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Heimliche Stars in Kölner MuseenWarum Sie diesen Schweinehirten kennen sollten

Lesezeit 4 Minuten
  1. In jeder Sammlung gibt es heimliche Stars, Werke, die nicht zu den berühmten Favoriten zählen, uns aber trotzdem anziehen, weil sie aus der Reihe fallen oder uns auf unerwartete Weise berühren.
  2. In unserer Serie stellen wir solche Lieblingsstücke aus den Kölner Museen vor. Dieses Mal geht es um ein Gemälde von Georg Schrimpf im Museum Ludwig.
  3. Es ist eine scheinbar naive Hirtenszene aus dem Jahr 1923. Doch die gemalte Unschuld ist ein Abwehrzauber gegen den Schrecken des Kriegs.

Köln – Wir haben uns daran gewöhnt, in den fiebrigen Bildern der Expressionisten Vorboten des Ersten Weltkriegs zu sehen, und in den von Hass und Gewalt zerfressenen Fratzen etwa eines George Grosz’ das schreckliche Erbe der deutschen Kriegsbegeisterung. Eine Welt, die sich in große Gefühle und rauschhafte Farben auflöst, um schließlich in Form von Krüppeln, Kriegsblinden und zerstörten Existenzen wieder zusammengesetzt zu werden – in den meisten Kunstmuseen ergibt sich daraus eine stimmige Gesamtschau dessen, was man heute die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts nennt.

Eine Fußnote? Nein, ein Hauptwerk

Aber wie passt ein Bild wie Georg Schrimpfs „Schweinehirt“ in diese Kunstepoche? Entstanden im Jahr 1923, also ungefähr zu der Zeit, als Otto Dix verzweifelt darum rang, der Grausamkeit des Krieges eine angemessene Form zu geben, zeigt es einen Jungen mit melancholisch verhangenen Augen, der in idyllischer Landschaft drei offenbar handverlesene Schweine hütet. Der Junge schaut ein wenig traurig, vielleicht, weil er an ein Mädchen denkt; das uns zugewandte Schwein schaut dagegen glücklich, vielleicht, weil es gerade an etwas Säuisches denkt. Hinter beiden strecken sich Hügel müde zum Horizont, während ein milchiger Himmel gütig über der gesamten Szene steht.

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Auf diesem Bild scheint der Krieg nur ein böser Traum gewesen zu sein, und auch die turbulente Wirklichkeit der frühen Weimarer Republik wirkt endlos weit entfernt – zumal die sanft geschwungene Hügellandschaft verdächtig italienisch aussieht. Man steht im Kölner Museum Ludwig also etwas verdutzt vor Schrimpfs kleinem Format, das hier, eingerahmt von expressionistischer und neusachlicher Malerei aus der Sammlung Josef Haubrichs, wie die Fußnote einer großen Erzählung wirkt. Aber nicht zuletzt darin liegt sein Reiz: Erst mit Hilfe solcher „Ausreißer“ ergibt sich ein reicheres, annähernd vollständiges Bild der Zeit.

Georg Schrimpf (1899–1938) gehörte zu jenen Malern, die in der Weimarer Republik mal neusachlich und mal magische Realisten genannt wurden und sich oftmals lediglich in der Ablehnung der expressionistischen Einfühlung ins Weltgeschehen einig waren. Auf den ersten Blick scheinen Schrimpfs naiv-realistische Frauen- und Kinderporträts etwa das genaue Gegenteil der streng sachlichen Industriebilder Carl Grossbergs zu sein. Doch beide Maler litten auf ihre Weise unter dem Krieg und dessen Folgen, fürchteten den „irrationalen“ Expressionismus und sehnten sich nach einer vernünftigen Ordnung – und sei es nur auf ihrer Staffelei.

Ein Zuckerbäcker findet seinen Stil

Schrimpf fand festen Boden unter den Füßen, als er in Italien die an der Frührenaissance geschulte Malerei Carlo Carràs entdeckte. Wie dieser verband nun auch Schrimpf alte Vorbilder mit einer modernen Sensibilität, zog klare Linien um seine Figuren und stimmte seine Farben harmonisch aufeinander ab. Jeder Grashalm scheint auf seinem Kölner Bild gemalt worden zu sein, um die nackten Fußsohlen des Hirten zu kitzeln, doch ist dieser zu sehr damit beschäftigt, seine Augäpfel unter die Decke seiner halb geschlossenen Lider zu rollen, um es zu bemerken.

Wären die Schweine wilde Tiger und und die Hügellandschaft etwas waldiger, könnte man bei diesem Hirtenjunge an die Bilder des Zöllners Henri Rousseau denken. Zumal auch Schrimpf, gelernter Zuckerbäcker, ein Naturtalent aus einfachen Verhältnissen war, das sich alles selbst aneignen musste und seine Bilder und Zeichnungen lange Zeit versteckte. Anders als Rousseau war Schrimpf jedoch nicht naiv, 1933 wurde er Professor in Berlin, eine Position, die er 1937 wegen einer früheren Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei wieder verlor. Eines seiner Bilder soll kurz in der NS-Ausstellung „Entartete Kunst“ gehangen haben, doch fand er in Rudolf Heß, Hitlers Stellvertreter, einen Fürsprecher und Auftraggeber. Bevor er sich jedoch zum Kostgänger der Nazis degradieren konnte, starb Schrimpf, vermutlich an einem Herzanfall.

Zur Serie

In jeder Sammlung gibt es heimliche Stars, Werke, die nicht zu den berühmten Favoriten zählen, uns aber trotzdem magisch anziehen, weil sie aus der Reihe fallen oder uns auf unerwartete Weise berühren. Wir stellen in loser Folge solche Lieblingsstücke aus den Kölner Museen vor. (KoM)

Sein Hirtenjunge ahnt von diesen Verstrickungen nichts, und ist doch der beste Beweis dafür, dass Schrimpfs Malerei zur von den Nazis verachteten Moderne zählt. Man sieht es daran, wie sorgfältig Schrimpf alles aus dem Bild verbannt, was die Ruhe stören könnte, und jede Bewegung, sei es von Mensch, Tier oder Landschaft, zu besänftigen versucht. Vor allem aber stimmen die Proportionen nicht: Der Junge und die Schweine sind viel zu groß, ja geradezu Riesen, wenn man sieht, wie die sanften Wellenbewegungen der Wiese in die der Hügellandschaft übergehen. Nah und Fern sind nicht mehr zu unterscheiden, die Pfütze, in der das eine Schwein steht, könnte genauso gut ein Flusslauf sein. Schrimpf verabschiedet sich vor unser Augen aus der Wirklichkeit. Die Idylle ist ein scharf umrandeter Traum, ein irrealer Zufluchtsort.