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„Hart aber Fair“Diskussion über Wohnraumknappheit – Ist der Traum des Eigenheims ausgeträumt?

Lesezeit 7 Minuten
ARD/"hart aber fair" vom 08.05.2023
abgebildete Personen v.l.n.r. Gerhard Matzig (Buchautor und Architektur-Journalist bei der Süddeutschen Zeitung), Louis Klamroth

Buchautor und Architektur-Journalist Gerhard Matzig diskutierte mit weiteren Gästen bei Louis Klamroth über das Thema Wohnungsknappheit.

Die Wohnraum-Krise hat die Gesellschafts-Mitte längst erreicht, laut Talk-Runde geht es um mehr als nur lange Besichtigungs-Schlangen.

Viele wünschen es sich immer noch, doch immer weniger Menschen können es sich leisten. Der Wohnungsmarkt in Deutschland lässt sowohl Gut- als auch Geringverdienende verzweifeln, Häuser oder Wohnungen zum Kaufen und Mieten sind entweder Mangelware oder zu teuer.

In der Talk-Runde „hart aber fair“ ging es am Montagabend um die Fragen: Wer oder was ist schuld an der Wohnraumknappheit? Wo kann geschraubt werden, damit es wieder läuft? Wie kann sich Bauen in der Zukunft noch lohnen und sollte es das überhaupt? Und wie können wir das besser nutzen, was wir schon haben? Diese Themen und weitere Fragen diskutiert Moderator Louis Klamroth mit seinen Gästen.

Die Gäste am 08. Mai

  1. Klara Geywitz (SPD), Bauministerin
  2. Caren Lay (Die Linke), Bundestagsabgeordnete, Sprecherin für Mieten-, Bau- und Wohnungspolitik
  3. Erdal Balci, Familienvater und auf der Suche nach einem bezahlbaren Haus für sich und seine Familie
  4. Dirk Salewski, Bauunternehmer
  5. Gerhard Matzig, Buchautor und Architektur-Journalist bei der Süddeutschen Zeitung (SZ)

In den ersten Statements der Sendung kommt vor allem heraus, dass das Problem Wohnungsknappheit allgemein bekannt ist. Erdal Balci beschreibt seine Situation als Haus-Suchender. Das Schema F - anschauen, verhandeln, finanzieren, einziehen - sei heute „nicht mehr machbar.“

Klara Geywitz merkt an, dass Baupolitik eine langfristige Sache sei, in den vergangenen Jahrzehnten sei viel zu wenig getan worden. Die Regierung wolle die Förderung mit rund 14 Milliarden Euro massiv unterstützen, um den Negativtrend umzukehren. Ebenfalls solle der Reformstau aufgearbeitet werden, man könne jedoch „nicht einfach Schnipp machen.“

Wohnungsknappheit längst nicht mehr nur Problem in Städten und für Geringverdienende

Sowohl Bauunternehmer Dirk Salewski, als auch „Die Linke“-Politikerin Caren Lay finden die Ziele der Ampel-Regierung - 400.000 Wohnungen pro Jahr - gut und auch Bau-Journalist Gerhard Matzig teilt die Auffassung, die Wohnraumknappheit sei die soziale Frage unserer Zeit. Er und Lay sind sich jedoch auch einig, dass bisher zu wenig passiert sei. Lay erinnert daran, dass die Förderung für Sozialwohnungen unter einem Minister Scholz in einer Regierung mit der CDU erst gekürzt wurde, die SPD sei also mitverantwortlich für den aktuellen Reformstau.

Salewski und Matzig betonen beide, dass es bei der Krise nicht nur um Sozialwohnungen gehe, das Problem sei in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Es seien laut Matzig mittlerweile nicht mehr nur Ballungsräume, wie zum Beispiel auch Köln betroffen, sondern auch kleinere Städte.

10.000 Kommunen mit Regeldschungel

In einem eingespielten Clip zeigt Klamroth ein Paar, dessen Baupläne und -Finanzierung sich unter anderem durch bürokratische Verzögerungen in Luft aufgelöst haben. Bauministerin Geywitz verweist erneut auf Unterstützungsprogramme und die Aufarbeitung des Reformstaus. Salewski erwidert, dass Baurecht im Kern Ländersachen sei und die Kommunen nochmal alle einzelne Vorschriften hätten, Konzepte wie modulares und serielles Bauen würden nicht funktionieren.

Auf die Frage des Moderators, ob sich Bauen für einen Unternehmer noch lohne, erwidert er, die Frage stelle sich nicht, aktuell „wird nicht mehr gebaut.“ Mit einem kleinen Seitenhieb auf Robert Habeck fährt er fort, man wolle arbeiten und die guten Leute nicht verlieren, der Mittelstand rette sich gerade mit dem sozialen Wohnungsbau vor der Pleite, Geld verdiene man keines.

Wohnungskonzerne in der Kritik – Enteignung nicht zielführend

Lay fühlt sich auf den Plan gerufen und kritisiert Wohnungskonzerne, wie LEG und Vonovia, Aktiengesellschaften hätten nichts auf dem Wohnungsmarkt zu suchen. Sie sieht die Spekulation mit Wohnraum als das größte Problem. Salewski erwidert, dass 37 Cent pro Euro beim Hausbau in die Staatskasse wanderten, und sieht dort einen Reformansatz. Auch Matzig sieht viele Chancen in Reformen. Debatten über Enteignungen, die Klamroth ins Spiel gebracht hatte, hält er für nicht zielführend.

3.700 Baunormen – Entrümpelung soll kommen

Als Nächstes geht es um neue und immer strengere Standards, die Gebäude erfüllen müssen. Salewski kritisiert diese als oft nicht zielführend, Geywitz stimmt zu, das Ziel seien weniger technische Lösungen und mehr Nachhaltigkeit. Strengere Standards, wie der EH 40 (Effizienz­haus-Stufe 40) sorgten dafür, dass die Kosten einer Dämmung nur schwer durch die Energieeinsparung wieder reingeholt werden könnten.

Laut Matzig gibt es in Deutschland über 3.700 Baunormen, Tendenz steigend. Viele dieser Normen seien Industrie-Normen, so Geywitz, man übe Druck auf die DIN-Kommission aus, „nicht nur industriell perfekte Lösungen zu finden“, sondern auch die Kosten zu berücksichtigen. Lay kritisiert, man habe sowohl den Klimaschutz, als auch den sozialen Wohnungsbau verpennt, jetzt komme beides gleichzeitig, die „Entrümpelungs-Debatte“ führe man seit Jahren.

Kritik am GEG: „Nichts mehr kalkulierbar“

Auf das Gebäudeenergiegesetz (GEG) angesprochen und die Frage, ob sie froh sei, trotz dessen Vorstellung etwas unter dem Radar geblieben zu sein, erwidert Geywitz, die negative Berichterstattung habe sich besonders um die Person Robert Habeck gedreht, „warum auch immer.“

Die Ministerin verteidigt das Gesetz jedoch, irgendwann müsse man mit der Generationen-Aufgabe beginnen und „Veränderungswillen beweisen.“ Auf Nachfrage zur Laufzeit sagt sie, man solle„ gute Vorsätze nicht verschieben“, denn der Grundkonflikt würde nicht verschwinden.

Salewski kritisiert die Kommunikation rund um das Gesetz, die Verbände hätten lediglich vier Tage Zeit gehabt, Stellungnahmen zu schreiben, welche dann im Gesetz selbst nicht aufgetaucht seien. Viele Fragen seien unbeantwortet geblieben.

Das findet auch Erdal Balci, er sei aktuell froh, dass es mit dem Hauskauf doch nicht geklappt hat, er kenne Menschen, die wegen hoher Kosten ihr Haus verkaufen müssen. Es sei „nichts mehr kalkulierbar“, findet er.

Mehr öffentlicher Wohnraum: Enteignung doch Option?

Klamroth fragt Matzig, ob der Traum vom Eigenheim ausgeträumt sei, dieser bejaht die Frage in der aktuellen Situation. Die Ökologisierung und deren Kosten könne man nicht vermeiden, man müsse andere Kosten senken und „kranke Wucherungen wegschneiden.“

Mit einem Zitat von SPD-Politiker Hans-Jochen Vogel bringt der Moderator das Thema Enteignungen wieder in die Diskussion. Dieser sagt, dass Enteignung für das Allgemeinwohl, zu dem er den sozialen Wohnungsbau zählt, akzeptabel seien.

Parteikollegin Geywitz, sowie der Journalist Matzig stimmen beide zu. Matzig sagt, die Kommunen sollten, wann immer möglich, ihr Vorkaufsrecht ausüben, der Staat „sollte das stemmen können.“ In diesem Bereich brauche es viel mehr staatliche Kontrolle. Auch Erdal Balic sieht den Staat in der Pflicht, zu regulieren und zu unterstützen, auch in Bezug auf die gestiegene Zuwanderung durch Geflüchtete.

Geywitz stimmt ebenfalls zu, dass es mehr öffentlichen Wohnraum geben müsse, sie verweist auf ein Zwei-Säulen-Konzept, bestehend aus sozialem Wohnungsmarkt und Wohngemeinnützigkeit. Zum Letzterem komme im Juni ein Konzept, eine erste akute Unterstützung sei die Wohngeldreform gewesen. Lay kritisiert, „es reicht hinten und vorne nicht“, die Regierung verstecke sich hinter der FDP, man verliere sich in Details.

Bedürfnisse, Lebensqualität und Marktversagen

Der Trend geht hin zu mehr Quadratmetern Wohnraum pro Person, von 34 in 1986 zu 48 in 2021. Matzig ordnet diese Entwicklung in die Nachkriegsgeschichte und das Wohlstandswachstum ein. Außerdem habe diese Entwicklung – kein Fortschritt – mit der Überalterung der Gesellschaft zu tun, mehr Singles, mehr Alte, mehr alte Singles.

Der Journalist erklärt, dass die Ansprüche sich von Generation zu Generation verändert haben. Er spricht von einem „Putinwahn“ und mahnt, dass mehr Quadratmeter nicht unbedingt mehr Lebensqualität hießen.

Tiny House als Familienlösung

In einem Exkurs wird eine vierköpfige Familie gezeigt, die auf 40 Quadratmetern in einem Tiny House wohnt. Es sei eine gute Möglichkeit, mit geringem Einkommen in einem eigenen Haus zu wohnen, sie zahlen rund 300 Euro monatlich für das Wohnen, das Haus hat insgesamt rund 70.000 Euro gekostet, vieles ist selbst gemacht.

Die Kommentare aus dem Forum greifen dieses Thema teilweise auf, ein Zuschauer vermisst variablen Wohnraum, ein anderer zeigt sich schockiert über die gestiegenen Kosten. Caren Lay und Gerhard Matzig werfen auf einen Kommentar das Recht auf Wohnungstausch, bei Bestand der alten Mietverträge, in den Raum.

Im Schlusswort spricht sich Ministerin Geywitz für variables und serielles Wohnen aus, was kein Widerspruch sein muss, wie sie ausführt. Man solle es Menschen ermöglichen, ihre Wohnverhältnisse zu verändern, ohne die vertraute Umgebung verlassen zu müssen. Sie zeigt sich offen für den Vorstoß, auch Büroflächen oder Parkhäuser in Wohnfläche zu verwandeln. Salewski bemerkt, es sei momentan nicht möglich im Bestand preisgünstig zu bauen, Matzig ergänzt, dass mit einer Änderung im Baurecht so rund 2,7 Millionen Wohnungen möglich seien.