/50. Leider ist die Labor-Frage hochpolitisch, und es ist nicht gelungen, sie zu entpolitisieren. Weil die Beweislage so dünn ist, muss man sich eines Tages vielleicht sogar damit abfinden, dass die Frage über die Herkunft von SARS-CoV-2 nie endgültig geklärt werden kann.
Es ist eine zentrale These Ihres Films, dass Pandemien wegen des Klimawandels und unserem Raubbau an der Natur immer wahrscheinlicher werden. Sind wir machtlos?
Nein. Durch die Vergrößerung von Schutzgebieten und Rückzugsmöglichkeiten für Wildtiere kann man Virus-Übersprüngen vorbeugen. In Australien werden jetzt winterblühende Eukalyptusbäume wieder im großen Stil angepflanzt, weil sie eine der wenigen Futterquellen für Flughunde im Winter sind. Statt Mangobäume in der Nähe von Siedlungen als Futterquellen zu wählen, bleiben die Flughunde in den Aufforstungsgebieten. Das minimiert das Risiko eines Viren-Übersprungs deutlich. Diese Strategie scheint in Australien für das dort besonders gefährliche Hendra-Virus zu funktionieren. Ich kenne aber auch eine andere Denkschule, die sagt, Ausbrüche lassen sich nicht verhindern. Sie werden kommen – und wir müssen uns bestmöglich vorbereiten.
Tun wir das?
Mir macht Hoffnung, dass wir mit der Metagenomik als Technologie ein neues Werkzeug haben, um Viren viel schneller auf die Spur zu kommen. Das war in den Jahrzehnten zuvor ein großes und langes Rätselraten. Warum und woran sind Menschen plötzlich erkrankt? Das hat wertvolle Zeit gekostet. Je schneller ich weiß, was Sache ist, desto schneller kann ich reagieren. Jeremy Farrar, heute wissenschaftlicher Direktor der WHO, sagt: „Wir hätten die Corona-Pandemie verhindern können, wenn wir schneller reagiert hätten.“ Leider ist das Virus im falschen Land ausgebrochen, nämlich China.
Haben wir aus der Pandemie gelernt?
Leider setzt das Vergessen sehr schnell ein. Und alle sind geizig. Niemand will in etwas investieren, das man vielleicht gar nicht braucht. Das ist das Präventionsparadox. Aber die Frage ist, ob wir uns diese Nachlässigkeit leisten können.