Grafik-Triennale FrechenHier gibt es die Einstiegsdroge in die Sammellust

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Halb-Abstrakte Darstellung eines verfremdeten und nicht mehr erkennbaren Bauwerks.

Eine Druckgrafik von Kristin Grothe aus ihrer Serie „Raumvisionen“. Grothes Arbeiten wurden auf der Grafik-Triennale Frechen prämiert.

Vor den Toren Kölns zeigt die Grafik-Triennale Frechen zum 20. Mal eine Auswahl herausragender Grafikkunst aus aller Welt. 

Selbst bei alten Drucktechniken wie der Radierung lernt man nie aus. Die handwerkliche und künstlerische Meisterschaft der Druckgrafik zeigt sich heute weniger darin, sein Metier zu beherrschen, als in der Bereitschaft, immer wieder Neues zu entdecken, sich selbst, sein Material und die Maschine über die Grenzen des Bekannten hinauszutreiben. Warum sollte man sich sonst die Mühe machen, Linien in Metallplatten zu ritzen und damit dem technischen Fortschritt bei der Vervielfältigung von Bildern um ein gutes Jahrhundert hinterher zu sein? Die moderne Herausforderung der Radierung liegt darin, Unikate zu schaffen, die das Beste aus Hand- und Maschinenarbeit verbinden.

Bei den Grafiken von Kristin Grothe sieht man oft schon auf den ersten Blick, dass sie einzigartig sind. Die Oberflächen des Papiers sind geritzt und aufgeraut, teilweise auch abgeschabt. Manchmal lässt sich das Motiv, eine fotografierte Landschaft oder ein historisches Gebäude, aus den verfremdeten Umrissen erahnen, aber oft hat Grothe ihnen alle Anschaulichkeit genommen. Wenn die Künstlerin ein Werk, das bereits durch viele Arbeitsschritte gegangen und im Prinzip fertig ist, erneut mit Schmirgelpapier, Messer oder Radiernadel bearbeitet, geht sie im Grunde noch einmal zum Anfang zurück. Sie ritzt das Papier, als wäre es eine Druckplatte. Allerdings gibt es in diesem zweiten Anfang noch weniger Möglichkeiten, sich zu korrigieren.

55 Künstler aus 22 Ländern kamen in die Endauswahl, und alle Werke der Ausstellung kann man kaufen

Dieser Mut zur Meisterschaft wurde jetzt auch bei der 20. Internationalen Grafik-Triennale Frechen prämiert. Kristin Grothe gehört zu den 55 Künstlern aus 22 Ländern, die es in die endgültige Auswahl der vom Frechener Kunstverein veranstalteten Verkaufsausstellung geschafft haben, und unter diesen zu den drei Preisträgerinnen. Dass sich ausschließlich Frauen (neben Grothe sind dies Bettina van Haaren und Majla Zeneli) das vierstellige Preisgeld teilen, ist dabei dem Zufall (oder jedenfalls keiner Agenda) geschuldet.

Seit mehr als 50 Jahren wird vor den Toren Kölns dieses „Schaufenster internationaler Druckgrafik“ bestückt. Nachdem die Jubiläumsausgabe unter pandemischen Bedingungen gelitten hatte, läuft die Ausstellung im Frechener Stadtsaal, bei der man sämtliche Werke erwerben kann, jetzt wieder im Normalbetrieb – bis 14. Juli sind 170 grafische Werke zu sehen. Die Konzentration auf die Grafik ist dabei nicht nur der Frechener Randlage geschuldet. Wegen ihrer vergleichsweise günstigen Preise gilt Grafik als Einstiegsdroge in die künstlerische Sammellust und fällt damit ins Kerngeschäft eines Kunstvereins.

Erzählerisch und barock ist das grafische Werk der Dortmunder Malerin Bettina van Haaren

Bei der Grafik finden Liebhaber handwerklicher Finesse zudem eher eine Heimat als in anderen Feldern der zeitgenössischen Kunst. So kombiniert Grothe gerne verschiedene Techniken miteinander und arbeitet mitunter auf Büttenpapier, weil ihr dessen poröse Stofflichkeit erlaubt, reliefartige Oberflächen zu erzeugen. Ein farbiges Querformat ist mit dem Messer so stark aufgeraut, dass es wie eine Stickerei aus dem Papier tritt.

Bei den drei Preisträgerinnen dieses Jahres zeigt sich die Vielfalt der grafischen Möglichkeiten – sieht man einmal von den Möglichkeiten bunter Farben ab. Majla Zeneli hat sich auf die Mezzotinto-Technik spezialisiert, eine alte, besonders aufwendige Form der Druckgrafik, die dem Künstler die Darstellung feinster Abstufungen zwischen Hell und Dunkel erlaubt. Seinen Höhepunkt erlebte diese Schabtechnik in der Porträtkunst des 18. Jahrhunderts, Zeneli wendet sie auf die Schattenwürfe geometrischer Flächen an.

Erzählerisch und überbordend ist das grafische Werk der Dortmunder Malerin Bettina van Haaren. Sie bringt zarte menschliche Figuren aufs großformatige Papier, im Grunde Strichel- und Kritzeleien, die wie auf barocken Deckengemälden zu schweben und in großer Zahl durcheinander zu wirbeln scheinen. Dabei offenbaren sich die Details erst bei näherem Hinsehen, schält sich die Ordnung erst allmählich aus dem Chaos heraus. Die angedeuteten Erzählstränge lassen sich niemals ganz auflösen. Aber sie zielen ins Herz der menschlichen Existenz.


„20. Internationale Grafik-Triennale Frechen“, Stadtsaal, Kolpingplatz 1, Frechen, Mi.-Fr. 16-19 Uhr, Sa.-So. 12-18 Uhr, bis 14. Juli 2024. Der Eintritt ist frei.

Der Autor gehörte zur Jury der 20. Grafik-Triennale Frechen.

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