„Get Back“-DokuWie Peter Jackson die Geschichte der Beatles völlig neu schreibt
London – Die Beatles proben Paul McCartneys neuen Song „Get Back“. John Lennon sitzt auf einem Stuhl, neben ihm Yoko Ono. Er ist nur körperlich anwesend, sie liest ein Magazin. George Harrison hat auf Ringo Starrs Schlagzeugpodest Platz genommen. Vor ihm steht McCartney und hält einen kleinen Vortrag über Akkorde. Die seien, sagt er, ebenso der Mode unterworfen wie enge Hosen. Und was George da spiele, sei passé. Er solle liebe nur einfache Dinge spielen, bis er dran sei. Harrison schweigt. Faltet sich ein wie eine achtlos in den Papierkorb geworfene Manuskriptseite. Man setzt erneut zu „Get Back“ an, bricht ab. Die nächste Lektion für den jungen George. Er phrasiere zu viel.
Dann wendet McCartney seine Aufmerksamkeit Lennon zu. Kurz blitzt der magische Funke der kreativen Partnerschaft auf. Sie singen „Two of Us“, in enger Everly-Brothers-Harmonie. McCartney hat es für seine neue Liebe Linda geschrieben. Aber das Lied beschreibt auch perfekt die viel ältere Liebe zwischen Lennon und ihm. Harrison blickt böse funkelnd vom Seitenrand. Schließlich steht er auf: „Ich glaube, ich verlasse die Band jetzt. Holt euch Ersatz.“
George Harrisons wütender Abgang
Mit dieser Szene endet der erste Teil von Peter Jacksons „The Beatles: Get Back“, ein perfekter Cliffhanger. Ab sofort ist die Doku-Serie auf dem Streamingdienst Disney+ zu sehen. Genau genommen dokumentiert der neuseeländische Regisseur, bekannt geworden mit lustvollen Splatter-Filmen, berühmt mit ausufernden Tolkien-Epen, hier eine andere Dokumentation namens „Let It Be“. Die kam erst im Mai 1970 in die Kinos, nach der offiziellen Trennung der Beatles. Dann verschwand der Film in den Archiven und noch 2008 war die Wunde so frisch, dass sich Paul McCartney und Ringo Starr, die überlebenden Beatles, gegen eine Neuveröffentlichung aussprachen. Wer will schon ein Video von seiner Scheidung mit der ganzen Welt teilen?
Vor vier Jahren kontaktierte Apple Corps – die Firma, welche die Beatles nach dem Tod ihres Managers Brian Epstein gegründet hatten – Peter Jackson wegen seiner technischen Expertise mit virtueller Realität. Beeindruckt vom Erfolg der David-Bowie-Wanderausstellung spielte man mit dem Gedanken einer Beatles-Museumsshow. Daraus wurde nichts. Aber Jackson nutzte die Gelegenheit nachzufragen, was aus dem Filmmaterial geworden war, dass Regisseur Michael Lindsay-Hogg, angeblich ein unehelicher Sohn von Orson Welles, im Januar 1969 in den Twickenham Studios und im Londoner Apple-Hauptquartier in der Savile Row 3 aufgenommen hatte.
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Das existierte noch, in Form von 60 Stunden Film- und 150 Stunden Audiomaterial, das Jackson mit einem 14-köpfigen Team vier Jahre lang sichtete, editierte und digital restaurierte, wie er es bereits mit Aufnahmen aus dem Ersten Weltkrieg für seine Dokumentation „They Shall Not Grow Old“ (2018) getan hatte. Ursprünglich war eine Kinoauswertung geplant, dann kam die Pandemie, jetzt läuft „Get Back“ also bei Disney als dreiteilige Serie von annähernd acht Stunden Länge.
Das ist im doppelten Wortsinn erschöpfend. Und ziemlich voyeuristisch. Als wohnte man unsichtbar einer langen Gruppentherapiersitzung bei. Aber, hey, es handelt sich hier immerhin um die Beatles, die erfolgreichste und wohl auch wichtigste Band der Popgeschichte. Und um ihre Götterdämmerung, ein traumatisches Erlebnis vom Erschütterungsgrad der Kennedy-Morde.
Szenen, die unter den Schneidetisch fielen
Peter Jacksons Neubearbeitung zeigt nun zum ersten Mal Szenen, die Lindsay-Hogg damals diskret unter den Schneidetisch fallen ließ, wie eben jene von George Harrisons zeitweiligen Ausstieg. Dennoch ist es zuvörderst ein versöhnliches Werk geworden, das zusammen mit dem unvermeidlichen Auseinanderdriften der Jugendfreunde auch die vierlingshafte Vertrautheit der Beatles zeigt – und die kreativen Höchstleistungen zu denen sie beinahe beiläufig, selbst unter Gähnen und Genervtsein, noch fähig waren.
Vor allem Paul McCartney, dem man hier dabei zuschauen kann, wie er aus dem Stand heraus „Get Back“ komponiert, oder am Flügel mit wenigen Akkorden „The Long And Winding Road“ und „Let It Be“ andeutet, während sich Ringo mit den schwärmerischen Worten „Ich könnte ihm eine Stunde lang zu sehen wie er Klavier spielt“ dazugesellt. Als Lindsay-Hogg bemerkt, dass er hier gerade das Ende der Beatles filmt, weist ihn Starr deutlich in seine Schranken: „Das vermutest du nur, weil wir ein bisschen sauertöpfisch geworden sind!“
Lennon apathisch, Starr müde
Was nicht zu übersehen ist. Lennon ist apathisch, Starr müde, Harrison sauer, weil er jeden zweiten Tag einen späteren Klassiker wie „All Things Must Pass“ zu den Sessions mitbringt und dafür von den anderen nur milde belächelt wird. Und McCartney? Spielt sich weniger als Boss auf, wie das all die Jahre lang kolportiert wurde, als dass er beharrlich versucht, seine unwilligen Kollegen wieder auf Spur zu bringen. Kehrt dahin zurück, singt er in „Get Back“, wo ihr einst hingehört habt!
Am Ende fällt der geplante letzte große Auftritt der Beatles aus – Lindsay-Hogg versucht anfangs beharrlich ihnen ein libysches Amphitheater aufzuschwatzen (die untergehende Sonne! 2000 Araber!). McCartney schafft es gerade mal, die Band ein paar Stockwerke höher auf das Dach des Apple-Gebäudes zu bugsieren. Es ist ein stinknormaler Donnerstagmittag in der Londoner City. Ihr Publikum besteht aus wenigen Fans, Büroangestellten und irritierten Passanten. Aber das ist egal. Zum ersten Mal spielen die Beatles nur für sich.