Golda Schultz über Mozart, Rassismus auf der Opernbühne und ihren Auftritt beim Kölner Benefizkonzert mit dem Gürzenich-Orchester zugunsten von „wir helfen“.
Sopranistin Golda Schultz in Köln„Bei Mozart gibt es immer doppelte Böden“
Frau Schultz, Sie haben jetzt im Benefizkonzert mit dem Gürzenich-Orchester Ihre Köln-Premiere. Freuen Sie sich? Was erwarten Sie?
Golda Schultz: Ich habe schon einmal, 2022, in der Philharmonie gesungen, aber das war ein Liederabend. Mit Orchester ist es tatsächlich ein Debüt. Ich freue mich immer riesig, wenn ich mit einem so hochklassigen Orchester und in einem Saal mit einer so guten Akustik Musik machen kann – und mit Riccardo Minasi am Pult selbstverständlich auch. Ich kenne ihn von einem gemeinsamen Rom-Konzert in der Corona-Zeit. Damals haben wir, wie jetzt auch, Mozart gemacht. Er ist ja wie ich ein großer Mozart-Liebhaber und kennt sich da wahnsinnig gut aus.
Minasi kommt ja von der historischen Aufführungspraxis her. Haben Sie persönlich eine Präferenz, mit wem sie konzertieren: Alte-Musik-Ensemble oder Traditionsorchester?
Da gibt es Platz für jeden. Selbstverständlich ist die historische Aufführungspraxis eine gute Sache, wenn sie Spieler und Publikum herausfordert und sie etwas Neues über die Musik erfahren. Was Riccardo betrifft, so kann er, indem er über die Musik spricht, auf eine Weise Ideen vermitteln, die am Ende alle Beteiligten mitnimmt und überzeugt. Für mich entscheidend ist der Grund, warum wir irgendetwas machen. Die Frage „Modern oder historisch informiert?“ wird darüber zweitrangig.
Kommen wir zu Ihrer Agenda am Sonntag. Sie singen zwei große Opern- beziehungsweise opernnahe Szenen der Musikgeschichte: Fiordiligis „Come scoglio“ aus Mozarts „Cosi fan tutte“ und Beethovens „Ah! Perfido!“. Wie kam es zu dieser Auswahl?
„Come scoglio“ war angesichts meiner und Riccardos Mozartliebe sozusagen gesetzt. Infrage gekommen wäre auch die zweite Fiordiligi-Arie, „Per pietá“, aber die habe ich erst im vergangenen Sommer gesungen, weshalb jetzt eben die Entscheidung für das erste Stück fiel. Und die Beethoven-Szene, die ja musikalisch noch durchaus der Mozartsphäre verhaftet bleibt, ist so spannend, hat als Achterbahn der Emotionen so viele Seiten und Farben – und zugleich in ihrer Dramaturgie so clever, dass es mich immer wieder aufs Neue begeistert. Das Publikum übrigens auch – was ein wichtiger Punkt für mich ist: Ich möchte meine Begeisterung mit den Zuhörern teilen. Wenn ich „Ah! Perfido!“ singe, bedauere ich, dass Beethoven nur eine Oper geschrieben hat – und da das Stück nicht integriert hat.
Noch einmal zurück zu „Come scoglio“ – „Wie ein Fels“. Die Sängerin, für die die Partie geschrieben wurde, hatte einen gewaltigen Ambitus – mit der Folge, dass Mozart Intervallsprünge platziert, zwischen denen Lastwagen durchfahren könnten. Sind diese Sprünge für Sie besonders reizvoll oder herausfordernd?
Na, eher schon herausfordernd. Als ich die Partie zum ersten Mal lernte, musste ich wirklich planen, wie ich zu jedem Ton komme. Aber entscheidend ist, wie gut die Musik zur Fiordiligis Situation passt: Sie beschwört gegenüber sich selbst die Treue zu ihrem Verlobten angesichts der Anmache der beiden (vermeintlich) anderen Männer. Und sie versucht, sich selbst zu erklären, warum sie „nein“ sagt.
Mit dem „Felsen“ ist es dann am Ende ja nichts – Fiordiligi wird „fallen“ und untreu werden. Komponiert Mozart dieses Wissen mit? Hat die Musik einen doppelten Boden?
Bei Mozart gibt es immer doppelte Böden, und gerade „Cosi“ ist in diesem Sinne weder nur eine Komödie noch eine Tragödie, sondern übersteigt die Genregrenzen. Sie ist so vielseitig und ambivalent wie unser Leben als Menschen. Die Oper zeigt abgründig, wie schwierig es ist, ein Mensch in dieser Welt zu sein. Und dass wir ständig mit neuen Situationen konfrontiert sind, aus denen wir etwas machen müssen. Das wird nicht perfekt und nicht immer schön oder romantisch sein. Mozart hält uns, als Menschen, den Spiegel vor.
Nun gibt es leider auch Aspekte, die geeignet sind, unsere Mozartbegeisterung stark zu mindern. Ich meine etwa Sarastros Bemerkung zu Monostatos in der „Zauberflöte“: „Ich weiß, dass deine Seele so schwarz als dein Gesicht ist.“ Kommt da tatsächlich nicht nur die klassische Humanität, sondern überhaupt der universalistische Anspruch, der sich gemeinhin mit Musik verbindet, an eine ganz harte Grenze?
Keine Frage, das ist knallharter Rassismus. Nun haben Mozart und andere in ihrer Zeit wohl nicht gedacht, dass es mal schwarze Menschen geben wird, die ihre Musik singen. Meine – virtuelle – Hoffnung ist, dass Mozart, lebte er heute, solche Texte nicht mehr verwenden würde. Und sehen Sie zum Beispiel die Art, wie er seine weiblichen Figuren komponiert: Das ist fast schon feministisch. Die entscheidende Frage muss sich an uns richten: Wie sollen wir heute umgehen mit dieser Musik und den Problemen, die sie aufwirft?
Sollte eine aktuelle Inszenierung der „Zauberflöte“ besagte Stelle tilgen oder retuschieren?
Ich glaube, ja. Wir alle wissen, dass die Seele einer schwarzen Person nicht schwarz ist. Dennoch sind solche Traditionen hartnäckig und auch für die Psychologie der Menschen relevant. Unsere Gesellschaft ist nicht mehr diejenige, in der das Werk entstand. Das muss auch unser Verhältnis zu ihm verändern.
Sie sind, Frau Schultz, auf der ganzen Welt zu Hause, haben aber die Bundesrepublik zu ihrem dauernden Wohnsitz erkoren – Augsburg, Coburg und jetzt Berlin. Warum eigentlich nicht Paris, London oder New York?
Nun ja, ich hatte meinen ersten Job in Deutschland, an der Bayerischen Staatsoper. In Deutschland habe ich die Chance bekommen, Karriere zu machen. Das vergisst man nicht, da bin ich dankbar und loyal. Hinzu kommt: Die klassische Musikkultur ist wahnsinnig stark in Deutschland, und die Lebensqualität ist hoch. Und als Mensch wie als Künstlerin fühle ich mich hier willkommen. Wenn ich gekonnt hätte, wäre ich gern in Südafrika geblieben, aber meine Karriere wäre dort nicht möglich gewesen. Inzwischen bin ich übrigens auch offiziell angekommen: als ich hierher kam, konnte ich kaum ein Wort Deutsch – und 2022 habe ich sogar den Bayerischen Kulturpreis bekommen.
Golda Schultz, 1983 als Tochter eines Mathematikprofessors in Kapstadt geboren, absolvierte ein Gesangsstudium an der University of Cape Town und an der Juilliard School in New York. Zudem wurde sie von Johan Botha, Kiri Te Kanawa und Michelle Breedt unterrichtet. Von 2011 bis 2013 war die Sopranistin Mitglied im Opernstudio und von 2014 bis 2018 des Ensembles der Bayerischen Staatsoper. Daneben hatte sie 2013 bis 2015 einige Rollen am Stadttheater Klagenfurt. Mittlerweile als freiberufliche Künstlerin in Berlin ansässig, gastiert sie auf den internationalen Spitzenbühnen, an der New Yorker Met genauso wie an der Mailänder Scala und bei den Salzburger Festspielen.
Ihr Repertoire reicht vom Barock bis zur Gegenwart, ein Schwerpunkt ihrer Arbeit aber liegt bei den Partien der Mozart-Opern für ihr Fach. Soeben erschien beim Label Alpha ihre CD „Mozart, you drive me crazy“, auf der sie, begleitet von der Kammerakademie Potsdam unter Antonello Manaconda, Arien aus den drei Da Ponte-Opern singt.
Am Pfingstsonntag, 11 Uhr, singt sie im Benefizkonzert des Gürzenich-Orchesters unter der Leitung von Riccardo Minasi zugunsten der KStA-Aktion „wir helfen“ zwei große Szenen von Mozart und Beethoven. Als Rahmenwerke erklingen Haydns Sinfonie Nr. 83 und Beethovens fünfte Sinfonie. Tickets gibt es auf der Seite des Orchesters (MaS)