Michael Mayer, Heike van den Valentyn, Heiko Rühl, Bernd Schlenkrich, Jan Kaps und Katharina Schmalenberg im Gespräch.
Köln – Die Kunst ist in der Krise, denn Bühnen, Clubs und Galerien sind durch die Corona-Pandemie stillgelegt. Sechs Kulturschaffende und Künstler aus Köln sprechen im großen Interview über ihre Zeit in der Pandemie, den Lockdown und ein allen Bereichen „sehr, sehr schwieriges Jahr“.
Jeder von Ihnen hat andere Erfahrungen seit dem ersten Shutdown im März gemacht. Wie haben Sie die frei gewordene Zeit genutzt?Heike van den Valentyn: Freie Zeit? Auf den Kunstverein kam deutlich mehr Arbeit zu als während der normalen Öffnung. Durch die kurzfristige Schließung hatte das Team mit Umplanungen, Gesprächen mit Leihgebern sowie den Anschlussstationen zu tun, da das gesamte Programm umorganisiert werden musste. Und mit der Umsetzung aller Hygienemaßnahmen – das hat das Pensum insgesamt eher verdoppelt als verringert. Dazu kam natürlich noch eine größere Logistik durch die Reisebeschränkungen, von denen viele Künstler betroffen waren. Kurzum, wesentlich mehr Organisation mit recht kleinem Team.
Heiko Rühl: Für uns bedeutete die Schließung im März, dass wir Monate im Voraus gebuchtes Programm vom einen Tag auf den anderen absagen mussten beziehungsweise erstmal in den Herbst verschoben haben. Weil wir, wie alle anderen vermutlich auch, dachten, dass wir im Herbst wieder halbwegs normal weitermachen können. Also erst war wesentlich mehr Arbeit mit der ganzen Organisation. Dazu kam die Verbandsarbeit, auf lokaler und auf Bundesebene. Um den Betrieb am Laufen halten zu können. Und ich habe mich intensiv mit Förderprogrammen auseinandergesetzt. Von Arbeitsentlastung kann überhaupt nicht die Rede sein.
Heike van den Valentyn, 49, stv. Vorsitzende im Kölnischen Kunstverein. Studierte Kunstgeschichte u. Philosophie in Köln und an der Kunstakademie Düsseldorf.
Bernd Schlenkrich
Bernd Schlenkrich, 58, leitet mit Laurenz Leky und René Michaelsen das Theater im Bauturm; Mitglied im Sprecher/innenrat der IFT - Initiative Freies Theater.
Heiko Rühl
Heiko Rühl, 40, betreibt seit 2011 den Kölner Club Gewölbe, Vorstandsmitglied der Klubkomm, Lokaler Verband der Clubs, Veranstalter und Festivals.
Katharina Schmalenberg
Katharina Schmalenberg, 47, Schauspielerin, Ensemblemitglied am Schauspiel Köln. Sie studierte an der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig.
Michael Mayer
Michael Mayer, 49, DJ, Musiker und Unternehmer, Mitbegründer und Teilhaber der Plattenfirma Kompakt. Das DJ-Fieber hat ihn schon mit zwölf gepackt.
Jan Kaps
Jan Kaps, 33, Galerist in Köln, eröffnete 2013 seine Galerie im Belgischen Viertel . Er präsentiert eine jüngere Generation nationaler und internationaler Künstler.
Bernd Schlenkrich: Die Einstellung des Spielbetriebs hat den Arbeitsaufwand unserer Techniker mehr oder weniger auf null reduziert. Gleichzeitig stieg der Organisationsaufwand deutlich an: Vorstellungen mussten abgesagt und Premieren verschoben werden, Möglichkeiten der Finanzierung von Ausfallhonoraren für unsere freiberuflichen Künstlerinnen und Künstler sondiert, alternatives Online-Programm entwickelt und zuletzt Anträge auf verschiedene Hilfsprogramme gestellt werden.
Jan Kaps: Wenn ich mir die Erfahrungen der anderen Kunsttreibenden anhöre, fühle ich mich fast wie ein Semi-Betroffener, da ich als Galerist als Einzelhändler durchgehe. Klar, Kunstmessen, an denen wir sonst teilgenommen hätten, sind ausgefallen samt aller dazu gehörigen Events. Andererseits: Für uns als junge Galerie ist ein Messeauftritt auch unheimlich riskant, durch die hohen Kosten. Grundsätzlich ist das Arbeitspensum auch bei mir angestiegen, weil wir uns, wie alle, mit der Digitalisierung auseinandersetzen mussten. Immer mit dem Ziel: Wie bringen wir die Arbeiten an die Leute heran? Ich würde sagen, die Lage am Kunstmarkt ist nicht so prekär, es geht weiter.
Katharina Schmalenberg: Am Schauspiel Köln sind wir während des Lockdowns in Kurzarbeit gegangen. Zugleich mussten fast alle Stücke des Repertoires endgültig vom Spielplan gestrichen werden, da sie auch nach Wiedereröffnung nicht coronakompatibel gewesen wären – zu viel körperliche Nähe... Ab Juni wurde dann, unter strengen Hygieneauflagen, wieder geprobt, um diese Lücke mit neuen Premieren im Herbst füllen zu können.
Michael Mayer: Für mich als Unternehmer und als freischaffender DJ noch viel mehr, war der Lockdown ein harter Cut. Als DJ und Künstler bin ich seit 25 Jahren jedes Wochenende unterwegs – weltweit. Plötzlich war alles abgesagt. Und meine Firma Kompakt hat ja auch eine eigene Künstleragentur. Die Kollegen dort hatten wochenlang zu tun, Gigs unserer Künstler zu verschieben, zu gucken, was noch zu retten ist. Aber schnell war klar, dass auch ein kleineres Programm ziemlich verantwortungslos wäre. Es brach alles weg, die Leute der Künstleragentur waren arbeitslos. Es hat für mich als Unternehmer mehr Arbeit bedeutet, das Schiff auf Kurs zu halten. Und in unserer Branche ist es schwierig, an Fördergelder zu kommen. Für mich als DJ bedeutet der Lockdown, dass ich meine Leidenschaft nicht mehr ausüben kann und meine stärkste Einnahmequelle versiegt ist.
Wie sind Sie bislang über die Runden gekommen? Von der Bundesregierung, vom Land, der Stadt gab es Soforthilfen und diverse Hilfsprogramme. Ein Dschungel der Bürokratie oder eine leichte Hürde, um das Aus abzuwenden?
Michael Mayer: Ich als DJ habe bisher noch keinen Euro bekommen. Weder vom Land noch vom Bund. Dann wurde die Novemberhilfe vom Bund verabschiedet. Nach der man die Umsätze vom November 2019 geltend machen kann. Davon sollen 75 Prozent einmalig überwiesen werden. Das klang für mich auf dem Papier erst mal nicht verkehrt. Stand jetzt kann ich aber nur die Einkünfte angeben, die ich im Inland verdient habe – und die sind bei mir marginal. Das wäre ungefähr so, als ob man die Lufthansa ausschließlich nach Inlandsflügen bewerten würde oder der Autoindustrie nur Geld gäbe für die in Deutschland verkauften Autos. Wir sind eine Kulturexportnation, und Techno ist davon ein wichtiger Teil. Das wird bislang komplett übersehen. Das betrifft nicht nur mich als auftretenden Künstler, sondern alle, die da dranhängen: Agenturen, Techniker in Clubs, Leute, die Festival- Shuttles fahren, Thekenpersonal, Bouncer. Da wurde einfach noch nicht richtig hingeguckt.
Heiko Rühl: Wir machten bisher unsere Sache alleine, wir haben uns nie mit Wirtschaftsförderung auseinandergesetzt, haben nie Anträge ausgefüllt. Jetzt haben wir die Zeit genutzt, um das zu regeln, lernten Begriffe, die wir noch nie zuvor gehört haben, Zuwendungsgesetz zum Beispiel. Ich muss sagen, die Hürden waren zu meistern. Es blieb uns aber auch nichts Anderes übrig, um unsere Struktur zu erhalten.
Kommen Gelder an? Gibt es genug? Oder wissen viele gar nicht, welche Hilfen es gibt?
Bernd Schlenkrich: Wir haben sehr schnell festgestellt, dass wir uns als von Stadt und Land institutionell gefördertes Privattheater in einer vergleichsweise privilegierten Position befinden, vor allem im Unterschied zu den nicht geförderten Theatern in Köln. Die festgesetzten Gelder sind auch im Frühjahr weiter geflossen, die machen immerhin 40 Prozent unseres Haushaltes aus. Damit sind wir fast in der Lage, die Strukturkosten zu bezahlen, vor allem die Immobilie und die Gehälter.
Wir hatten Zugriff auf verschiedene Hilfsprogramme, sodass wir mit der NRW-Soforthilfe, dem Notfallfonds der Stadt Köln, dem Kurzarbeitergeld und der Unterstützung unseres Fördervereins die Einnahmeeinbußen deutlich abfedern und unseren Künstlern Ausfallhonorare in Höhe von zirka 20.000 Euro bezahlen konnten. Damit ist es noch nicht zu Ende. Wir können als gemeinnütziger Verein die Novemberhilfe beantragen und haben auch Zugriff auf eine Vielzahl von Fördergeldern. Wir haben uns von Anfang sehr darum gekümmert, vor allem die Künstler unterstützen zu können. Wir konnten ihnen seit Mitte März wenigstens Kompensationsleistungen geben.
Michael Mayer: Für die Firma Kompakt sieht es natürlich anders aus als für mich als DJ. Wir bekamen auch die NRW-Soforthilfe und konnten Kurzarbeitergeld beantragen. Aber die Künstler bei uns, die nicht in der glücklichen Situation sind, vor 28 Jahren eine Firma gegründet zu haben, sondern von ihren Gagen leben, stehen im Regen. Die gehen alle an ihre Ersparnisse oder müssen Arbeitslosengeld II beantragen.
Katharina Schmalenberg: Als Ensemblemitglied am städtischen Schauspiel bin ich nicht in wirtschaftliche Not geraten – weiß aber von vielen freischaffenden Kollegen – unter anderem meinem Mann – um deren Misere und Existenzängste, als sämtliche Film- und Bühnenprojekte plötzlich wegbrachen. Die Crux der freischaffenden Schauspieler ist ja, dass sie, anders als etwa Musiker, keinen Status als Soloselbständige haben, sondern immer als kurzzeitig, oft nur tageweise Angestellte gelten – sie zahlen mit jedem Job in die Kasse ein, haben aber meist keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld I, und auch keinerlei Anspruch auf Hilfsprogramme für Selbständige, wie die NRW-Soforthilfe. Und selbst bei diesen Programmen konnte man ja nur „betriebliche Ausgaben“ geltend machen –, aber wovon soll man die Wohnungsmiete und das Essen bezahlen? Eine ganze Branche ist hier durchs Raster gefallen. Das betrifft Tausende Kollegen, die freischaffend für Theater oder Film arbeiten.
Heiko Rühl: Wir als Unternehmen müssen unsere Struktur erhalten, konnten die Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken, ein wichtiges Instrument. Aber für vieles andere ist einfach kein Geld da. Seit April haben wir einen Umsatzeinbruch von 95 Prozent pro Monat. Ein paar kleinere Dinge konnten wir machen, eine Ausstellung im September etwa. Wir bekamen die Soforthilfe, aber das Geld wird unter anderem nach der Mitarbeiteranzahl berechnet. Aber wie alle anderen Clubs beschäftigen wir viele Freie und Studenten an der Theke. Die fallen alle bei der Berechnung raus. So bekamen wir einen kleinen Fixbetrag. Als dann im Sommer klar war, dass wir auch im Herbst nicht aufmachen können, bekamen wir Muffensausen. Das hat sich dann aber verbessert.
Heike van den Valentyn: Die Herausforderung der Pandemie ist, dass die einzelnen Sparten so unterschiedlich betroffen sind. Wenn man Architektur oder die Gamesbranche nimmt, sind diese Bereiche doch relativ ungeschoren davongekommen. Das sieht in der freien Kunst schon anders aus. Die institutionell geförderten Häuser, wie wir als Kunstverein oder die hier vertretenen Theater, können auf viele Bausteine zurückgreifen. Städtische Mittel kombiniert mit Geldern von Stiftungen und Unternehmen aus Köln und der Region, so dass viele noch relativ gut die Zeit der Schließung überbrücken können. Bei uns als Kunstverein gibt es auch den wichtigen Baustein der Jahresgaben, die uns Künstler überlassen, und mit denen sich die Kunstvereine seit jeher durch den Verkaufserlös mitfinanzieren.
Im Club sieht es sicher anders aus, weil man da genau die Situation hat, die gerade ein Problem darstellt.
Heiko Rühl: Ja, seit neun Monaten haben wir zu. Das Umfeld, das wir als Club dem Virus bieten können, ist ideal. Ich erwarte, dass sich die Schließung bis ins Frühjahr hineinzieht und wir ansatzweise wieder Normalität im Herbst 2021 haben. Das ist nochmal ein Jahr von heute an.
Warum sieht es bei den Soloselbständigen derzeit finanziell so finster aus?
Michael Mayer: Das liegt vermutlich darin, dass wir aus einer Do-it-yourself-Subkultur kommen, vielleicht sogar aus einer Gegenkultur. Wir sind es nicht gewohnt, Förderungen zu beantragen, egal, was wir tun. Es war nie in unserem Selbstverständnis verankert, dass wir die Hand aufhalten und um etwas bitten. Das scheint uns jetzt zum Nachteil zu gereichen. Es herrscht einfach auf der politischen Ebene großes Unwissen darüber, wie das Spektrum von Soloselbständigen und wie Clubleben überhaupt funktioniert – vom Tontechniker bis zum Getränkelieferanten.
Hätte die Stadt Köln eine andere Haltung einnehmen sollen, mehr tun können?
Jan Kaps: Ich kann für meine Branche sagen: Wir hätten für die jungen Künstler mehr Erwartungen. An eine Institution wie das Museum Ludwig zum Beispiel, die städtisch aufgebaut ist. Ich versuchte hier schon immer darauf hinzuwirken, dass junge Künstler zu einem früheren Zeitpunkt gefördert werden, indem das Budget des Ankaufs erhöht wird. Und in dieser Krisensituation hätte ich mir gewünscht, dass eben genau Gelder für den Ankauf bereitgestellt werden. Ich vertrete hier mit zwei, drei anderen Galerien die jüngere Generation und leider muss man sagen, dass die Arbeit der Jungen in Köln von institutioneller Seite noch nicht so anerkannt wird. Es gibt gute Beispiele in anderen europäischen Städten, in denen sich die Museen organisieren und Ankäufe möglich machen.
Heiko Rühl: Keine Kritik. Wir sind in der glücklichen Situation, dass die Vertreterinnen und Vertreter der Stadt Köln die Relevanz der Musikclubszene wertschätzen und unterstützen. Und die Köln Business Wirtschaftsförderung GmbH hat da sehr pragmatisch und niederschwellig ein Förderinstrument für die Musikspielstätten entwickelt. Für mich und alle anderen Betreiber von kleinen Clubs ist die Förderung der Stadt während der Corona-Situation also enorm wichtig.
Bernd Schlenkrich: Ich finde, die Stadt und auch das Land haben sehr schnell sehr viel getan. Hilfreich wäre sicher gewesen, wenn man uns mehr mit ins Boot geholt hätte. Zum Beispiel wenn Vertreterinnen und Vertreter der unterschiedlichen Sparten einen Sitz im Krisenstab der Stadt Köln hätten.
Viele Künstler sagten im Frühsommer, dass sie die Zeit während des Lockdowns ideal nutzen konnten. Wie sieht es denn mit Ihrem kreativen Output aus?
Bernd Schlenkrich: Wir haben sofort nach Möglichkeiten gesucht, wie wir den Kontakt zu unserem Publikum aufrechterhalten können. Für ein Streaming unseres Repertoires hatten wir nicht die technischen Voraussetzungen, es schien uns aber auch nicht der richtige Weg zu sein. Wir brauchten was Neues und haben das Quarantänetheater erfunden: Wir baten die Schauspielerinnen und Schauspieler jedes Ensembles, Selfie-Videos mit Bezug zur jeweiligen Produktion zu erstellen, die wir am Tag der ausgefallenen Vorstellung online gestellt haben. Parallel haben wir kleine Parodien auf unseren coronadominierten Theateralltag gedreht, die wir an spielfreien Tagen online gestellt haben. So sind bis Ende Mai 47 Videos entstanden, die übrigens alle auf unserer Homepage zu sehen sind, mit denen wir zu Spenden für unsere Künstler aufgerufen haben. Die Resonanz war erfreulicherweise sehr hoch und es sind mehr als 3000 Euro an Spenden zusammen gekommen, die wir an sie weitergeben konnten. Und nebenbei war die kreative Arbeit sehr beglückend und hat uns ein wenig von den Herausforderungen des Krisenmanagements abgelenkt.
Katharina Schmalenberg: Vom Schauspiel Köln gab es auch bereits im ersten Lockdown ein digitales Angebot, über „Dramazon Prime“, um mit unserem Publikum in Kontakt zu bleiben. Außerdem fand im digitalen Raum aber ungeheuer viel statt über private Initiativen – Lesungen auf YouTube, und ein befreundeter Dramatiker, David Gieselmann, schrieb eine Online-Theaterserie in Monologen, an der sich Schauspieler aus ganz Deutschland beteiligt haben. Dann die telefonischen Lesungen „Bei Anruf Kunst“. All das wurde von zuhause aus produziert, auf dem Balkon, im Wohnzimmer. Nach dem ersten Schwung hat sich allerdings eine gewisse „Online-Müdigkeit“ eingestellt, und der Wunsch, endlich wieder live mit Publikum zusammenzukommen. Aus dem Ensemble heraus kam zum Beispiel die Idee, mit einem Theater-Truck durch die Stadt zu ziehen und auf öffentlichen Plätzen zu spielen.
Das ist dann leider an bürokratischen Hürden gescheitert – und hätte vielleicht auch ein falsches Signal gesetzt: in der Stadt Menschenansammlungen hervorzurufen. Im kleineren Rahmen war aber viel Kreativität möglich, ich bin sehr glücklich über eine Kooperation mit Musikern des Gürzenich-Orchesters, da ist im ersten Lockdown aus einer privaten Idee eine Reihe „Musik und Lyrik“ entstanden, die wir in mehreren Kölner Kirchen sogar vor Publikum spielen konnten. Auf Spendenbasis für Corona-Hilfsprojekte. Jetzt, während des zweiten Lockdown, wird im Schauspiel weiter gearbeitet und geprobt. Es ist hart, nur „auf Abstand“ spielen zu dürfen, oder per Stream zu übertragen, aber auch diese Sachzwänge rufen neue künstlerische Lösungen hervor.
Michael Mayer: Ich habe anfangs mehr Zeit im Studio verbracht als sonst. Habe aber sehr schnell festgestellt, dass ich emotional nicht in der Lage bin, Clubmusik zu kreieren, ohne Clubs. Das tat buchstäblich weh. Jede Bassdrum erinnerte daran, was man gerade verloren hat. Viele Produzenten, die normalerweise toughe Clubmusik produzieren, kommen jetzt mit Ambient um die Ecke und entdecken ihre ruhige, experimentelle Seite. Jeder versuchte, das Beste aus der Situation zu machen. Aber: Es ist an allen Fronten ein sehr, sehr schwieriges Jahr.Jan Kaps: Wie gesagt, bei uns ging das Geschäft weiter. Mit angezogener Handbremse zwar, aber es ging. Es brachte auch etwas Positives, nämlich die Digitalisierung, in einem Markt, der bis dahin noch sehr konservativ unterwegs war. Und, auch sehr positiv, das ganze Reisepensum ist durch ausgefallene Messen geschrumpft. Das beurteile ich als guten Wert.
Freut es Sie, dass in Deutschland noch nie zuvor so viel über Kultur gesprochen wurde wie 2020? Fühlen Sie sich systemrelevant?Michael Mayer: Klar wird viel diskutiert, aber was? Wenn ich von mir und den Künstlern bei Kompakt ausgehe, dann sind das Leute, die solide verdient und hart dafür gearbeitet haben, denen es jetzt schlecht geht. Wenn ich dann in Online-Foren lese, die Leute sollten doch einfach mal arbeiten gehen und dass sie Schmarotzer seien, dann wird mir schwindelig. Ich habe die letzten 25 Jahre Tag und Nacht gearbeitet, Steuern bezahlt wie jeder andere. Dann finde ich es unverschämt, wie die Öffentlichkeit und teilweise auch die Politik über unsere Arbeit denkt und dass es keine Wertschätzung dafür gibt. Erschütternd.Heiko Rühl: Für unsere Branche kann ich sagen: Mehr Verständnis. Schon mal was.
Bernd Schlenkrich: Bei der Diskussion ging es ja auch viel um Begrifflichkeiten und Zugehörigkeiten, Stichwort Freizeitvergnügen. Ich finde, das ist eine notwendige Diskussion, die immer wieder geführt werden muss. Man könnte ja auch mal darüber nachdenken, ob Projektförderung und Förderantrag die richtigen Begriffe sind. Bei Förderung klingt immer das Defizit mit. Dass wir es allein nicht hinbekommen. Ich fände „Investition“ den besseren Begriff, vor allem vor dem Hintergrund, dass Deutschland sich als Kulturstaat versteht, dessen kultureller Output einen wesentlichen Beitrag zur Gesellschaftshygiene leistet.Katharina Schmalenberg: Ich finde das enorm wichtig, dass Kulturangebote wie Theater jetzt als Bildungseinrichtungen eingeordnet werden. Das hat wirklich nichts damit zu tun, ob ich mit Bordellen in einen Topf geworfen werden will oder nicht, sondern mit der gesellschaftlichen Wahrnehmung und Wertschätzung unserer Arbeit.
Heike van den Valentyn: Es gab natürlich einen großen Einbruch bei den Besucherzahlen, durch anfängliche Unsicherheit und die Schließung. Aber dann kam das Publikum unmittelbar nach Wiedereröffnung zurück. Das werten wir als klares Signal für den unverminderten oder sogar jetzt größeren Bedarf künstlerischer und kultureller Angebote. Ich denke, das wird in der Rückschau vielleicht ein gar nicht so schlechter Prozess sein, der vieles in Bewegung gebracht hat.
Was ist sonst Positives entstanden in der Zeit?
Heike van den Valentyn: Wir machen zum Beispiel die positive Erfahrung, dass wir mehr Eintritte als Austritte verbuchen können. Mitglieder, die vielleicht gedanklich mit einem Austritt gespielt hätten, bleiben gerade jetzt bei uns, um uns und die Künstler zu unterstützen. Wir können dank Neustart Kultur ein offenes Projektformat für den kommenden Sommer entwickeln und damit verbunden die Digitalisierung vorantreiben. Außerdem planen wir eine Ausstellung mit einer New Yorker Künstlerin, die sich nun länger in Köln aufhält, nicht zurückfliegen kann und nächstes Jahr hier ihre Arbeiten zeigt. Auch wenn Planungssicherheit von Vorteil ist, tun sich auch überraschend neue Möglichkeiten auf. Es ist nun alles viel mehr im Fluss.
Michael Mayer: Das kann ich für unsere Szene bestätigen. Ganz viele Denkprozesse sind in Gang gesetzt, die in einer normalen Festivalsaison sicher nicht entstanden wären. Vor allem sind Diskussionen über unsere Herkunft entstanden. Wie hat sich die Szene verändert? Aus dem Nightlife, der Dance Culture ist ein Milliardenbusiness geworden. Wir fragen uns: Waren die Entwicklungen alle gut? Ich glaube, aus der Diskussion wird Gutes entstehen und wir werden mit einem geschärften Blick auf Dinge sehen, die bislang problematisch waren.Bernd Schlenkrich: Die Krise hat uns quasi gezwungen, für uns neue künstlerische Formate zu entwickeln. Mit Kieran Joel haben wir eine Produktion entwickelt, die sich auf Basis eines Textes von Antonin Artaud mit den Auswirkungen der Pandemie beschäftigt und im Laufe der Spielzeit in Anlehnung an die Veränderungen der Auswirkungen fortgesetzt wird. Die erste Fortsetzung war für November geplant und ist nach dem neuerlichen Lockdown nun zu einem Film geworden, den wir im Januar zeigen werden. Unsere Produktion „Biotopia“ haben wir drei Mal mit einem Computer auf der Bühne gespielt, nachdem unser Kollege René Michaelsen nach einer Risikobegegnung in Quarantäne musste. Über Skype hat er dann aus seiner Küche performt. Das hat so gut funktioniert, dass das Publikum dachte, dass es so inszeniert sei.
Gab es Überlegungen, kurzfristig in größere Hallen umzuziehen, mit mehr Platz?
Michael Mayer: Klar könnten wir Party in der Lanxess Arena planen für 2000 Leute. Aber wer soll das finanzieren? Und: Macht das dann noch Spaß? Das besondere an der Clubkultur ist doch das gemeinschaftliche Erlebnis: „Ich bin zusammen mit einem Pulk von Leuten auf der Tanzfläche und wir fühlen gerade alle dasselbe.“ Wenn man 100 Meter Abstand zum nächsten hat, funktioniert das nicht. Dann gibt oder gab es leider illegale Events. Aber es ist absolut in unserem Interesse, dass man sich an die Regeln hält. Alles andere ist verantwortungslos und teils auch mit einem Social-Media-Bashing der bei „Plague Raves“ auftretenden Künstler verbunden. Je mehr illegalen Widerstand es gibt, umso länger dauert’s.
Heiko Rühl: Es gibt einfach eine Infrastruktur der Räume, die auf den Sinn der Veranstaltung zugeschnitten sind. Wir können keine Partys in riesigen Hallen machen, weil einfach die Atmosphäre nicht stimmt. Ich zähle allerdings darauf, dass wir nächstes Jahr in Köln mehr Open-Air-Flächen haben werden für Kunst egal welchen Genres. Im Moment ist jedenfalls wirklich nicht die Zeit, um über Öffnungen nachzudenken.
Bernd Schlenkrich: Bei uns gab es sogar die Umsetzung solcher Überlegungen. Im Sommer haben wir drei Mal in der befreundeten Volksbühne am Rudolfplatz gespielt. Es war viel einfacher dort die notwendigen Abstände auf der Bühne einzuhalten und es durften deutlich mehr Zuschauer rein als in unseren Saal. Eine Überlegung wirtschaftlicher Natur. Grundsätzlich ist der Umzug einer bestehenden Produktion aber gar nicht so einfach, da man immer eine ästhetische Begründung benötigt.
Vor dem zweiten Lockdown konnte man im Berliner Technoclub Berghain eine Ausstellung mit 105 jungen Künstlern sehen, die auf Initiative des Sammlers und Mäzens Christian Boros und seiner Foundation entstand. Ein Modell für Köln?Heiko Rühl: Wir hatten im September im Rahmen der DC Open eine Ausstellung im Gewölbe. Das war erfrischend, überhaupt mal wieder aufmachen zu können. So etwas in der Art wird es auch weitergeben.Jan Kaps: In Düsseldorf lief kürzlich ein Projekt, um den Ankauf anzustoßen. In Köln gab es sowas in der Größenordnung noch nicht. In Köln könnte man sicher ein stärkeres Signal setzen. Das kann aber auch gut an der mangelnden Organisation der Galeristen untereinander liegen. Vielleicht passiert ja jetzt mal was? Solidarität herrscht trotzdem.
Heike van den Valentyn: Der Ankauf ist natürlich das eine, weil er Neuproduktionen fördert. Auch wenn es in Köln durchaus private Initiativen gibt, ist Düsseldorf mit Julia Stoschek und der Sammlung Philara besser aufgestellt. Boros könnte für viele ein Beispiel sein.Welche Strukturen bleiben auch nach der Krise erhalten?Jan Kaps: Auf jeden Fall wird das Event- und Messesystem für die Kunst digitalisierter.
Michael Mayer: Unsere Szene ist sehr technikaffin. Deshalb dauerte es keine zwei Wochen, bis die ersten DJ-Sets als Livestreams aus den Wohnzimmern kamen. Anfangs lief das gut, die Fans haben gerne gespendet. Aber auch das ging schnell bergab. Die Bereitschaft für ein gestreamtes DJ-Set Geld zu bezahlen, ist kaum vorhanden. Wir brauchen die Nähe, das emotionale Erlebnis.
Katharina Schmalenberg: Auch die Zukunft des Theaters liegt nicht im Stream. Es hat kreative Anstöße gegeben. Aber der unmittelbare Live-Moment, der direkte Dialog mit dem Publikum – das ist durch nichts zu ersetzen. Bei aller Frustration: Wir müssen uns jetzt erstmal solidarisch zeigen, die Füße stillhalten, und hoffen, dass dieser Albtraum dadurch schneller vorübergeht. In der Zwischenzeit wächst die Sehnsucht nach dem direkten Kontakt mit den Zuschauern – die uns dankenswerterweise treu blieben. Das Publikum ist da, und der Hunger nach lebendiger Kultur vielleicht so groß wie nie.
Heike van den Valentyn: Das Digitale ist eine tolle Ergänzung für uns alle. Aber es wird niemals die sinnliche und emotionale Begegnung ersetzen können.
Das Gespräch führten Anne Burgmer, Christian Bos und Eva Reik