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Kölner Konzert am SonntagWie ich fast zu spät lernte, Genesis zu lieben

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Phil Collins während des Berliner Konzerts von Genesis 

Köln – Im Keller des Hauses, in das wir vor knapp 15 Jahren gezogen sind, steht schon ebenso lange eine einzelne Schallplatte. Verlassen lehnt sie an der Wand. Darf nicht zu den anderen Platten. Vor einer Minute habe ich sie aus ihrem Kellergefängnis befreit, das weiße Klappcover ist stockfleckig, Staubflusen hängen unten dran. Jetzt knistert sie, während ich diese Worte tippe, auf meinem Plattenspieler und, was soll ich sagen, sie gefällt mir ganz gut.

„The Lamb Lies Down On Broadway“ gilt als Höhepunkt der frühen Phase von Genesis, als Peter Gabriels surreale Bühnenkostüme und ebensolche Texte das Image der Band bestimmten. Das Album erzählt von einem puerto-ricanischen Jungen, der auf einem Selbstfindungstrip durch New York wandert und dabei zahlreichen bizarren Charakteren begegnet.

Spätpubertäre Vorurteile gegen Phil Collins

Es ist fast 95 Minuten lang und allein diese Information hätte mich ausreichend abgeschreckt. Tatsächlich aber war es ein spätpubertäres 1980er-Jahre-Vorurteil gegen spinnerten Progressive Rock, gegen Bands mit prätentiös biblischen Namen und selbstredend auch gegen Gabriels Nachfolger am Mikrofon: Phil Collins, der damals als Schlagzeug-Virtuose der Band eher unverhofft und wohl wirklich nicht auf eigenen Wunsch ins Rampenlicht gezerrt wurde.

Collins, der zehn Jahre später aber sowohl als Solokünstler als auch mit der nun gar nicht mehr kunsthandwerklich verdrechselten Band sämtliche UKW-Wellen blockierte. Es war halt die Musik der großen Brüder und die ist bekanntlich noch viel schlimmer als der Schlagermist, den die Eltern so hören.

Kölns erste große Arena-Show seit der Pandemie

Warum freue ich mich dann wie ein kleines Kind auf das erste von drei Kölner Genesis-Konzerten am kommenden Sonntag? Weil es die erste große Arena-Show seit Beginn der Pandemie ist? Weil einen schon Phil Collins’ Comeback-Konzerte vor sechs Jahren mit der Hassfigur der frühen Jugend versöhnt hatten?

Ach, was heißt versöhnt. In den Staub will ich mich werfen. Am Ende gründeten meine Vorurteile auf purer Ignoranz (das haben Vorurteile so an sich). Wer Genesis wegen ihres dümmlichen Radiohits „I Can’t Dance“ verdammt, der könnte sich auch Stevie Wonders unglaublichen Lauf in der ersten Hälfte der 1970er wegen „I Just Called to Say I Love You“ entgehen lassen.

Nick Hornby und seine nerdigen Plattenverkäufer

Dummerweise wurden die Vorurteile der Jugend später von populären Autoren wie Nick Hornby bestätigt – dessen nerdige Plattenverkäufer in „High Fidelity“ sich auf nichts einigen können, nur darauf, dass sie Genesis hassen – und, klar, von Bret Easton Ellis, der in „American Psycho“ seinen Serienkiller ein Loblied auf „Invisible Touch“, das stromlinienförmigste Album der Band, singen lässt.

Das ist lange her. Schaut man heute zurück, erinnert die eigene Attitüde und die der genannten Autoren eher an toxische Männlichkeit als an gehobenes Checkertum. Auf jeden Fall ist die Musik von Genesis sehr viel besser gealtert als „High Fidelity“. Und ich ärgere mich gerade, dass Song Nummer 3 auf Seite 2 von „The Lamb Lies Down the Broadway“ einen Kratzer hat, den die Nadel partout nicht überspringen will.

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Da! Jetzt hat sie es noch geschafft. Das ist sowieso das Beeindruckendste an Genesis, wie die Band mit jedem scheinbar unüberwindbaren Hindernis gewachsen ist: Zwei künstlerisch erfolglose erste Alben; gleichberechtigte Songschreiber; der Abgang des charismatischen Frontmannes; ein singender Schlagzeuger; Punk; der Abgang von Steve Hackett, dem Gitarrenvirtuosen der Band; New Wave; ein Sänger, der als Solokünstler erfolgreicher ist als seine Band. Die meisten Acts hätten es nicht bis zum ersten Semikolon geschafft.

Wenn Genesis am 19. März ihr drittes Köln-Konzert gespielt haben werden, bleiben nur noch fünf, und das war’s. Es ist ihr Abschied von der Bühne. Phil Collins ist krank und kann nur noch im Sitzen singen. Fast wäre ich zu spät gekommen. Was wohl noch so im Keller steht?