„Früchte des Zorns“ am Schauspiel KölnAufs iPad geguckt, geweint
Köln – Auf Aktualisierungen hat Rafael Sanchez in seiner Inszenierung von John Steinbecks Roman „Früchte des Zorns“ verzichtet. Die Pachtbauernfamilie Joad wird von ihrem Land in Oklahoma vertrieben und flüchtet auf der Route 66 nach Kalifornien, wo wenig mehr als Sklavenarbeit auf sie wartet.
Was soll man daran nicht verstehen? Das gemachte Elend hat sich seit den 1930er Jahren neue Schauplätze gesucht. Geändert hat sich nichts. Weder die Ruchlosigkeit, mit der Menschen ihren Lebensgrundlage entzogen wird, noch der Hass der Besitzenden, der sie egal, wo sie sich hinwenden, erwartet.
Und doch gibt es an diesem Abend einen Moment, in dem sich die Gegenwart so machtvoll in den Vordergrund drängt, dass selbst die digitale Mittelbarkeit – auch diese Schauspiel-Köln-Premiere findet via Live-Stream statt – den Schock nicht dämpft. Die letzte Wüsten-Strecke zwischen Arizona und dem gelobten Land, wo die Pfirsichbäume blühen, hat Großmutter Joad nicht überlebt („Granpa“ ist in Eberhard Petschinkas schlüssig-schmuckloser Bühnenfassung schon vor Abreise gestorben).
Stückbrief
Regie: Rafael Sanchez
Bearbeitung: petschinka
Bühne: Thomas Dreißigacker
Kostüm: Maria Roers
Musik: Pablo Giw
Mit: Seán McDonagh, Margot Gödrös, Katharina Schmalenberg, Stefko Hanushevsky, Justus Maier, Kristin Steffen, Elias Reichert, Martin Reinke
Demnächst im Streaming-Angebot des Schauspiels: „Schwarzwasser – Der Film“ von Stefan Bachmann, 27. 12. ab 17 Uhr
Margot Gödrös hat sie als widerspenstige und wehrhafte Alte gespielt, die Besucher des Farmhauses mit einem Warnschuss aus ihrem Gewehr begrüßt und ihren Enkel Tom als Schwächling verhöhnt, weil dieser sich vier Jahre lang hat gut führen lassen, um auf Bewährung aus dem Knast entlassen zu werden – anstatt einfach auszubrechen.
Aber was zu viel ist, ist zu viel. Ohne Land versiegt der Lebenswille der Großmutter. Stumm geht Gödrös ab. Zurück bleibt ein leeres Bett, das nun von den vier Männern der Familie Joad – nicht ohne sich vorher Mundnasenschutzmasken übergezogen zu haben – aus dem Depot 2 ins Freie getragen wird. Ein Begräbniszug für die vieltausend alten und gebrechlichen Menschen, die wir in diesem verfluchten Jahr auf der Suche nach unserem eigenen Glück geopfert haben. Aufs iPad geguckt, geweint. Katharsis stellt sich keine ein, man glaubt die bitteren Früchte auf der Zunge zu schmecken, den Zorn.
Rafael Sanchez hat sich entsprechend der Vorlage für eine bewusst „arme“ Umsetzung entschieden. Zu Anfang folgt die Kamera dem just aus der Haft entlassenen Tom Joad (Séan McDonagh) über den Parkplatz hinterm Depot, später zieht die ganze Familie einmal um die Halle und der Regisseur schließt sich dem Treck der Heimatlosen an. Drinnen, im zuschauerverwaisten Depot 2, sieht es nicht sehr viel behauster aus.
Die lange Fahrt im schrottreifen Hudson Sedan verbringen die Darsteller zitternd auf nebeneinander gereihten Plastikstühlen, das Stottern des Motors erzeugt der Kölner Trompeter Pablo Giw, in dem er mit den Ventilen seines Instruments Luft ausstößt und verstärkt: Auch seine musikalische Begleitung folgt dem Diktat bescheidener Mittel. Sie ist umso eindrücklicher.
Erst als die Familie nach schlimmen Erfahrungen im wilden Migranten-Camp Hooverville in einem staatlichen Auffanglager zur Ruhe kommt, verlagert sich das Geschehen auf eine höhere Stufe der Holztribüne (Bühne: Thomas Dreißigacker), hier stehen sogar ein paar Möbel herum, und Vater Joad (Stefko Hanushevsky) macht es sich sogleich in einem Ledersessel bequem, der noch im Plastiküberzug steckt. Mutter Joad (Katharina Schmalenberg) hat längst die Führung übernommen.
Der Aufstieg täuscht. Es gibt keine Arbeit rund ums Lager. Geld und Vorräte gehen zur Neige. Wenn es am Ende noch eine Stufe höher geht, dann nur, weil sich die Familie dorthin vor das Hochwasser geflüchtet hat, das ihr, einer biblischen Plage gleich, noch die letzte Sicherheit genommen hat, den Grund unter ihren Füßen.
Das Ensemble wirkt nicht allein der gleichmacherischen Denim-Kostüme wegen wie aus einem Guss. Es vertraut sich der Geschichte an: Martin Reinke als schlawinernder Ex-Prediger und Justus Maier als im breiten Okie-Dialekt charmierender jüngster Sohn mögen leutseliger daherkommen, als Schmalenbergs zähe und zunehmend empörte Mutter – aber sie sind doch Ausdruck desselben Lebenswillens.
Nichts läuft wie erträumt
Das frisch verliebte Pärchen Rose (Kristin Steffen) und Conny (Elias Reichert) spricht die Sätze des jeweils anderen. Bis er sich davon macht, weil nichts so läuft wie erträumt. Fortan begegnet uns Reichert in verschiedenen Unterdrücker-Rollen wieder, in denen sich die schleichende Entmenschlichung der Geflüchteten widerspiegelt, während Steffens Rose schnell verblüht.
Und McDonaghs Tom Joad? Entdeckt die politische Dimension seiner Resilienz, wird zum Geist aller Unterdrückten: „Wo immer jemand darum kämpft, frei zu sein, schau in ihre Augen, Ma, und du siehst mich.“ Aber das lenkt nicht davon ab, dass er nicht da ist, als Hilfe gebraucht wird und an seiner statt Rose in einem letzten Akt verzweifelter Nächstenliebe wieder zu sich findet. Ein Weihnachtswunder bleibt aus, die Geschichte findet kein gutes Ende, nur endlose Fortsetzungen. Diese muss man gesehen haben.