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Immer etwas neben der Spur„Die Walküre“ als immersive Performance am Offenbachplatz

Lesezeit 4 Minuten

Szene aus „Die Walküre“

  1. Im Theater am Kölner Offenbachplatz gibt es aktuell „Die Walküre“ zu sehen.
  2. Im Stück wirkt alles etwas neben der Spur. Es gibt skurille Bilder, etwa ausgestopfte Wildschweine und traumatisierte Sklaven.
  3. Unser Autor hat sich das Stück angesehen. Was er davon hält und welche Eindrücke er mitgenommen hat, lesen Sie hier.

Köln – Jetzt ist Zeit, sich die Partyhüte aufzusetzen und den billigen Kräuterfusel im Plastikstamperl zu exen. Damit man es auch spürt: das „Jeföhl“, welches das Privattheater „Heidi’s im Offenbach“ ausmache. Schon seit 1982, als das Haus, die „letzte noch blühende Blume am Offenbachplatz“, mit einer Inszenierung des „Führerdramas“ „Wilhelm Tell“ eröffnet wurde.

Das alles und noch viel mehr trägt die Chefdramaturgin Katya Neidinger mit säuselnd-kulturverzückter Stimme vor, während neben ihr eine junge Frau in einer geblümten (oder war es ein Schmetterlingsmuster?) Burka an der Stange tanzt. Leicht bekleidete Frauen in spätmittelalterlichen Beinschienen und Eisenschuhen stapfen an uns vorbei, gefolgt von einem schwarz-weiß geschminkten Jungen im Rollstuhl. Das muss Malte Finkelberg sein, der damals, Anfang der 80er, erst wenige Monate alt, Tells Sohn verkörpert hat. Ob der Apfelschuss tragisch danebengegangen ist?

Hygieneregeln gelten auch im „Heidi’s“

Eigentlich wirkt hier alles ein wenig neben der Spur, in Schieflage zur unverstellten Wirklichkeit, die gleich hinter dem von kränkelnden Topfpflanzen verstellten Fenster zur Brüdergasse lauert. Nur Viren weigern sich beharrlich, den Unterschied zwischen Alltag und Spiel zu akzeptieren, weshalb auch im „Heidi’s“ die bekannten Hygieneregeln gelten: Die Maske wird bestenfalls zum Schnapskonsum angehoben und Anfassen ist nicht.

Vor 13 Jahren etablierte die dänisch-österreichische Gruppe Signa unter Karin Beiers Intendanz von Köln aus ihre ganz spezielle Form des immersiven Theaters, bei dem der Zuschauer nicht länger Zuschauer blieb, sondern mit Haut und Haaren in eine Simulation eintauchte, ein analoges Computerspiel. Die schwedische Bühnenbildnerin T.B. Nilsson, damals im Leitungsteam, brach vor sieben Jahren mit der Gruppe.

Wildschweine und Sklaven

Seitdem entwirft sie ihre Gegenwelten gemeinsam mit Julian Wolf Eicke, aber die Kontinuität ist frappierend: Die mythisch-literarischen Hintergrundgeschichten, der ins Kranke kippende Kitsch, die sexuellen Perversionen. Und die starken Hierarchien — ein Teil der Akteure gehört zur Jugendorganisation des „Heidi’s“ mit dem unaussprechbaren Akronym Hugr, sie räkeln sich auf ausgestopften Wildschweinen und gerieren sich als traumatisierte Sklaven.

Als kultureller Anker hojotohot diesmal Richard Wagners „Die Walküre“ durch das Spiel der rund 20 Akteure. In Text, Subtext und noch weit darüber hinaus. Das „Heidi’s im Offenbach“, beziehungsweise der Hausregisseur Udo Donner, hat sich vorgenommen, die „Ring“-Oper als „fein ziseliertes Kammerspiel“ auszuführen. Ein echte Schnapsidee. Aber Donner hat, laut Programmheft, zuvor Lessings bürgerliches Trauerspiel „Miss Sara Sampson“ als Musical inszeniert, vor dem guten Mann ist also kein deutscher Klassiker sicher.

Corona-Zwänge auch im Theater

Da auch das simulierte Theater unter Coronazwängen leidet, versucht es Einnahmen zu generieren, in dem es sein Publikum schon vor der Premiere im Februar ins Haus lässt, wo es an den ausdauernden Proben teilnehmen darf. Einen allzu langen Teil des Abends verbringen wir im allerdings sensationell gestalteten Theatersaal, einer Kreuzung aus Jagdhütte anno 1970 und Phantasialand für Arme. Hier wird jeder Besucher einzeln zu einem der wenigen freien Plätze auf der Zuschauertribüne dirigiert, wo er unter ausgestopften Rittern und angestaubten Skeletten das Bühnengeschehen verfolgt.

Das vereint in sensationeller Geschmacklosigkeit alles, was man im Theater falsch machen kann. Hohle Heldengesten, nuttige Kostüme, Requisiten wie aus dem Asterix-Comic, Gast-Akteure mit unverständlichen Akzenten, und als i-Tüpfelchen eine südkoreanische Fricka im Asia-Shop-Kostüm. Dazwischen wird kurz zu „Rain On Me“ getanzt – „Wir sind jetzt quasi ein Zwei-Sparten-Haus“, verkündet Udo Donner stolz – und Brünnhilde gibt die Lady Gaga, leicht betäubt wie Britney Spears in ihren Problemjahren dem Beat hinterherwackelnd.

Wenig liebevolle Garderoben

Dann geht es endlich hinter die Kulissen, etwa in die nicht weniger liebevoll gestalteten Garderoben, und hier spiegeln die Ränkespiele und Verleumdungen unter den fiktiven Akteuren diejenigen Wagners und seiner Erben. Der „Maestro de Ballet“ Jorge Sepulveda verrät dem Gast in der Kantine, dass er heimlich mit dem Gründer des Theaters liiert gewesen sei. Grit von Falken-Placheki (diese Namen!), die Darstellerin der Brünnhilde, outet sich im Zwiegespräch als uneheliche Tochter des toten Prinzipals, die sich seit Jahren im Eifersuchtswettstreit mit dessen Witwe befindet.

Und schließlich darf man nicht vergessen, dass „Die Walküre“ ja hauptsächlich von Wotans Versuchen erzählt, sich über Bande aus seinem Vertrag mit dem Zwerg Alberich zu winden, der es ihm zuvor ermöglicht hat, die Götterburg Walhall zu errichten. Ähnlichkeiten mit benachbarten Baustellen, die das „Heidi’s“ sich einzuverleiben drohen, sind rein zufällig.

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Eine Diskussion über den Antisemiten Wagner mit der südkoreanischen Austausch-Darstellerin verläppert, einer der Hugr-Sklaven fantasiert darüber, sich in Asien eine Frau zu kaufen, eine andere orakelt düster unterm Sombrero. Nach drei Stunden ist man ein wenig enttäuscht. Waren die Signa-Simulationen nicht viel gefährlicher und aufreibender? Hier hat man das Gefühl, kaum an der Oberfläche gekratzt zu haben. Man ahnt, hofft, dass da noch mehr ist. Man will wieder rein, ins „Heidi’s am Offenbach“, zum nächsten Walkürenritt.

Weitere Aufführungen bis zum 29. November im Kleinen Haus am Offenbachplatz